Angst macht große Augen. L.U. Ulder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: L.U. Ulder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738016017
Скачать книгу
alten Pantoffeln, strich sich noch einmal über das dünn gewordene, graue Haar und verließ die Wohnung. Auf die Flurbeleuchtung verzichtete er. Vorsichtig tastete er sich am Handlauf nach unten.

       *****

      Der Mann direkt neben dem Eingang zur Bank sondierte die Umgebung. Nirgends schien es eine Reaktion auf die Sprengung gegeben zu haben, die Fenster der gegenüberliegenden Häuser blieben dunkel. Einen Moment lang glaubte er, hinter einer Gardine im Obergeschoss eine Bewegung gesehen zu haben und behielt die Stelle im Auge. Als aber alles dunkel blieb, konzentrierte er sich wieder auf die Straße.

      Der Mann auf dem Fahrersitz des BMW hustete ständig. Trotz seiner leichten Sommergrippe rauchte er eine Zigarette, was den Hustenreiz noch erhöhte. Die linke Seitenscheibe war einen spaltbreit geöffnet, regelmäßig drang eine feine Rauchwolke nach außen, begleitet von den Geräuschen eines festsitzenden Hustens. Er war nicht, wie seine Komplizen, vermummt. Durch die Scheiben ließen sich seine hellen, kurzen Haare erkennen. Im Inneren des Bankvorraumes waren die beiden Komplizen damit beschäftigt, Geldscheine in die Sporttasche zu stopfen. Die von der Gasexplosion ausgelösten Schäden an den beiden Geldausgabeautomaten hatten sie zuvor mit Brechstangen bearbeitet, bis sie an die Kassettenschächte herangekommen waren.

      Der Posten am Eingang reckte seinen Hals noch weiter um den Mauervorsprung, um das Geschehen im Inneren besser beobachten zu können.

      Erst eine wütende Stimme erinnerte ihn an die ihm zugewiesene Aufgabe. Ruckartig drehte er den Kopf und sah einen alten Mann schräg über die Straße auf den BMW zugehen. Er hielt die rechte Hand zur Faust geballt in die Höhe.

      Den Wortschwall, der ihm entgegen kam, verstand der Posten nur teilweise, das Wort Polizei tauchte unzweifelhaft darin auf. Kurz bevor der Mann den BMW erreichte, flog dessen Fahrertür auf. Der Fahrer hatte sich mit dem Oberkörper nach links heraus gedreht und hielt etwas in der Hand.

      Ein Schuss peitschte durch die Straße.

      Der alte Mann blieb schlagartig stehen, sein Gesicht verzerrte sich erschrocken, die rechte Hand tastete wie in Zeitlupe an das Heck des BMW, um Halt zu suchen, die linke wanderte zur Brust. Ein weiterer Schuss fiel, lautlos sackte er zu Boden.

      Die beiden Männer in der Bank kamen herausgelaufen, einer trug die Sporttasche, der Dicke Brechstangen und die Gasflasche. Sie liefen um das Auto herum, rissen die Heckklappe auf und warfen die Gegenstände hinein. Gleichzeitig löste sich der Mann aus dem Schatten und bewegte sich schnell auf die Fahrerseite des Wagens zu. Er warf einen Blick auf den Mann am Boden liegenden Mann, sah die beiden Einschusslöcher in der Brust und im Bauch, aus denen Blut sickerte und beugte sich nach unten. Der Mann atmete noch, der Mund war wie die ins Leere starrenden Augen weit aufgerissen, der Brustkorb hob und senkte sich. Der Fahrer brüllte etwas durch den Fensterspalt und riss ihn so von dem Sterbenden weg. Er kletterte hinter dem Fahrer ins Auto, der bereits den Motor aufheulen ließ. Mit viel zu viel Gas und quietschenden Reifen wurde der Wagen zurückgesetzt, stieß mit dem Rad gegen einen Widerstand und rumpelte darüber hinweg. Der Fahrer fluchte und schaltete wie wild. Das Auto machte einen Satz, als es im ersten Gang voll beschleunigt wurde. Erneut fuhr es über einen Widerstand. Mit lautem Motorengeräusch schlitterte es über den Parkplatz und verschwand mit den Insassen in der Dunkelheit.

      4.

      Lutz Papenkamp kam mit Fahrrad und einem kleinen Anhänger aus einer der Seitenstraße angefahren. Im Anhänger und in den prall gefüllten Satteltaschen befanden sich Tageszeitungen. Es war kurz vor 03.00 Uhr morgens, seine Runde hatte gerade erst begonnen. Er konnte hören, wie in einiger Entfernung ein Motor aufheulte und Reifen quietschten. Achselzuckend schüttelte er den Kopf. Wohin der unbekannte Wagen fuhr, konnte er nicht sehen, das Geräusch entfernte sich und wurde rasch leiser. Gleich darauf war es nicht mehr zu hören. Als er vom wieder einsetzenden Regen die ersten Tropfen ins Gesicht bekam, ließ er mit der rechten Hand den Lenker los und zog sich die Kapuze seiner Regenjacke über den Kopf. Mit stoischem Tempo radelte er weiter. Erst im letzten Moment fiel ihm der alte Audi A6 auf, der quer auf der Durchfahrtsstraße des Ortes stand. Obwohl er mit seinem Fahrrad bequem daran vorbei gekommen wäre, ließ er das Rad ausrollen und fuhr neugierig dichter an das Fahrzeug heran. Vorn saß niemand, Fenster und Türen waren geschlossen. Er blickte sich um, konnte aber weit und breit niemanden sehen, der zu dem Auto gehörte, das die Hauptstraße blockierte.

