Angst macht große Augen. L.U. Ulder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: L.U. Ulder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738016017
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      „Ein Toter?“

      „Wann?“

      „Warum bekommen wir erst jetzt Bescheid? Hast du die genaue Anschrift?“

      „Ich fahre sofort hin.“

      Er stellte in der Navi die Adresse ein, die ihm der Kollege genannt hatte, suchte während der Fahrt mit der freien Hand unter seinem Sitz, bis er das Magnetblaulicht zu fassen bekam und setzte es aufs Dach. Unter nervtötendem Sirenengeheul bahnte er sich seinen Weg durch den dichter werdenden Verkehr, erst über A 255 und A 1, am Horster Dreieck wechselte er auf die A 7 in südliche Richtung.

       *****

      Der Hauptkommissar ließ den Wagen auf dem Gehweg ausrollen. Die Sirene hatte er bereits bei der Einfahrt in den kleinen Ort ausgestellt und sich mit dem Blaulicht begnügt. Auch das verschwand jetzt wieder in der Halterung.

      Er hielt seine Dienstmarke deutlich sichtbar hoch und ging auf einen uniformierten Kollegen zu, der in seinem Streifenwagen saß und eher gelangweilt herüber schaute.

      „Steinert, LKA Hamburg. Sie haben doch nichts dagegen“, setzte er voraus und hob die rot-weiß schraffierte Absperrung an. Er ging weiter über die Parkfläche auf den Eingang der Bank zu. Halb links sah er den Toten liegen. Eine graue Plane bedeckte den Leichnam. Auf der anderen Seite der Absperrung standen zwischen einer Handvoll Schaulustiger zwei Herren in schwarzer Kleidung. Die Bestatter waren bereits vor Ort, die Spurensuche dürfte demzufolge so gut wie abgeschlossen sein.

      Ein stämmiger Mann in brauner Lederjacke, den Steinert wegen eines in der Hand gehaltenen Klemmbrettes problemlos als Kollegen identifizieren konnte, redete mit einer Frau an der Absperrung. Den Neuankömmling schien er bemerkt zu haben, er hatte sich seitlich gedreht und schaute, während er seiner Gesprächspartnerin zuhörte, immer mal wieder aus den Augenwinkeln herüber.

      Hajo Steinert blieb in gebührendem Abstand stehen, um nicht Gefahr zu laufen, eventuell doch noch nicht gesicherte Spuren zu zerstören. Als der Kollege in der Lederjacke auf ihn zu kam, hielt er ihm seine Marke entgegen.

      „Steinert. LKA Hamburg.“

      „LKA Hamburg“, wiederholte der Kollege grinsend. „Ist eure Navi kaputt gegangen oder macht ihr neuerdings Tatorttourismus?“

      „Weder noch.“

      Steinert blieb völlig neutral. Sticheleien dieser Art war er als Angehöriger einer Sonderdienststelle gewohnt. Er erklärte dem Kollegen schnell und professionell den Grund seines Erscheinens. Der nickte nur gelegentlich, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen.

      „Und jetzt meinst du, dass der Job von den Jungs gemacht wurde, auf die ihr scharf seid?“

      „Wer weiß. Wir haben in dieser Nacht damit gerechnet, dass sie wieder zuschlagen und haben auf Lauer gelegen. An fünf Positionen hätten wir sie ordentlich in Empfang nehmen können. Wenn sie es waren, sind sie noch nie soweit außerhalb Hamburgs in Erscheinung getreten, zumindest nicht, dass wir davon wüssten. Erzähl doch mal, was ihr habt.“

      Der Kollege schob ihn zu seinem Zivilwagen, gemeinsam nahmen sie auf den Vordersitzen Platz. Hans-Jürgen Schrader atmete schwer, erst jetzt im Sitzen fiel Steinert dessen mächtiger Bauch auf, der sich über den Gürtel schob.

      „Okay“, fing Schrader an. „Beginnen wir chronologisch. Die Täter haben einen vor zwei Tagen in Hamburg gestohlenen Audi mit ebenfalls in Hamburg gestohlenen Kennzeichen versehen und ihn auf der Zufahrtsstraße, von der am ehesten mit Polizei zu rechnen wäre, quer abgestellt. Auf den Rücksitz haben sie einen Grillanzünder geworfen und angesteckt. Hat aber aus irgendeinem Grund nicht richtig funktioniert, es schwelte nur. Zumindest ihr Hauptziel haben sie erreicht, alle möglicherweise vorhandenen Spuren sind vom Rauch zerstört worden. Danach folgte das altbekannte Muster. Einleiten von Gas in die beiden Geldautomaten und Zündung mit einem elektrischen Impuls. Der Nachbar aus dem Haus gegenüber hat zwei verdächtige Fahrzeuge gesehen, das konnte uns zumindest seine Frau noch erzählen, bevor sie zusammengebrochen ist. Ihr Mann war wohl der Oberverdachtschöpfer hier in der Straße und hat regelmäßig bei der Polizei angerufen. Warum der alte Mann ausgerechnet hier selber losmarschiert ist, ist mir ein Rätsel.“

