Angst macht große Augen. L.U. Ulder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: L.U. Ulder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738016017
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Hamburg?“, sinnierte die Frau leise und löste unauffällig ihre in hüfthöhe hängende Kamera aus, bevor der Mann in seinen Dienstwagen stieg. Als würde sie den Worten des uniformierten Beamten keinen Glauben schenken, fotografierte sie schnell noch das Kennzeichen.

       *****

      Hajo Steinert war nach dem Gespräch auf dem schnellsten Weg nach Hause gefahren. Er benötigte jetzt unbedingt eine Mütze voll Schlaf, der Ausflug nach Nordniedersachsen hatte ihm viel Zeit gekostet. Seine Familie war bereits ausgeflogen, als er sein Reihenhaus in Hamburg-Lokstedt erreichte. So schnell wie möglich legte er sich zu Bett und schlief bis in den frühen Nachmittag. Danach genehmigte er sich ein verspätetes Frühstück, duschte und fuhr zurück in die Dienststelle.

      Von seinem niedersächsischen Kollegen Schrader war bereits eine Email eingegangen. Den Kollegen von der Kriminaltechnik war es gelungen, auf der Spraydose DNA zu sichern. Die Spur befand sich bereits auf dem Weg zum LKA nach Hannover, wo sie bevorzugt untersucht werden würde. Mit etwas Glück sollte am nächsten Tag das Ergebnis vorliegen.

      Die verwendete Waffe war mit großer Wahrscheinlichkeit eine Ceska, Modell CZ 75, Kaliber 9x19 mm Parabellum. Die tschechischen Pistolen waren nach dem Fall des Eisernen Vorhangs massenhaft in den Westen gelangt. Eine Überprüfung der Projektile durch einen Sachverständigen stand noch aus. Steinert machte sich allerdings keine großen Hoffnungen, dass die Waffe schon einmal benutzt wurde. Die Leute, denen er seit mehreren Monaten auf den Fersen saß, waren bislang zu clever und zu umsichtig gewesen, um sich eine solche Blöße zu geben.

      Bei der benutzten EC-Karte handelte es sich um eine Dublette. Der Eigentümer der echten Karte wusste noch nichts von seinem Glück. Irgendwann und irgendwo hatte er die Karte vermutlich in einen manipulierten Geldautomaten gesteckt und dabei waren die Daten auf dem Magnetstreifen ausgelesen worden. Also lief auch diese Spur ins Leere. Interessant war dabei die Bandbreite der Verbrecher. Bislang hatten sie immer frisch gestohlene Karten benutzt, die allesamt keinen Täterhinweis erbrachten. Gestohlene Karten bargen das Risiko, zwischenzeitig gesperrt worden zu sein. Ein Betreten der in der Nacht von automatischen Türen geschlossenen Automatenstationen war dann unter Umständen nicht möglich. Es war das erste Mal, dass Daten verwendet wurden, die beim Skimming erlangt wurden. Und es war das erste Mal, dass es einen bedauernswerten Toten gegeben hatte. Der Druck auf die Polizei würde weiter ansteigen und Steinert bekam das ungute Gefühl, dass er mit seiner kleinen Sonderkommission an eine Grenze gestoßen war. Unschlüssig nahm er den Telefonhörer in die Hand, während er über das weitere Vorgehen nachdachte. Dann führte er mehrere kurze Gespräche hintereinander. Der Hauptkommissar trommelte seine Kollegen zusammen, es musste dringend über neue Strategien nachgedacht werden.

      6.

      Hinnerk Nissen machte es sich so gut es ging in seinem kleinen, dunkelgrünen Suzuki Geländewagen bequem. Er hatte die Seitenscheiben herunter gekurbelt, obwohl es sehr frisch war in dieser Nacht und man seinen eigenen Atem sehen konnte. Aber der Qualm seiner Zigarre wurde selbst ihm als Kettenraucher in dem kleinen Innenraum zu viel. Außerdem konnte er es dem Münsterländer, der hinten auf der winzigen Ladefläche kauerte, nicht zumuten. Über die Beine hatte er die schmuddelige Decke gelegt, die ständig hinten im Auto lag und in kalten Nächten beim Ansitzen auf Wild zum Einsatz kam. Genüsslich sog er den Rauch ein und versuchte, ihn in Form von kleinen Ringen wieder auszuatmen, was ihm aber nicht gelang. Wo er schon beim Genuss angelangt war, fiel ihm wieder die verbeulte, flache Metallflasche in seiner Jackentasche ein und er zog sie geübt hervor. Kurz bevor er von seinem Bauernhof aus losgefahren war, hatte er sie schnell noch heimlich mit Hochprozentigem aufgefüllt. Heimlich deshalb, weil es sonst womöglich am heftigen Veto seiner Ehefrau gescheitert wäre. Wenn er schon die Nacht zum Tage machte, wollte er wenigstens auf gewisse Annehmlichkeiten nicht verzichten. Vorsichtig führte er die Flasche zum Mund und widerstand dem Reflex, einen ordentlichen Schluck zu nehmen. Er beließ es bei einem Nippen, wusste er doch noch nicht, welche Überraschungen die Nacht für ihn bereithielt.

