Angst macht große Augen. L.U. Ulder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: L.U. Ulder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738016017
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Hamburg Freunde, bei denen er sein kann?“

      „Weiß nicht. Habe alle angerufen, die ich kenne. Aber Aza hat Handy. Ist aber immer ausgestellt oder er nicht dran geht. “

      Valerie ließ sich die Handynummer geben und notierte sich die Nummer, den Namen und die Anschrift der Frau.

      Die bedankte sich überschwänglich und ging schwerfällig zur Straße. Die Detektivin sah ihr nach, bis sie hinter einer Hausecke verschwand.

      „Wer war die Frau?“

      Zoé war neben sie getreten, ohne dass sie es bemerkt hatte.

      „Ach, niemand. War nur zufällig hier.“

      Die Kleine schaute sie prüfend an.

      „Anna hat gesagt, du sollst nicht arbeiten, wenn sie im Urlaub ist. Damit nicht wieder etwas Schlimmes passiert.“

      Damit nicht wieder etwas Schlimmes passiert, echote es in ihrem Kopf. Es war immer noch nicht raus aus dem Kopf der Kleinen, obwohl es schon solange her war und sie den Eindruck gewonnen hatte, dass sie es gut verarbeitet hatte. In den ersten Wochen nach der Entführung hatte Zoé nur mit Licht schlafen wollen, aber zum Glück gab sich das irgendwann. Und dass sie beide um ein Haar mit dem alten Kutter in der Nordsee versunken und ertrunken wären, wenn die Kampfschwimmer nicht rechtzeitig aufgetaucht wären, bemerkte die Kleine nicht, weil ihr die Sicht durch den Stoffsack genommen war. Das hatte Valerie zumindest angenommen und sich in allen Gesprächen mit der Psychologin bestätigt gefühlt. Aber irgendwo ganz tief in ihrem Inneren war das Urvertrauen noch lange nicht wieder hergestellt.

      „Ach, so ein Quatsch. Ich arbeite doch nicht. Hab mich nur unterhalten. Komm mal her zu mir.“

      Sie zog Zoé fest an sich heran, wollte sie drücken, aber die wehrte sich und stellte mit den Ellenbogen genügend Abstand her, dass sich beide in die Augen schauen konnten.

      „Die Frau war böse.“

      „Ach was. Wie kommst du denn darauf?“

      „Doch, sie war ganz böse. Rede nicht mehr mit ihr.“

      „Wie kommst du denn darauf, du hast sie doch kaum gesehen. Man darf Menschen nicht so schnell verurteilen.“

      „Die aber schon. Die hatte böse Augen.“

      8.

      „Na, habe ich dich geweckt, du alte Schlafmütze?“

      „Quatsch“, knurrte Net ins Handy.

      „Na komm, sei ehrlich. Ich musste es lange klingeln lassen“, stichelte Valerie weiter.

      „Bin am Arbeiten. Spätschicht. Was denkst du denn? Da kann ich nicht alles stehen und liegen lassen.“

      In Wahrheit schaute er seinem Arbeitskollegen Sultan über die Schulter, der ein Computervirus aufgespürt hatte und es analysierte. Deshalb war er nicht gleich dran gegangen, in der Hoffnung, der Anrufer würde es irgendwann aufgegeben. Wenn er gesehen hätte, dass es Valli war, hätte er es sich sparen können. Die ließ immer bis Anschlag klingeln, weil sie ihm aus irgendeinem Grund immer wieder unterstellte, dass er ständig im Bett liegen würde.

      „Ok, ok, ich will nicht mit dir streiten. Ich brauche mal deine Hilfe. Du musst rausbekommen, wo sich der Besitzer dieser Handynummer aufhält.“

      Sie gab ihm die Nummer durch, die sie von der Russin bekommen hatte.

      „Ich dachte, du machst auch eine kleine Pause, während Anna und Stefan im Urlaub sind.“

      „Das ist ja interessant. Hat sie dich auch aufgehetzt? Genauso wie die Kleine. Glaubt ihr alle, ich kann nicht auf mich selbst aufpassen?“

      „Ja.“

      Valerie wartete, ob noch etwas kam, aber Net beschränkte sich auf das knappe Ja und zeigte ihr so ganz deutlich, dass er es nicht witzig gemeint hatte.

