Des Orakels Richterspruch. Clemens Anwander. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Clemens Anwander
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738039269
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noch gut in Erinnerung, was mit dem Letzten geschehen war, der seine Lieblingsaxt auf den Boden hatte fallen lassen. Tera war schon immer der Meinung gewesen, dass gefürchtet zu werden besser war, als treue oder gar liebende Untertanen zu besitzen. Das war etwas für Schwächlinge! Für Leute die nicht genügend Mumm in den Knochen hatten, ganz zu schweigen von einem starken Auftreten. Auf diesem Grundsatz hatte er die Macht übernommen und war bisher äußerst gut damit vorangekommen. Das Dumme war nur, dass es seit einigen Jahren nicht mehr viel Sklaven gab, weshalb es weise war, sie nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit mit seiner Axt Bekanntschaft schließen zu lassen. Tera blickte sich um. Jetzt war es höchste Zeit sich den anderen politischen Aufwieglern zu widmen.

      »Habt ihr gesehen, was mit Menschen passiert, die sich mir widersetzen? Habt ihr das gesehen?«

      Tera Ubrokars Stimme war furchterregend und seine Tonlage sogar noch tiefer, als sie normalerweise war. Er war sich sicher, die Kombination aus seiner Stimme, seinem blutverschmierten Anblick und dem eben gebotenem Spektakel würde seinen Ruf noch weiter verschlechtern. Und genau das wollte er auch erreichen. Die Adeligen blickten eingeschüchtert auf ihr Schuhwerk und hüteten sich davor, auch nur ein falsches Wort zu sagen. Tatsächlich brachten sie nicht einen einzigen Ton über die Lippen. Umso besser, dann würde er das Sprechen übernehmen. Der Despot begann wieder, diesmal etwas versöhnlicher.

      »Bin ich nicht immer gut zu euch gewesen? Wem verdankt ihr es denn, dass neue Sklaven aus dem letzten Ostfeldzug eure Burgen und Schlösser betreuen? Wem verdankt ihr euren immensen Reichtum, das Rückgrat eurer Herrschaft? Sagt mir, was wärt ihr ohne mich?«

      Einer der Adeligen, Thr‘ong Solvariu, meldete sich kleinlaut zu Wort.

      »Gottgesandte Hoheit Ubrokar, ihr wisst, dass wir euch unendlich dankbar sind. Ohne euch wären wir nichts, und ihr seid zu Recht unser Despot. Der eben von euch erwähnte Feldzug war essenziell, und ihr habt uns zuverlässig von Sieg zu Sieg geführt. Wer etwas anderes behauptet ist ein Narr!«

      Offensichtlich war Solvariu sehr stolz auf seine Worte, denn er wagte es, seinen Blick zu heben und sogar etwas tolldreist dreinzublicken.

      »Warum dann, sagt es mir Solvariu, nahm sich Zergatan die Frechheit heraus, mir Lehren über mein eigenes Reich erteilen zu wollen?«

      Solvariu hob beschwichtigend die Hände. »Aber er hat doch nur gesagt, dass ihr euch um zusätzliche Lebensmittel für die Bevölkerung…«

      Mit seinem muskulösen Arm ließ Tera einen donnernden Schlag auf den Tisch, um den die Adeligen saßen, niedergehen. Dieser erbebte, und für manch einen mochte es so ausgesehen haben, als ob er gleich einknicken würde. Solvariu wurde kreidebleich, offensichtlich fürchtete er das Schicksal seines Vorredners zu teilen, dessen Leiche er immer noch etwas weiter hinten im Saal liegen sehen konnte.

      »Ein „nur“ gibt es in diesem Satz nicht, Solvariu!« Teras Stimme war erregt. Wutentbrannt fuhr er fort.

