"Was willst du von mir?"
"Ich will deine Kleider."
Der Bauer sah überrascht auf. "Ist das alles? Ich dachte, du wolltest mein Vieh." Er blickte auf die Pistolen von Dougal. "Du hast die Argumente auf deiner Seite."
"Du kannst im Gegenzug alles von mir haben. Die Waffen ausgenommen." Dougal zog seine Uniformjacke aus. "Fang schon an!"
Der Bauer entkleidete sich. Bald standen sie sich nackt gegenüber. Dougal zog des Bauers fleckige Hosen an. Das Hemd roch schweißig. Der verfilzte Umhang strömte eine Mischung von Torfrauch und Kuhdung aus. Die speckige Kappe behielt er noch in der Hand und betrachtete den Bauern, der sich in Kürze in einen Offizier verwandelt hatte: Kilt, Jacke, Umhang, Mütze. Es schien ihm zu gefallen — die gemusterten Stoffe, das schöne Jackett … zwar auch schon arg verschwitzt und abgewetzt, aber weitaus besser als seine eigenen Kleider, die er sonst nur zu wechseln pflegte, wenn sie kaputt waren.
Dougal trank seinen Becher leer. "Pass auf dich auf." Er verließ die Hütte, atmete die frische Luft und ritt weg. Beinahe bedauerte er den Bauern, der sich nun in feindlicher Uniform den Engländern präsentieren würde.
Es dauerte, bis Dougal sich an seinen neuen Geruch gewohnt hatte. Widerwillig zog er die Kappe über.
Jeder Weg der nach oben führte, war Dougal recht. Er hatte sich vorgenommen, jedes Tal bis an sein Ende zu gehen und wenn sich ein weiteres auftat, es ebenfalls bis ans Ende zu erkunden. Erst wenn er vor einer Bergkuppe angekommen sein würde, wollte er jenes Tal als sein Asyl zu betrachten und so lange dort bleiben, bis er sicher sein konnte, dass ihn niemand verfolgte.
Sein Pferd hatte in den Steinen und Felsbrocken plötzlich keinen Tritt mehr gefunden und nur noch den Kopf verworfen. Es war einfach stehen geblieben und weder Hiebe noch Ziehen noch gut Zureden hatten es vorwärts bewegen können. Er war mit ihm bis zur letzten Abzweigung zurückgegangen, hatte brauchbares Lederzeug und die Rossdecke an sich genommen und es in das abzweigende Tal getrieben. Es kam noch einmal zurück, wieherte, verwarf nochmals heftig den Kopf und ließ sich endlich verscheuchen.
John Dougal überblickte den kleinen Talkessel, den er zu seinem Refugium bestimmt hatte. Ein kleines Rinnsal floss von den dahinterliegenden steil aufsteigenden Felsen, die das Tal auf drei Seiten umrahmten. Er würde die Hügel genau erkunden, um sich einen Fluchtweg offen zu halten, falls Verfolger auftauchen sollten. Auch sie würden ohne ihre Pferde auskommen müssen. Vorläufig fühlte er sich sicher. Er würde den Sommer hier verbringen und seine Nahrung aus der Natur beschaffen. Im Spätherbst, wenn Boden, Busch und Baum nichts mehr hergäben, würde er weitersehen. Vielleicht hatte sich die Lage bis dahin beruhigt.
1
Fort Augustus, Hauptquartier des Herzogs von Cumberland
Frühsommer 1746
Prinz William Augustus, Herzog von Cumberland, Sohn des herrschenden Königs George II., Sieger der Schlacht von Culloden, erhob sich und ging um den Tisch herum. Seine Offiziere verfolgten ihn mit ihren Blicken. Die einen respektvoll, die anderen unterwürfig, einige abmessend und einer feindlich: James Moore. Er sah ein Stück jünger aus als der recht verfettete Cumberland, war jedoch ungefähr gleich alt. Einen Tag vor seinem Sieg über die schottischen Rebellen bei Culloden hatte Cumberland seinen 25. Geburtstag gefeiert.
Insgesamt saßen über zwanzig Kommandanten und ihre Adjutanten um den langen Tisch. Cumberland übersah die ihm am nächsten Sitzenden und ließ seinen Blick zuerst die linke Reihe hinauf, dann die rechte Sitzreihe hinunterschweifen. Kaum einem sah er direkt in die Augen.
"Meine Herren!", begann er und sprach mehr in die Luft als zu seinen Untergebenen, "meine Herren … wer glaubt, die Angelegenheit sei mit unserem Sieg in Culloden erledigt, der irrt." Er fixierte James Moore. "Wir können uns keine Halbheiten leisten."
James spürte, wie er innerlich zitterte. Er trug zwar die englische Uniform, doch sein Gewissen quälte ihn, seit er bei Culloden auf seine Brüder hatte schießen lassen. Er gehörte zum Clan der MacMuirs, ein weitverzweigter Familienverband, von denen etliche, überwiegend die katholischen, für die Freiheit der Highlander gekämpft, während sich die anderen, wie sein Vater, rechtzeitig auf die Seite der Engländer geschlagen hatten.
