Die Frauen von Schloss Summerset. Ed Belser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ed Belser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844287097
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lächelte und hielt seinem Blick stand. Augen, fast wie Cremor, dachte sie. "Ich werde dich nie vergessen, Jose. Danke für alles." Sie sah ihm nach, wie er das Fallreep wieder hochstieg, winkte als er sich kurz umdrehte, und dann war sie allein.

      Sie schaute um sich. Auf der Mole wimmelte es von Männern, allesamt Fischer, Seeleute, Handwerker, Bettler. Garcia hatte recht gehabt: Ein weibliches Wesen war weit und breit nicht zu erblicken. Die Einsamkeit überfiel sie wie plötzlicher Frost.

      Sie war zurück in ihrem Heimatland, doch es kam ihr fremder vor als damals, als sie ihren Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt hatte. Dort hatte sie sich willkommener gefühlt als hier.

      Die Menschen, die eilig ihren Geschäften nachgingen, würdigten sie keines Blickes. Sie kam sich vor wie unsichtbar. Sie umfasste mit beiden Händen ihre Unterarme, versuchte sich zu wärmen, schaute zum Himmel, blickte an sich herunter, und spürte wie sich die Angst in ihr ausbreitete. Warum bin ich hier? Warum bin ich nicht geblieben wo ich war? Es ging mir doch gut dort. Lehrerin in Brunswick, sogar Schulleiterin. Jetzt bin ich wieder da, wo ich herkomme. Es schien ihr, als ob die Zeit in ihr stehen geblieben wäre. Am liebsten hätte sie laut gerufen, um auf sich aufmerksam zu machen: Ich bin Lady Margaret MacAreagh von Schloss Blackhill! Kümmert euch um mein Gepäck, bereitet mir die Kutsche, richtet mir die Unterkunft! Ihr Mund formte die Worte, doch sie blieben tonlos. Margaret Smith, dachte sie, so, wie sie sich in North Carolina, New Hanover County, genannt hatte. In New Brunswick, benannt nach dem Kurfürsten von Braunschweig, geboren in Hannover, König von Großbritannien, Vater des jetzigen Herrschers George II, dessen Sohn William Augustus, der Herzog von Cumberland, den Aufstand der schottischen Highlander blutig niedergeschlagen hatte, sich den Namen William der Schlächter wahrlich verdient hatte und den es zu fürchten galt. Sie spürte, wie ihre Tränen über Wangen und Kinn bis in den Kragen ihres hochgeschlossenen Kleides flossen.

      Sie wusste nicht, wie lange sie da gestanden hatte. Offensichtlich lange genug, um dem einen oder anderen aufgefallen zu sein. Sie spürte Blicke, die sie musterten. Sie versuchte sich auf den Zweck ihrer Reise zu besinnen. Blair Mhor. Cremor. Daselbst erfolgreicher Besitzer der gleichnamigen Brennerei, auf der Wirtschaftsseite der Edinburgh Gazette erwähnt als erfolgreicher Unternehmer … neue Arbeitsplätze, Steuereinnahmen. Sie trug das Stück Papier stets bei sich, hatte es immer und immer wieder gelesen. Sie musste hin. Sie musste den Faden der Zeit wieder aufnehmen. Sie musste zu Cremor — selbst, wenn er längst ein anderes Leben führte. Sie würde es verstehen. Aber sie musste es herausfinden. Und alles über Shauna, ihre Tochter, von der sie nichts wusste, außer dass sie tot war, und an deren Grab sie geweint hatte. Sie würde sonst diesen Teil ihres Lebens nie abschließen können. Sie presste ihre Hände vor die Augen und versuchte ihre Tränen zu stillen.

      Sie fragte nach dem Markt, dort würde es Frauen geben, die ihr vielleicht helfen konnten eine Unterkunft für die Nacht, wenn nötig für die nächsten Tage zu finden. Sie folgte der angegebenen Richtung und kam zu einem kleinen Markt, wo alte Frauen in langen Röcken und verhüllten Häuptern Fisch und Brot angeboten.

      Es war eine rechte Spelunke, die man ihr empfahl; das einzige Wirtshaus, das auch Zimmer für Reisende anbot. Als sie mit ihren zwei Taschen ankam und die Tür mit dem Fuß aufstieß, drang ihr sofort das laute Geschwätz der zechenden Gäste entgegen, ein Geruch von Bier und Schweiß und gebratenen Fisch stieg ihr in die Nase. An der Theke standen die Männer zwei Reihen dicht, tranken dunkles Bier oder hielten den leeren Krug zum Nachfüllen hin. An den Tischen wurde gegessen, Flaschen standen dicht an dicht oder waren zur Seite geräumt worden, um Platz für das Würfelspiel zu schaffen. Der Lärm schwoll an, wenn einer sich mit lauter Stimme durchsetzen wollte, oder nahm ab, wenn die Männer wie auf Kommando ihre Becher leerten. Sie musste sich seitwärts durch die Menge kämpfen, die sie nicht weiter beachtete, um zum Durchgang in die Küche neben der Theke zu gelangen.

      Ein Kellner mit einem dampfenden Teller in jeder Hand tauchte auf und sah sie überrascht an. Sein Hemd wies auf der Brust und unter den Armen lange nasse Flecken auf. "Was willst du?"

      "Ein Zimmer."

      Er nickte und eilte mit den Tellern zu den Tischen.