      „Willst du schon wieder los mitten in der Nacht?“ war Idas Reaktion gewesen, als sie bemerkte, dass er im Wohnzimmer nicht aufgestanden war, um zu Bett zu gehen, sondern im Flur verschwand, um sich die Stiefel und die Jacke anzuziehen. Der Jagdhund hatte ihn verraten, der drückte sich schwanzwedelnd in der Tür zum Flur herum und ließ sein Herrchen nicht mehr aus den Augen.

      „Na klar will ich los. Irgendwann erwische ich den Schweinehund schon, wirst sehen.“

      „Und was dann?“

      „Dann zeige ich ihn an, was sonst.“

      „Ach, du willst doch bestimmt nur einen zwitschern mit einem deiner Kumpanen.“

      Hinnerk winkte ab, leinte den Hund an und ging nach draußen.

      Seit ein paar Wochen entsorgte ein Unbekannter auf einem kleinen Wirtschaftsweg zwischen den Feldern des schleswig-holsteinischen Landwirtes seinen Bauschutt. Es musste sich um einen Bauherren handeln, der in einem der Neubauviertel im nahen Neumünster ein Haus baute. Anhand der Müllreste ließ sich der Baufortschritt problemlos nachvollziehen. Waren es zuerst Mörtelreste und Steine gewesen, folgten Styropor und andere Dämmmaterialien. Nissen rechnete damit, in den nächsten Tagen Tapetenreste oder Verschnitte von Fußbodenbelägen zu finden. Mit jedem Fund schwoll der Hals des Feldeigentümers, der wieder mühsam für Ordnung sorgen musste. Bevor die Hausbauarbeiten abgeschlossen waren, wollte er dem Verursacher auf die Füße steigen und schlug sich deshalb wieder einmal eine Nacht um die Ohren. Der Hund hatte seine Schnauze auf der Rückenlehne abgelegt und beobachte mit stoischer Ruhe seinen Herrn.

      Nach über einer Stunde, Mitternacht war gerade vergangen, drohte Hinnerks Aufmerksamkeit in einem leichten Schlaf zu versinken. Immer wieder fielen ihm die Augen zu, auch weil er noch etliche Male an der Taschenflasche genippt hatte. Nur im Unterbewusstsein nahm er eine Veränderung der Umgebung wahr. Ein schwacher Lichtschein wurde am Horizont sichtbar. Sofort war der Bauer wieder hellwach und rieb sich die Hände, um auch den Rest des Körpers wieder in Gang zu bekommen. Der Schein kam aus westlicher Richtung, von der tiefer liegenden Landstraße. Noch war er von der schwach ausgeprägten Erdkuppe verdeckt, aber er wurde beständig heller. Unwillkürlich zog der knapp sechzigjährige Landwirt den Kopf ein, obwohl er unmöglich gesehen werden konnte. Er hatte den kleinen Geländewagen über einen von tiefen Treckerspuren durchzogenen Seitenweg getrieben, der von einem normalen Pkw nicht befahren werden konnte und stand mit ihm im Schutz einer Feldhecke.

      „Na, da schau an“, meinte er zum Hund. „Jetzt kommen sie sogar schon mit zwei Autos.

      Zwei Fahrzeuge näherten sich auf dem Querweg der zur illegalen Mülldeponie verkommenen Stelle. Hinnerks Gemütszustand schwankte zwischen Aufregung und Enttäuschung. Zwei Autos konnte auch bedeuten, dass sich ein Liebespaar an dem von ihm beobachteten Platz traf. Und das würde heißen, dass sein Aufwand nicht belohnt werden würde, die beiden Wagen würden den Abfallentsorger vertreiben und ihm bliebe am Ende nur, Präservative, Taschentücher und leere Flaschen von seinem Grund und Boden zu entsorgen, was auch nicht zum ersten Mal geschehen war.

      Noch bevor die Fahrzeuge die von ihm erwartete Position erreichten, hielten sie an. Durch die Hecke hindurch konnte der Bauer mit Hilfe des sich heller abzeichnenden Himmels sehen, dass es sich um einen Kombi und einen größeren SUV handelte. Fieberhaft überlegte Hinnerk, was er unternehmen sollte. Einem Pärchen die ganze Zeit zuzuschauen war nicht seine Art, also beschloss er, nur noch kurz zu warten, wie sich das Geschehen entwickeln würde, um dann einzugreifen.

      „Na wartet, ihr Vögel. Gleich seid ihr dran.“

      Sein entschlossener Ton veranlasste den Münsterländer hinter ihm, den Kopf anzuheben und verhalten zu knurren.

      Als die Lampen der fremden Autos erloschen, konnte er durch den Hintergrund des helleren Nachthimmels erkennen, dass sich die Fahrertüren beider Autos öffneten und jeweils eine Person ausstieg. Bei keinem der Wagen ging die Innenbeleuchtung an, was den Beobachter in seiner Meinung bestärkte, auf der richtigen Spur zu sein. Wer nichts zu verbergen hatte, musste die Beleuchtung nicht ausstellen. Der Fahrer des Kombi trat an das Heck des Fahrzeugs und öffnete die Klappe, Nissen richtete sich weiter