Cumberland ließ seinen Blick nicht von ihm. "Die Highlander hätten mit uns kein Erbarmen gehabt, wenn sie den Sieg errungen hätten." Dann sah er wieder über die Köpfe der anderen Offiziere hinweg.
Moore atmete aus.
"Wir werden dem ein Ende setzen!" Cumberland erhob seine Stimme, sein Doppelkinn schwabbelte. "Diese unbelehrbaren Kerle werden es wieder versuchen. Das werden wir verhindern — endgültig und ein für alle Mal!" Er wanderte die Längsseite des Tisches hoch, die Blicke folgten ihm. Er streckte seine Faust in die Luft. "Wir werden sie verurteilen für ihre Schandtaten, wir werden sie vertreiben, wir müssen sie … ausrotten." Am oberen Tischende verhielt er seinen Schritt. "Ja, ausrotten. Mitsamt ihrer komischen Sprache und ihrer lächerlichen Kleidung, mitsamt ihren verrotteten Hütten, diesen dampfenden Dunghaufen." Cumberlands Kopf war rot geworden, seine Stimme laut. "Sie sind noch starrsinniger und niederträchtiger, als ich mir je vorstellen konnte! Und ihre verdammten Dudelsäcke tun mir in den Ohren weh!" Plötzlich blieb er vor James Moore stehen. Er sah ihm auf den obersten Knopf der Uniformjacke. "Ein Soldat tut was man ihm sagt. Er hinterfragt nicht. Das haben die Highlander begriffen. Da können wir uns ein Beispiel nehmen." Sein Blick wanderte hoch in die Augen von Moore und trat nahe an ihn heran. "Am wichtigsten ist jedoch, dass wir ihre Anführer erwischen und vor Gericht stellen."
James hielt den Atem an, um den säuerlichen Geruch von Cumberland nicht zu riechen. Er hielt dem Blick stand. Er rechnete damit, dass er die unangenehmsten Aufgaben erhalten würde.
Cumberland ging ein paar Schritte weiter. James versuchte seine Erleichterung nicht sichtbar werden zu lassen, atmete langsam ein und aus und hörte, wie Cumberland in einem Plauderton sagte: "Ja, wir müssen die Clan-Chiefs, die sich auf die Seite der Rebellen schlugen, ermitteln. Die meisten kennen wir: MacAreagh, die Macdonalds, MacMuirs, Camerons … ", seine Stimme wurde laut, "und vor allem diesen Hitzkopf MacDougal, der uns an der Seite der Camerons so frech gekommen ist. Sie und ihre Vasallen — wir werden sie jagen. Es gibt kein Entkommen." Er ging zu seinem Stabschef. "Ich will genaue Listen von allen die dabei waren, die Clan-Chiefs, ihre Chieftains und Offiziere — alle. Wir werden ihre Namen einzeln abhaken. Und alle, die ihnen geholfen haben. Da mache ich keinen Unterschied." Seine Augen suchten Oberst Middlehurst. "Das muss sauber geplant werden. Und rasch umgesetzt. Die neuen Gesetze sind in Vorbereitung. Wir wollen keine Zeit verlieren."
2
James war kaum vier Jahre alt gewesen, als seine Mutter verstarb. Sie war die Tochter von MacMuir, dem Chef des Clans, und sein Vater Archibald hatte dessen Namen übernommen, weil er ihm mehr Ansehen versprach als sein eigener. Doch nach seinem Eintritt in die britische Armee nannte er sich Moore, Archibald Moore. James wurde in die Obhut des Bruders seiner Mutter gegeben und verbrachte seine Kindheit auf Schloss Muir. Er genoss die Ausbildung durch Privatlehrer und lernte sich in der breit gestreuten Verwandtschaft der MacMuirs durchzusetzen. Seinen Vater sah er selten, und wenn, war dieser meistens in heiße Auseinandersetzungen mit seinem Schwager verwickelt, der sich mehr und mehr als überzeugter Anhänger der Jakobiten erwies.
Archibald Moore hatte mit seinem Sohn anderes im Sinne und als James fünfzehn Jahre alt war, nahm ihn sein Vater nach einem weiteren Disput gleich mit und brachte ihn in seinem Stab unter. Archibald war inzwischen Oberst geworden und befehligte ein Regiment der Kavallerie.
James war ein talentierter Soldat und im Alter von neunzehn Jahren verschaffte ihm sein Vater den Rang eines Leutnants. Archibald setzte seine Beziehungen ein und James Moore gelangte in den Stab von Cumberland, den er auf seinen Feldzügen in Deutschland und Holland begleitete. Moore zeichnete sich in allen Funktionen aus, zuerst als herumrasender Verbindungsoffizier, dann als Kommandant einer Kompanie, bald