      Er schimpfte etwas, das sich anhörte wie „diese verdammten Besoffenen“ und wollte schon weiterfahren, als er im Inneren des Pkw etwas Merkwürdiges wahrnahm. Es kam ihm vor wie ein schwacher Lichtschein. Die hinteren Scheiben waren mit Folie abgedunkelt, also musste er von schräg vorn in den Innenraum hineinsehen. Sein Anhänger verhinderte, dass er dicht genug herankam. Er beugte sich weit vorn und kam aus dem Gleichgewicht. Zusammen mit dem Rad kippte er seitlich gegen den Wagen. Jetzt sah er ein schwaches Glimmen auf der Rücksitzbank, das an seinem eigenen Rauch zu ersticken drohte.

      Nochmals schaute er sich hilfesuchend um, fasste an die verriegelte Tür, dann trat er in die Pedale, weil er kein Handy besaß. Er musste zur Bankfiliale an der nächsten Straßenecke fahren, dort war das einzige noch verbliebene öffentliche Telefon im Ort, ein Wandapparat mit einer Plastikhaube.

      „Hallo. Mein Name ist Papenkamp. Ich bin der Zeitungsausträger hier im Ort. Ich trage die Zeitungen immer mit meinem Fahrrad und dem Anhänger aus. Was? Ja, ja, ich komme ja zur Sache. Hier steht mitten auf der Straße ein brennendes Auto. Welche Straße? Na, die Hauptstraße eben, die Ortsdurchfahrt. Warten Sie, ich schaue nach.“

      Vor Aufregung fiel ihm nicht der Straßenname ein, obwohl er in ihr mehrere Abnehmer seiner Zeitungen hatte. Durch die Regentropfen auf den Scheiben der Überdachung konnte er nichts erkennen. Er legte den Hörer zur Seite und trat einen Schritt heraus. Seine Augen suchten nach den Straßenschildern, dabei sah er im Augenwinkel auf dem Parkplatz vor dem Bankeingang einen Körper liegen.

      „Hier liegt auch einer, sehe ich gerade. Direkt vor der Bank. Der gehört bestimmt zu dem Auto.“

      Papenkamp hängte den Hörer ein. Dass er den Straßennamen nicht weitergemeldet hatte, war ihm völlig entgangen. Vorsichtig ging er die letzten Schritte auf die Person zu. Er erkannte, dass es ein Mann war, der zu einer Straßenjacke Pantoffeln und eine Schlafanzughose trug. Weil der Mann mit unnatürlich verdrehten Beinen auf der Seite lag und ihm den Rücken zeigte, konnte er die Verletzungen nicht sehen. Widerstrebend, beinahe ängstlich ging er in die Hocke.

      „He, Sie. Sie können hier nicht liegen. Sind Sie betrunken?“

      Keine Antwort, unbeholfen tastete er mit den Fingern an der Halsschlagader.

      Zur Sicherheit fasste er noch an das Handgelenk am ausgestreckten Arm, aber auch da war kein Puls mehr zu fühlen.

      „Tot“, sagte er zu sich. „Mausetot.“

      Damit stand er auf und brachte sich vor dem immer heftiger werdenden Regen im Vorraum der Bank in Sicherheit. Mit zittrigen Fingern steckte er sich eine Zigarette an. Dass die Schiebetür außer Betrieb und beschädigt war, fiel ihm ebenso wenig auf wie das von der Explosion angerichtete Chaos.

      5.

      Der Anruf erreichte Hajo Steinert um kurz nach 05.00 Uhr. Der achtunddreißigjährige Leiter der Ermittlungsgruppe 'Automat' des Hamburger LKA hatte sich mit seinen Kollegen an fünf geeigneten Banken innerhalb des Stadtgebietes von Hamburg die Nacht um die Ohren geschlagen. Verdeckt lagen sie auf der Lauer, um die der Auswertung nach am wahrscheinlichsten infrage kommenden Objekte zu observieren. Bereits der siebte nächtliche Einsatz dieser Art, verbunden mit einem enormen personellen Aufwand. Sondereinsatzkräfte hielten sich für den Zugriff bereit. Es blieb ruhig, von den Tätern keine Spur, also brach er den Einsatz um 04.30 Uhr ab. Nach der Analyse der bisherigen Straftaten, und das waren nicht wenige, würde ab dieser Zeit nichts mehr geschehen. Die Stadt erwachte nach und nach und immer mehr Menschen würden auch die Selbstbedienungsschalter der Banken benutzen. Steinert, der verheiratet war und zwei Kinder hatte, freute sich auf sein Bett. Er wollte sich ein paar Stunden aufs Ohr hauen, um gegen Mittag wieder in der Dienststelle zu sein.