Des Orakels Richterspruch. Clemens Anwander. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Clemens Anwander
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738039269
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andererseits aber auch, weil sie einen fixen Zeitplan hatte. Morgen Abend mussten sie am Ziel ihres Ritts ankommen, da gab es keinen Zweifel.

      »Wir schlagen hier unser Nachtlager auf. Binde deinen Gaul fest und such uns etwas Feuerholz. Ich werde die Pferde versorgen, und mit dem, was ich dabei habe, schon mal ein Feuer starten.«

      Es amüsierte sie, wie der junge Mann erleichtert aufatmete. Steif stieg er von seinem Pferd herab und wäre dabei beinahe auf seinen Allerwertesten gefallen, wenn er sich nicht noch in letzter Sekunde am Sattel festgehalten hätte. Schnell blickte Sucaría in eine andere Richtung und bekämpfte den Wunsch laut aufzulachen. Auf ihrem Hinterkopf spürte sie seinen bohrenden Blick, mit dem er wohl überprüfen wollte, ob sie sein kleines Malheur mitbekommen hatte. Eigentlich konnte sie den Kerl sogar ganz gut leiden. Er war witzig, hatte Benehmen und war intelligent. Und trotzdem stieg in ihr die altbekannte Übelkeit auf, wenn sie daran dachte, wie er ihr im Gasthaus auf der Treppe an den Hintern gefasst hatte. Sie hatte in diesem Moment ihre gesamte Willensstärke aufbringen müssen, um ihn nicht die Treppe hinunterzustoßen. Eine Tat, zu der sie zuvor bei dem rüpelhaften Hünen nicht fähig gewesen war. Wenn sie jetzt nochmals darüber nachdachte, musste sie sich eingestehen, dass sie eventuell etwas überreagiert hatte. Doch als der Kerl seine ekelhaften Wurstfinger auf ihren Schenkel gelegt hatte, dabei zischend, dass er sie mit oder ohne ihre Zustimmung haben würde, da waren bei ihr alle Dämme gebrochen. Alte, widerliche Erinnerungen waren über sie hereingebrochen. Solche, von denen sie wusste, dass sie immer im Schatten darauf lauerten, ihr wiederum schweißtreibende, schlaflose Nächte zu verschaffen. Alleine die jetzigen Gedanken daran bereiteten ihr schon körperliches Unbehagen. Sie schluckte, um die sich rasch ausbreitende Übelkeit zu vertreiben. Wenn sie es recht bedachte, hatte der riesige Kerl es doch verdient gehabt! Jarihm war ganz anders als dieser Typ, nämlich ein Mann, mit dem sich Umgang pflegen ließ. Auch wenn seine schnelle Auffassungsgabe sie heute schon in Probleme gebracht hatte, hätte er ihre Geschichte, die sie ihm mittags aufgetischt hatte, doch beinahe auffliegen lassen. Woher hätte sie auch wissen können, dass man in Zilrags Spielschuppen nicht einfach so hineinkam? Vastor hatte etwas Derartiges nie erwähnt. Mit ihm würde sie noch ein Hühnchen rupfen, wenn die ganze Sache vorbei war. Schnell versorgte sie die Pferde, die von der langen Reise sehr hungrig waren. Während sie Feuersteine, etwas Papier und ein paar Holzspäne zum Anfeuern aus der Tasche holte, beobachtete sie, wie Jarihm in die Richtung von ein paar Bäumen trottete, um dort trockene Äste aufzulesen. Wenn sie ihn so anblickte, tat es ihr beinahe schon leid, ihn derart hinters Licht zu führen. Aber wenn sie daran dachte, was auf dem Spiel stand, musste sie es einfach tun. Oder war sie vielleicht doch vollkommen verrückt, und es handelte sich nur um ein Hirngespinst? Sie schlug die Steine aneinander, und schon nach einigen Versuchen loderte ein kleines Flämmchen. Pünktlich traf auch Jarihm mit dem Feuerholz ein. Dank der letzten paar warmen Wochen waren die Hölzer staubtrocken. Erprobt legte sie eines nach dem anderen oben auf, und diese fingen kurz darauf bereits zu brennen an. Sie lehnte sich zurück und betrachtete zufrieden ihr Werk. Das Holz knackte beschaulich und strahlte dabei eine angenehme Wärme aus. Noch war es warm und das Feuerchen beinahe überflüssig, doch die Nächte konnten zu dieser Jahreszeit schnell mal sehr kalt werden, vor allem wenn man im Freien übernachtete. Für kurze Zeit saßen sie beide friedlich da, und Sucaría genoss die Ruhe nach dem Tag voll lauter Hufschläge. Plötzlich fiel ihr wieder ein, was sie gestern Abend bereits bemerkt hatte. Das Schwert, dass sie in Jarihms Raum im „Zum Betrunkenen Elf“ an sich genommen hatte, hatte sich für wahr meisterlich führen lassen. Bis jetzt hatte sie noch keine Gelegenheit gehabt, es genauer zu inspizieren, aber der Moment war günstig. Sie zog es langsam aus der Scheide und betrachtete es im Lichte der untergehenden Sonne genau. Es war ein Gladus mit gerader Klinge, dessen Design wenig kreativ wirkte. Doch der Anschein trog, wie Sucaría nach genauerer Inspektion feststellte, denn die Waffe war alles andere als plump. Das Kriegsinstrument war nicht ganz so lang wie ihr Arm, aber das erste, was ihr ins Auge sprang, waren die beiden blutroten Rubine, welche im Griff eingelassen waren, und in denen sich das Licht des Feuers majestätisch widerspiegelte. Sucaría pfiff durch ihre Zähne. Die zwei funkelten so sehr, dass sie den Gerüchten über solchen Edelsteinen innewohnende Magie, welche die Kosten für diese Art von Kleinode so immens hoch hielten, schon beinahe Glauben schenken konnte. In dem Bereich, wo der geschmiedete Stahl in das Heft überging, waren vier, in alle Richtungen wegstehende Dornen angebracht worden, welche nach zwei fingerbreit Stahl eine Biegung nach oben machten und ebenfalls in Richtung der Schwerspitze zeigten. Sie rundeten das abschreckende Aussehen der Waffe vollends ab, und die Schildmaid konnte sich vorstellen, dass man damit ein angreifendes Schwert gut einfangen würde können, um es mit etwas Geschick dem Griff des Angreifers zu entwenden. Noch dazu kam eine Klinge, die so scharf aussah, als ob man damit den Tod selbst verletzen könnte. Sucaría wusste, dass das, was sie vorhatte, keine gute Idee war, aber sie konnte einfach nicht anders. Mit ihrem linken Zeigefinger berührte sie die Klinge so behutsam, wie sie nur irgendwie konnte. Augenblicklich begann sie zu bluten. Die Schildmaid steckte sich den Finger in den Mund. Es schmeckte metallisch, aber nicht unangenehm. Sie hatte in ihrem Leben noch kein so scharfes Schwert gesehen. Ein genauerer Blick offenbarte das Geheimnis der unglaublichen Schnittfähigkeit: Die gesamte Schneide war mit den winzigsten Sägezähnen, die man sich vorstellen konnte, bedeckt. Auffällig war außerdem die mittige, längsseitige Rille inmitten der breiten Klinge, deren Sinn sich ihr nicht wirklich erschloss. Sucaría hatte im Rahmen ihrer Ausbildung zur Schildmaid auch Waffenkunde durchlaufen, und obwohl sie darin sicher nie zu den Besten ihres Jahrganges gehört hatte, kannte sie sich jetzt zumindest mit der grundlegenden Materie aus. Sie hatte bestimmt hunderte verschiedene Schwerter gesehen, aber eines wie das hier war ihr noch nie untergekommen. Sie war sich sicher, dass hier die feinsten Materialien von einem wahren Meister seines Fachs zu einer fulminanten Klinge verwandelt worden waren. Sie blickte auf um Jarihm zu suchen und erschrak, als sie merkte, dass sein Gesicht nur hauchdünn neben dem ihren war. Sie war so vertieft in die Waffe gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie er sich neben sie gesetzt und ihr zugesehen hatte. Er grinste sie an.

