Des Orakels Richterspruch. Clemens Anwander. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Clemens Anwander
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738039269
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vernarbte linke Gesichtshälfte, ein Andenken aus alten Schlachten, verhinderte, dass Toycan bei der Damenwelt allzu gut ankam. Degaar wusste, dass Toycan von seinen Soldaten ob seiner Strenge zwar gefürchtet wurde, er aber einen ausgezeichneten Ruf bei ihnen hatte, da er sich nicht für etwas Besseres hielt. Er verlangte viel von seinen Untergebenen, aber nie mehr als er selbst bereit war zu geben. Wenn ein Marsch anstand, marschierte er mit, anstatt hoch zu Rosse zu sitzen. Wenn im Feld übernachtet werden musste, schlief er ebenso unter freiem Himmel wie der Rest der Truppe, anstatt in dem prächtigen Zelt, das ihm zustehen würde. Er war ein Vollblutsoldat, und genau das liebten die Männer und Frauen an ihm. Aber auch Hauptmann Paloma, der als die große Nachwuchshoffnung der Armeeführung galt, genoss einen formidablen Ruf. Er wirkte alles andere als zierlich, war er doch, für sich alleine betrachtet, ein stattlicher Mann. Doch wenn er so neben dem General stand, wirkte er dennoch klein und unscheinbar, so sehr verblasste er im mächtigen Schatten Milos. Er hatte braunes, mittellanges Haar, dass ihm bis zum Kinn reichte, ein glatt geschorenes Gesicht und wenn er weiterhin so Karriere machte, dann würde er wohl, sobald Toycan in den Ruhestand ging, dessen Rang übernehmen. Geschmückt war seine Uniform einerseits durch das kleine Taubenwappen, dem Emblem der Palomas, und andererseits mit dem Orden für außergewöhnliche Tapferkeit vor dem Feind, den er mit stolz geschwellter Brust vor sich hertrug.

      »Mein König, ihr habt uns rufen lassen«, begann Toycan, doch Degaar winkte ab.

      »Nicht so förmlich Milo, heute seid ihr nur zum Trinken hier. Erzähl mir: Was gibt es neues in der Armee?«

      Während Paloma, nicht unbeobachtet von Degaar, noch einen schüchternen, fragenden Blick zu Toycan warf, hatte dieser sich bereits aufgemacht, sich an den Tisch des Königs zu setzen. Der Hauptmann beeilte sich ihm zu folgen. Mittlerweise goss der Herrscher Sekoyas bereits großzügig Schnaps in zwei Gläser und reichte sie den beiden Offizieren.

      Wortlos stürzte Degaar den Rest seines verbliebenen Glases Weines hinunter, nur um es dann mit demselben Schnaps zu füllen, mit dem er gerade noch die anderen beiden bedient hatte.

      »Auf die Königin!«, gab Milo von sich, während Paloma es ihm gleich darauf eilig nachsagte. Sie leerten ihre Gläser, nur um diese gleich darauf erneut angefüllt zu bekommen.

      »Nun mein König, der Statusbericht unserer Truppen ist noch ungefähr derselbe, wie jener von vor zwei Wochen, den ich euch zukommen ließ. Unsere Grenzen werden gut bewacht, doch gelegentlich kommt es zu vereinzelten Angriffen. Bisher konnten wir sie aber immer wieder zurückschlagen. Gerade zur Zeit ist es besonders still, was ich zum Anlass genommen habe, gut einem Drittel unserer Truppen Urlaub zu geben, das zweite Drittel kommt dann nach ihnen an die Reihe…«

      Degaar versuchte aufmerksam zuzuhören, doch seit Naileens gesundheitlichem Niedergang interessierten ihn Staatsgeschäfte rein gar nicht. Da war er wieder, der verdammte Kloß in seinem Hals, den es mit Alkohol wegzuschwemmen galt. Degaar trank zügig, sowohl der General als auch der Hauptmann folgten ihm in Sachen Trinkgeschwindigkeit.

      »… denke ich, dass es klug wäre demnächst ein Turnier auszufechten, um die Moral der Truppen…«

      »Genug mit diesem öden Lagebericht Milo!«, unterbrach der König den Befehlshaber der Armee ziemlich barsch. Mit dieser Art von Gespräch würde er nie genügend Zerstreuung finden. »Erzählt mir was anderes. Was ist mit der Familie?«

      Der General blickte ihn verärgert an. Augenblicklich schämte sich Degaar für seine Worte. Er hatte in seinem Kummer vergessen, daran zu denken, dass auch anderen Personen bereits Schlimmes widerfahren war. Und gerade bei seinem Freund Milo, den er höchstpersönlich vor Jahren getröstet hatte, hätte ihm dieser Fauxpas nicht passieren dürfen. Er wollte sich eigentlich sofort entschuldigen, doch der General ergriff wieder das Wort.