      Margaret stellte ihre Taschen ab und drehte sich um. Kaum ein armbreit von ihr entfernt wölbten sich die breiten Rücken von Seeleuten, die um einen runden Tisch herum saßen. Ein Becher mit Würfeln machte die Runde, auf einem Holzteller sammelten sich Geldstücke, von Zeit zu Zeit heimste einer die Münzen mit Triumphgeschrei ein, die anderen stöhnten auf und spülten ihre Enttäuschung mit einem langen Zug aus den Bierkrügen hinunter. Ihr Blick traf sich mit den hellblauen Augen eines Mannes, der an der gegenüberliegenden Seite des Tisches saß. In der Hand hielt er den Würfelbecher, schüttelte ihn; Margaret hörte die Würfel klappern, er lachte sie mit breitem Mund an und hielt ihr den Becher entgegen, bevor er ihn auf den Tisch entleerte. Sie hörte am schadenfreudigen Gejohle der anderen, dass der Wurf misslungen war, doch der Mann löste seinen Blick keinen Moment von ihren Augen. Dann hob er kurz seine Schultern und ließ sie wieder fallen. Er erinnerte sie an Andy Sullivan. Er hatte die gleichen weißblonden Haare, etwas jünger vielleicht, etwa so alt wie ihre Tochter Shauna jetzt wäre.

      Der Kellner eilte schweißtriefend an ihr vorbei in die Küche und kam mit einem gedrungen gebauten Mann mit dicken nackten Oberarmen zurück. Der Kellner wies mit dem Finger auf den runden Tisch.

      Der Mann sah kurz hin, dann wandte er sich an Margaret. "Wie lange bleibst du hier?"

      "Einige Tage, meine ich."

      Der Kellner stand immer noch da.

      "Hilf mir!", befahl ihm der Wirt. "Schmeißen wir ihn raus, wenn er nicht bezahlt." Er musterte Margaret. "Einige Tage? Hast du Geld? Du zahlst im Voraus!" Er ließ sie stehen und ging zum runden Tisch.

      Finn O'Brian hatte einige Gläser Bier in sich, einige der Würfelspiele gewonnen, die Mehrzahl von ihnen jedoch verloren. Er war wie durch Zufall in dieser Kneipe gelandet. Eigentlich wollte er so rasch wie möglich an Bord eines Schiffes, möglichst weit weg. Wie er die Reise bezahlen sollte — darüber hatte er noch keinen Moment nachgedacht. Seinen letzten Sold hatte er in eine Mahlzeit, serviert von diesem nach Schweiß stinkenden Kellner, in das Bier und in das Spiel mit diesen verhexten Würfeln investiert, die nie auf seiner Seite standen. Und jeden weiteren Verlust seiner Münzen kompensierte er mit einem Glas Bier. Er durchstöberte seine Taschen, doch da war nichts mehr zu finden. Finn trug noch die leinenen Hosen der englischen Armee, recht verschmutzt und mit Rissen, seine Rotjacke hatte er unterwegs in einen Fluss geworfen, damit sie sich möglichst weit von ihm entfernte; seine neue Jacke war die alte eines Bauern und sie hatte schon manchen üblen Tag erlebt, aber ihn auch nicht viel gekostet. Finn sprach leidlich Englisch, mehr wäre für seine Aufgabe auch nicht notwendig gewesen. Er bekam seinen mageren Sold dafür, dass er auf seinem Wachposten bei der Garnison stand und jeden Angreifer abwehren sollte. Er war nie einem solchen begegnet. Dafür nahm der Strom von gefangenen Soldaten zu, die nicht die Rotjacke trugen, aber die gleiche Sprache sprachen wie er und behandelt wurden wie der letzte Dreck. Da hatte er aufbegehrt. Sein Unteroffizier hatte ihm eine Ohrfeige verpasst, und als er ihn dafür mit einem Faustschlag zu Boden streckte hatte er es vorgezogen, so rasch wie möglich das Weite zu suchen. Er rannte und rannte, selbst als ihn niemand mehr verfolgte. Somit war er zum Deserteur geworden. Deserteure taten gut daran, um ihr Leben zu rennen.

      Und jetzt saß er an diesem Tisch, hoffend, dass ihm sein letzter Einsatz einen Gewinn brachte, der ihm ermöglichte seine Zeche zu bezahlen. Er sah Margaret, die an der Theke stand in die Augen, sah kurz ihre elegante Nase mit der leicht ansteigenden Spitze, ihre breiten Schultern, hörte ihre tiefe Stimme als sie mit dem Kellner sprach, erinnerte sich kurz an seine Mutter — sie hatte die gleiche Stimme — und konnte nicht anders, als sie anzustrahlen. Er hörte die Würfel fallen, sah der Dame an der Theke weiter in die Augen, sah an ihrem Blick, dass er verloren hatte, sah wie sie mit dem Kellner und dem Wirt sprach, der ihn zornig im Visier hatte, hörte wie die Dame fragte: "Wie viel schuldet er dir?", wie der Kellner den Betrag nannte und wie sie antwortete: "Setz es auf meine Rechnung!", und dann holte ihn seine Trunkenheit ein, er kippte seitwärts vom Stuhl auf den Boden und spürte gar nicht mehr, wie der Kellner und der Wirt ihn durchsuchten, ihn an den Schultern packten,