      „Einen Toten hatten wir noch nie. Es gab erst einen Fall mit Schusswaffengebrauch, den wir zweifelsfrei unserer Bande zuordnen können. Da haben sie in die Luft geschossen, als sich ein Zeuge am Fenster bemerkbar gemacht hat.“

      „Hier haben sie sich nicht damit aufgehalten. Zwei Schuss in Bauch und Brust, er muss ziemlich schnell tot gewesen sein. Und so wie der Leichnam aussieht, scheinen sie mit dem Auto zweimal über seine Beine gefahren zu sein.“

      Steinert massierte sich nachdenklich das Kinn.

      „Er liegt bereits auf dem Parkplatz, ist also ziemlich dicht herangekommen. Vielleicht hat er sie überrascht. Oder es gibt ein neues Bandenmitglied, falls sie es tatsächlich waren. Das mit dem Auto als Sperre läuft bei unseren Zielpersonen auch immer so. Mir ist aufgefallen, dass sich die Schäden am Objekt in Grenzen halten. Auch das ist eine Übereinstimmung, Anfänger leiten Unmengen von Gas ein und beschädigen ganze Gebäude. Habt ihr einen Zünder gefunden?“

      Schrader verdrehte die Augen.

      „Beinahe nicht. Der Trottel von Zeuge, der den Wagen und den Toten entdeckt hat, wollte nicht nass werden. Also hat er sich in den Vorraum gestellt und auf die Kollegen gewartet, die durch die Alarmauslösung bereits auf dem Weg waren. Er hat geraucht, die Asche auf den Boden geschnippt, die Zigarette hinterher, ist ab und zu mal rausgegangen und hat geschaut, wo die Polizei bleibt. Dabei hat er Fußspuren über Fußspuren gelegt. Das Lautsprecherkabel, das die Täter für die Zündung benutzt haben, ist ihm aufgefallen. Er hat es aus den Automatenresten gezogen, zusammengerollt und in die Tasche gesteckt. Nur weil es herausbaumelte und einem Kollegen auffiel, konnten wir es ihm wieder abnehmen. Am liebsten hätte ich ihn wegen Beihilfe oder Strafvereitelung eingesackt.“

      „War an dem Kabel noch ein Zünder befestigt?“

      „Ja. Ein Brückenzünder, vermutlich mit einer Batterie ausgelöst.“

      „Habt ihr Sprühlack auf den Kameras festgestellt?“

      „Dazu wäre ich jetzt gekommen. Drei Überwachungskameras wurden sauber überlackiert. Mal sehen, was die Aufnahmen davor noch zeigen. Aber wir haben immerhin die Spraydose gefunden, sie wurde weggeworfen oder ist versehentlich auf den Boden gefallen. Gleich neben dem Eingang.“

      „Verloren. Absichtlich lassen die nichts zurück. Ich bin gespannt, was die Auswertung des Türöffners ergibt. Mal sehen, wo die Karte gestohlen wurde. Hier ist meine Visitenkarte. Wenn der Mord nicht wäre, könnte ich dir zusagen, dass wir übernehmen. Aber so wird das sicher nichts.“

       *****

      Unbemerkt von den beiden Kripobeamten trat eine schmale Frau an den Streifenwagen heran, der immer noch in der Zufahrt zum Parkplatz stand. Der Polizeibeamte schaute genervt, während er die Seitenscheibe nach unten gleiten ließ.

      „Nun schauen Sie doch nicht so böse. Wir machen doch auch nur unsere Arbeit. Und Sie freuen sich doch auch, wenn Sie morgens eine frische Zeitung auf dem Frühstückstisch liegen haben“, nahm sie ihm lächelnd den Wind aus den Segeln.

      Er winkte ab.

      „Und Sie wissen genau, dass Sie von mir keine Infos bekommen können. Wenden Sie sich an die Pressestelle.“

      „Ach, das ist doch immer nur das gleiche Blabla. Die Leser wollen was Authentisches haben, sonst kann ich ja jedes Mal den Polizeibericht von letzter Woche kopieren. Und wenn wir hier schon mal einen Toten haben. Jetzt schauen Sie doch nicht so, Sie wissen doch, wie ich es meine.“

      In diesem Moment öffneten sich die Türen am silbernen VW Kombi und die beiden Beamten stiegen aus. Der schlankere von ihnen setzte sich in die Richtung des Streifenwagens in Bewegung.

      „Na gut“, meinte die Reporterin. „Dann frage ich Ihren Kollegen, vielleicht lässt der sich etwas aus der Nase ziehen.“

      „Das