      Mit den verärgerten klingenden Worten 'meld dich bei mir' trennte sie das Gespräch.

       *****

      Sultan strich sich über den glattrasierten Schädel und massierte danach seinen Dreitagebart.

      „War das deine Zweitchefin, Mann?“

      „Ja.“

      Net war wortkarg wie immer.

      „Was wollte sie denn?“

      „Dass ich den Typen zu dieser Nummer finde.“

      „Zeig her, das dürfte doch das kleinste Problem sein.“

      Er grabschte nach dem Zettel, startete ein Programm und gab in unglaublicher Geschwindigkeit Zahlen und Befehle mit seinen viel zu dicken Fingern ein.

      „Die sieht echt gut aus, Mann. Ob die mal mit mir ausgeht? Ich hätte ja noch was gut bei ihr.“

      „Glaub nicht.“

      „Warum nicht? Bin ich zu dick?“

      Er richtete sich gerade auf und strich über seinen mächtigen Bauch.

      „Nein. Die geht mit keinem aus. Weiß auch nicht, warum.“

      „Oh Mann, was für ein Verlust. So eine schöne Frau.“

      Sein runder Kopf schnellte nach vorn in Richtung Bildschirm.

      „Hier, da ist er schon. Aber ausgestellt.“

      „Geh mal auf seine letzten Gespräche. Mal sehen, an welchem Sendemast er dran hing.“

      Gemeinsam verfolgten der rundliche Türke und der dünne Net im Großraumbüro des Providers die Zahlenreihen auf dem Monitor. Die letzten Gespräche des Unbekannten waren alle von ein und demselben Masten aufgefangen worden.

      „Er telefoniert immer gegen 20.00 Uhr. Wenn wir Glück haben, macht er das heute auch. In zwei Stunden ist es soweit. Sobald er einschaltet, schicke ich ein paar stille SMS raus, dann wissen wir, wo er steckt. Wohin telefoniert er überhaupt?“

      Zusammen entschlüsselten sie die Zahlencodes und kamen auf ein eindeutiges Ergebnis.

      „Er ruft in Russland an, in Grosny. Und seinen Namen bekommen wir auch nicht heraus.“

      Jetzt massierte der gesichtsblinde Net seinen Kinnbart, während seine ausdruckslosen Augen über Sultans Gesicht wanderten, ohne die Konturen wahrnehmen zu können.

      „Das sieht wieder verdammt nach Ärger aus.“

      9.

      Der Kaffee war bereits kalt geworden, als er sich endlich daran erinnerte, irgendwann eine volle Tasse vor sich stehen gehabt zu haben. Angewidert verzog er sein Gesicht. Hajo Steinert war zuvor viel zu sehr in den Unterlagen versunken, die vor ihm ausgebreitet auf dem Tisch lagen. Das mehrseitige Fax, das ihm die niedersächsischen Kollegen hatten zukommen lassen und die eigenen Ermittlungsakten, Vermerke, Spurenakten, die sich über die zusammengeschobenen Tische im Großraumbüro der Ermittlungsgruppe verteilten. Für ihn gab es keinen Zweifel, dass es sich um die Tätergruppe handelte, die bereits in Hamburg mehrfach zugeschlagen hatten. Das Vorgehen der Täter sprach eine deutliche Sprache. Der gestohlene und in Brand gesetzte Wagen als Straßensperre, die mit Lack übersprühten Überwachungskameras, die professionell gewählte Menge an Gas zum Sprengen der Automaten. Die Spurenlage selbst war äußerst dürftig, wie eigentlich an jedem Tatort dieser Gruppierung. Die Kameras registrierten, unmittelbar, bevor sie außer Gefecht gesetzt wurden, eine dunkel gekleidete Person, deren Gesicht von einer Kapuze verdeckt wurde. Zügig betrat der Mann, anhand der Körpersprache musste es ein Mann sein, den Selbstbedienungsbereich und bewegte sich zielstrebig auf die Überwachungsgeräte zu. Ohne in die Kamera zu schauen, hob der Mann den Arm und machte die Geräte mit dem Lack unbrauchbar. Die Videos endeten jeweils mit der Großansicht einer Spraydosendüse, dann wurde es dunkel. Die einzige und allererste auswertbare Spur aller bisherigen Fälle war die DNA-Anhaftung an