      »Na, genug gestaunt? Ein unheimlich schönes Schwert, nicht wahr? Ich dachte mir, dass du das hier bestimmt auch gern sehen möchtest.«

      Auf seinem Schoß lag das andere und sie entschloss sich, ob des Kratzens in ihrem Hals, lediglich zu nicken. Dass er ihr so nahe gekommen war, ohne dass sie ihn bemerkt hatte, machte ihr schon genug Sorgen, aber dass seine Hüfte die ihre berührte, ließ den schon fast wieder vollkommen verebbten Brechreiz in voller Stärke zurückkommen. Sie griff sich vorsichtig das Schwert, aber nicht ohne dabei wie zufällig etwas von ihm wegzurücken. Augenblicklich ließ die Übelkeit wieder etwas nach, und sie seufzte erleichtert auf. Es erstaunte sie, wie konträr diese Waffe hier zu der anderen war, waren sie doch offensichtlich als Set an der Wand gehangen. In vielerlei Hinsicht ähnelte das in ihrer Hand einem Krummschwert, und doch war es nicht zu vergleichen mit denen, welche die Tochter des Sujcan-Clans bisher geführt hatte. Die Biegung wirkte elegant, die ganze Waffe filigran, aber dennoch nicht zerbrechlich. Wie im Gladus waren auch hier Edelsteine im Griff eingelassen, nämlich zwei giftgrüne Malachite, doch das war auch schon die einzige Gemeinsamkeit, die Sucaría erkennen konnte. Die Parierstange war zierlich, und trotzdem war sich die Schildmaid sicher, damit heftigere Schläge abfangen zu können, als mit einem kleinen, hölzernen Rundschild. Außerdem war die Waffe so perfekt ausbalanciert, dass man den Eindruck hatte, sie würde überhaupt nichts wiegen. Ohne Zweifel war auch dieses Schwert ein absolutes Meisterstück. Oh, wie gern sie diese beiden Waffen doch besessen hätte! Doch dies stand wohl weit außerhalb ihrer finanziellen Möglichkeiten. Jarihm begann erneut zu sprechen, während er das Krummschwert wieder an sich nahm und in die Scheide zurück steckte.

      »Mein Vater hat die beiden vor gut drei Monaten von einem Zwischenhändler gekauft. Der eigentliche Verkäufer wollte anonym bleiben. Ich war eigentlich dagegen. Eine solche Summe gibt man nicht leichtfertig aus, aber mein Vater kümmert sich schon lange nicht mehr um das, was ich sage. Oder überhaupt um mich…«

      Kurz erinnerte Jarihm sie an den Hund, der von den Kindern in ihrem Ort immer getreten worden war. Doch er hatte sich schnell wieder gefangen.

      Eigentlich wollte sie nicht weiterbohren, doch letztlich siegte ihre Neugierde.

      »Wie teuer waren sie denn?«

      »2000 Goldstücke.«

      Sucaría