Angst macht große Augen. L.U. Ulder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: L.U. Ulder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738016017
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Eingangs stand. Für jemanden, der zufällig vorbei fuhr und nur flüchtig herüber schaute, war er nicht mehr zu sehen. Der Mann trug eine schwarze Regenjacke. Die Kapuze war tief in das Gesicht gezogen, obwohl der Regen endlich aufgehört hatte.

      Der Kapuzenkopf wanderte bedächtig von links nach rechts. In dem einzigen bewohnten Haus, das direkt gegenüberstand, brannte kein Licht mehr, die Bewohner waren schon vor Stunden schlafen gegangen. Die Häuser rechts und links davon waren in den oberen Stockwerken mit Büros belegt, deren gardinenlose Fenster wie dunkle Höhlen wirkten. Die Schaufenster der ebenerdigen Geschäfte leuchteten nur schwach. Die Straße wirkte wie ausgestorben.

      Auf dem Parkplatz schräg gegenüber des Eingangs stand seit einigen Minuten ein schwarzer BMW Kombi. Im Inneren flammte dreimal ein Feuerzeug auf, durch die Regentropfen auf den Scheiben bizarr verzerrt.

      Der Mann am Eingang nickte, obwohl das niemand sehen konnte. Er trat einen Schritt vor, kam aus dem Dunkel heraus und schob mit der linken Hand eine EC-Karte in den elektronischen Türöffner. Mit leisem Surren glitten die beiden Glasflügel auseinander. Während er in den SB-Bereich der Bank hinein ging, schüttelte seine rechte Hand eine Farbspraydose.

      Keine dreißig Sekunden später tauchte er wieder bei den Glastüren auf. Diesmal blieb er stehen und verhinderte so, dass sie sich wieder schließen konnten. Am BMW öffneten sich die Türen.

      In diesem Moment bog ein Kleinwagen in die Straße ein, wurde langsamer und fuhr auf den Parkplatz der Bank. Seine Scheinwerfer tasteten beim Einfahren in eine der Parkboxen den weiter links stehenden BMW ab. Als er stand, leuchteten sie genau in die Ecke, in die sich der Kapuzenmann geflüchtet hatte. So flach es ging, drückte der sich an die Wand. Mit lautem Scheppern rutschte ihm dabei die Farbspraydose aus der Tasche. Sie rollte quer über die Pflasterung des Gehweges und blieb erst an einem Fahrradständer hängen. Gleichzeitig flog die Fahrertür des kleinen Autos schwungvoll auf. Ein junger Mann in Jeans und weißen Sportschuhen stieg aus. Er trug eine Baseballkappe und strebte mit tänzerischen Bewegungen auf den Eingang zu. Er schaute nicht nach links und nicht nach rechts und schien seine Umgebung nicht wahrzunehmen. Nur bei genauerem Hinsehen ließen sich die weißen Minikopfhörer in seinen Ohren entdecken.

       *****

      Hermann Radtke, seit mehr als zehn Jahren im Ruhestand, schlief schon seit einigen Tagen unruhig, weil ihm das Kniegelenk Probleme bereitete. Ein tauber, undefinierbarer Schmerz trieb ihn immer wieder in der Nacht aus dem Bett. Er hatte das Gefühl, dass es ihm Linderung brachte, wenn er sich bewegte und einige Runden in seiner Wohnung drehte. Seine Ehefrau, die von diesen Touren regelmäßig geweckt wurde, zog dann genervt die Bettdecke bis über die Ohren.

      Während Hermann in seiner gestreiften Schlafanzughose und dem Baumwollunterhemd vom Wohnzimmer durch den Flur bis in die Küche ging, blieb er immer wieder stehen, hob den Fuß und vollführte die Bewegungen, die ihm der Therapeut gezeigt hatte. Beleuchtung benötigte er dabei nicht. Von den Straßenlaternen drang genügend Licht durch die Gardinen der vorhanglosen Fenster.

      Wenn er bei seinen Runden in der Küche ankam, schaute er jedes Mal hinter der feinen Gardine aus dem Fenster. Der dunkle BMW, der vor der Bank auf der anderen Straßenseite parkte, war ihm sofort aufgefallen.

      Bei seiner zweiten Runde stand auf einmal ein weiteres Auto, ein silberner Kleinwagen auf dem Parkplatz.

      Die Aktivitäten dort unten nahm er jedoch zunächst nicht wahr. Immer, wenn er hinunterschaute, herrschte gerade Ruhe.

      Als nach seiner nächsten Runde beide Pkw immer noch dort standen, ging er beunruhigt ins Schlafzimmer.

      „Dort unten parken schon wieder Autos, zwei Stück, schon ganz schön lange. Ich glaube, ich sollte die Polizei anrufen.“

      Wie selbstverständlich ging er davon aus, dass seine Frau von seinen nächtlichen Aktivitäten wach geworden war.