      »Der gute Paloma hier hat eine wunderbare Familie die an der Grenze zu Mik-Tar lebt, nicht war Sario?«

      Hauptmann Sario Paloma bot nach dieser Aussage einen Anblick, als ob er den General sofort zum Duell herausfordern wollte. Degaar vermutete, dass er es wohl als unangenehm empfand, vor ihm sprechen zu müssen. Dieses Phänomen hatte er schon öfters bei neuen Gesichtern am Hofe erlebt, und Paloma bildete da wohl keine Ausnahme. Obwohl der Hauptmann seit Jahren General Toycans Adjutant war, hatte dieser mit dem König bisher erst einmal gesprochen. Auch da hatte der junge Adjutant gewirkt, als ob ihm nicht recht wohl in seiner eigenen Haut gewesen wäre, was wohl für diese Theorie sprach. Der Hauptmann räusperte sich kurz, ehe er zu sprechen begann.

      »Ja, mein König, es ist so wie der ehrenwerte General sagt. Ich habe eine wunderbare Frau, sie heißt übrigens Sabrina, und eine kleine Tochter im Alter von fünf Jahren, die den Namen Zora trägt. Sie wohnen in einem kleinen Haus südlich der letzten Ausläufer des Waldes von Pyurdi, und wann immer ich die Möglichkeit habe, versuche ich nach Hause zu kommen. Ich liebe die beiden von ganzem Herzen und würde wohl alles tun für sie…«

      »Und genau so soll es auch sein!«, sagte Toycan und schlug seinem erstaunt dreinblickenden Adjutanten dabei auf die Schulter. Degaar schluckte. Palomas Worte hatten ihn wieder an seine Frau erinnert. Und dieses Mal halfen weder der Schnaps noch der Wein weiter. Er versuchte sie zurück zu halten, doch eine Träne bahnte sich unaufhaltsam einen Weg und rann an seiner Wange herab. Milo räusperte sich, ihm war sichtlich nicht ganz wohl in dieser Situation.

      »Kopf hoch mein König. Eure Frau wird sich schon wieder erholen, ihr werdet sehen. Immerhin habt ihr hier die besten Ärzte des ganzen Landes versammelt, die sich ausschließlich um sie kümmern.«, versuchte er sein Bestes, um den Herrscher wieder aufzumuntern. Degaar war zu niedergeschlagen, um zu versuchen, seine Gefühle zu verstecken. Es war ihm egal, dass er der König war, im Moment war er einfach nur ein zu Tode besorgter Ehemann.

      »Die Ärzte tun so gut wie nichts! Sie sagen alle nur, dass Naileen sich von selbst wieder erholen muss… Und schon habe ich keinerlei Möglichkeiten mehr, meiner Geliebten zur Seite zu stehen. Was nutzt es, König eines gesamten Landes zu sein, wenn man nicht einmal seine große Liebe retten kann?«

      »Entgegen der landläufigen Annahme seid ihr leider auch nicht allmächtig, mein König«, sprach Toycan leise. Einige Minuten lang herrschte Stille im Raum, in denen die drei Männer wortlos an ihren Getränken nippten, und in denen Degaar in Gedanken seiner Frau beistand, solange bis der General wieder das Wort ergriff.

      »Es wäre so viel einfacher, wenn man den Volksammen glauben würde können. Ein kleiner Blick in die Zukunft und das Problem wäre gelöst.«

      Degaar blickte erstaunt auf. In die Zukunft zu blicken, daran hatte er noch gar nicht gedacht. Warum auch? Es war ja nur eine dumme Gedankenspielerei, allerdings faszinierte ihn daran auch irgendetwas. Auf was Toycan da wohl anspielte? Er hob seinen Kopf, der bis eben noch betrübt hinab gehangen war, wischte seine Tränen mit einer schnellen Handbewegung hinfort und blickte den General fragend an. Dieser blickte zurück, offensichtlich nicht wissend, was sein König jetzt von ihm erwartete. Degaar stellte schnell die Frage, die ihm auf der Zunge lag.

      »Von welchen Volksammen sprecht ihr?«

      »Ach, mein König, nehmen sie das bitte nicht ernst, das ist doch lediglich abergläubisches Gewäsch der einfachen Bevölkerung. Es ist natürlich vollkommen unmöglich in die Zukunft zu blicken, das wäre ja absurd!«

      Der König Sekoyas drehte das Glas in seiner Hand nervös hin und her. »Natürlich, Milo, natürlich. Aber als König interessieren mich solche Mythen, die sich rund um mein Königreich ranken. Also wer kann die Zukunft voraussagen?«

      »Ich bitte sie mein König, lassen sie es ruhen. Ich hätte niemals davon anfangen sollen. Aus solch einem Hokuspokus kann nichts Gutes erwachsen.«

      Langsam kroch Wut in ihm hoch. Was erlaubte sich Toycan hier? Er war der König, und wenn der König eine Frage stellte, dann antwortete man gefälligst auch darauf.

      »Muss ich dir erst befehlen, mir zu sagen, was du weißt?«,

      Der General wirkte jetzt alarmiert und war sichtlich bemüht, nun doch zügig zu antwortet.

      »Aber natürlich nicht mein König. Nur leider weiß ich auch nicht viel. Aber man sagt, dass nördlich