      „Das lässt du schön bleiben“, knurrte sie folgerichtig unter der Bettdecke hervor. „Du weißt doch noch, was dir der Beamte beim letzten Mal gesagt hat.“

       *****

      Der musikhörende junge Mann kehrte zurück. Ohne ein Anzeichen, dass ihm etwas aufgefallen war, ging er wippend auf sein Auto zu und stopfte dabei Geldscheine in ein Portemonnaie. An seinem Wagen blieb er stehen und fummelte, ohne seine Tanzbewegungen zu unterbrechen, das Portemonnaie in die rechte Gesäßtasche. Er stieg in sein Gefährt ein und wippte weiter mit dem Kopf. Schließlich fuhr er davon, innerhalb von Sekunden kehrte Ruhe ein.

      Der Mann im Schatten trat wieder hervor, gab hektische Handzeichen und öffnete erneut die Glastüren. Einen Fuß stellte er so, dass ihn der Türkontakt erfasste.

      Die beiden rechten Türen des BMW flogen auf. Zwei ebenso mit Kapuzen vermummte Männer stiegen aus und bewegten sich schnell in die Bank hinein. Der Erste, ein durchtrainiert wirkender Mann, hielt eine dunkle Tasche in der Hand, wie sie von Sportlern verwendet werden. Der zweite Mann ging schwerfällig, was nicht nur an seiner korpulenten Figur lag. An der großen Gasflasche hatte er schwer zu tragen. Am Kopf der Flasche war ein Schlauch befestigt, der in einem langen Metallrohr endete. Als beide Männer im Gebäude verschwunden waren, trat der Komplize aus dem Kontaktbereich des Türöffners heraus. Die Glasflügel schoben sich zusammen, der Mann drückte sich zurück in den Schatten und beobachtete die Umgebung. Die beiden Männer in der Bank benötigten länger als ihr Komplize zuvor. Es dauerte quälend lange Minuten, bis sie wieder auftauchten. Der Sportliche trat schnell heraus und drückte sich mit in den Schatten neben dem Eingang. Der Korpulente kam rückwärts und gebeugt heraus. Er führte einen dünnen Draht aus dem Inneren des Gebäudes heraus und achtete darauf, dass ihn die automatischen Türflügel nicht erfassten. Der zweiadrige Draht war an den Enden aufgezwirbelt, in der anderen Hand hielt er einen kleinen rechteckigen Gegenstand. Der Mann schaute sich nach allen Seiten um und horchte in die Nacht hinein.

      Für einen kurzen Augenblick herrschte in der Straße wieder die gleiche, schläfrige Stille wie vor dem Eintreffen des Kombis.

      Als er den Draht und den kleinen Gegenstand zusammenführte, erschütterte ein ohrenbetäubender Knall die kleine Bankfiliale. Die Druckwelle riss die Glastüren aus ihrer Halterung und ließ deren Elektronik verrückt spielen. Der linke Flügel öffnete sich ruckelnd und blieb auf halbem Wege stehen, der rechte hing schief und drohte, ganz herauszufallen.

      Sofort liefen der Sportliche und der Dicke zurück in die Bank.

       *****

      Ja, Hermann Radtke wusste noch zu genau, was ihm der Beamte in jener Nacht im verärgerten Ton zugezischt hatte. Es ging um seinen Anruf wegen einer verdächtigen Beobachtung, mal wieder. Die beiden Streifenwagen, die kurz darauf eintrafen, erwischten ein Liebespaar inflagranti. Einer der Streifenbeamten machte ihn ungehalten an, dass er nicht jedes Mal aus einer Mücke einen Elefanten machen sollte. Wegen ihm hätten sie einen anderen wichtigen Einsatz abgebrochen. Und wenn er nicht damit aufhörte, wegen seiner eigenen Schlaflosigkeit andere Leute zu belästigen, könnte man ihm auch zukünftige Einsätze in Rechnung stellen.

      In Rechnung stellen, diese unverhohlene Drohung wirkte bei ihm lange nach. Um Rechnungen für Polizeieinsätze zu bezahlen, war seine Rente entschieden zu niedrig. Also versuchte er, ganz entgegen seinem Naturell, die Beobachtung zu ignorieren und drehte erneut eine Runde. Hinten im Wohnzimmer, an der vom Küchenfenster am weitesten entfernten Stelle, vernahm er auf einmal einen dumpfen Knall. Es kam ihm vor, als hätte es vorn auf der Straße einen Unfall gegeben. Er unterbrach seine Übung, drehte sich um und bewegte sich schwer atmend zurück. Vorsichtig spähte er durch den Stoff nach unten. Vor der Bank war alles ruhig, genauso wie zuvor. Aber der Kleinwagen war verschwunden.

      Die krumm und schief hängenden Glasflügel vermochte er wegen seiner altersbedingten Sehschwäche nicht erkennen. Er sah aber, dass die vertikalen Lamellen der Jalousien im Bankvorraum nicht mehr ordentlich und plan hingen. Durch die entstandenen Lücken konnte er auf dem Hintergrund des hellen Fußbodens im Gebäude Bewegungen wahrnehmen.

      Sein Blick wanderte unschlüssig vom Fenster zur kleinen Anrichte mit dem Telefon. Hermann Radtke entschied sich, der Sache zunächst selbst auf den Grund zu