      »Niemand gebietet mir, wie ich mein Reich zu führen habe, ist das klar? Jeder hier muss sich seines Platzes bewusst sein. Ihr seid Berater, wenn ich euch um eure Meinung frage, und zwar ausschließlich dann! Ihr berichtet mir von Problemen, wenn ich euch dazu auffordere, und zwar ausschließlich dann! Und niemals werdet ihr mir vorschreiben, was ich zu tun oder zu lassen habe, habt ihr das verstanden?«

      Ein Nicken ging durch die Runde, begleitet von leise geflüsterten Bestätigungen.

      »Verschwindet aus meinem Blickfeld, und zwar alle!«

      Der Ton, in dem der Despot gesprochen hatte, ließ keinen Zweifel daran, dass nun Eile geboten war. Flink, wie man es den teilweise sehr rundlichen Adeligen gar nicht zugetraut hätte, waren sie auf ihren Beinen und schritten eilends in Richtung des großen Tores. Dabei mussten sie an der Leiche Zergatans vorbei, und Tera konnte beobachten, wie aus dem Gesicht des einen oder anderen alle Farbe wich. Gerade als die Versammlung am Ausgang des Saales angekommen war, erhob der Herrscher Mik-Tars neuerlich das Wort. Ganz beiläufig begann er zu sprechen.

      » Und Solvariu…«, dieser war stehen geblieben, offensichtlich fürchtend, seiner gerechten Strafe doch nicht zu entgehen. Doch daran hatte Tera kein Interesse, hätte es ihm doch keinerlei Vorteil gebracht, noch einen weiteren seiner Adeligen zu beseitigen. Stattdessen wäre es schlauer, all diejenigen zu warnen, die vorhätten, sich an Zergatan ein Beispiel zu nehmen.

      »Ich möchte, dass du Zergatans gesamten Clan auslöschen lässt!«

      In Solvarius Antlitz spiegelten sich zwei sehr konträre Emotionen wider. Augenscheinlich war er einerseits übermäßig erleichtert, die Axt des Despoten nicht von der Nähe betrachten zu müssen, andererseits war ihm nicht vollkommen wohl dabei, diesem Befehl Folge leisten zu müssen. Tera wusste, dank seiner zahlreichen Spione, auch ganz genau warum. Der Clan war nicht ohne Macht und würde bestimmt nicht kampflos aufgeben. Doch eine viel wichtigere Rolle spielte wohl die Tatsache, dass einer von Solvarius Söhnen regelmäßig Umgang mit der Tochter Zergatans pflegte. Und aus genau diesem Grund stellte er auch die folgende Frage.

      »Auch deren Frauen, Gottgesandte Hoheit Ubrokar?«

      Solvariu war ja so leicht auszurechnen.

      »Frauen, Kinder, Alte, Kranke und Schwache! Alle, mein lieber Solvariu. Niemand soll verbleiben. Und das wird auch in deinem Interesse sein, schließlich würden Überlebende sich eventuell rächen wollen. Und das nicht nur an mir.«

      Es war dem Adeligen anzusehen, dass der bloße Gedanke an dieses Massaker ihn anwiderte, dennoch murmelte er eine leise Zustimmung und eilte dann den anderen hinterher. Tera blieb allein zurück und blickte sich um. Den Kadaver würden seine Leibeigenen wegschaffen, und dann wäre diese unsägliche Sache endlich aus der Welt. Er beschloss, sich noch etwas Wein zu gönnen, und noch während eine Sklavin ihm aus der großen Karaffe einschenkte, begann er über das nachzudenken, was Zergatan vor seinem Ableben gesagt hatte. Nachdenklich strich er sich durch seinen rötlichen Kriegerbart, der, sorgsam gepflegt, rund um seinen Mund wuchs. Zusätzliche Lebensmittel für die Bevölkerung? Pha! Er wusste selbst, wie es um die wirtschaftliche Lage seines Landes stand, dazu brauchte er keinen naseweisen Adeligen, der ihn mit seinen Ausführungen vor den anderen lächerlich machte. Natürlich fehlte es an Lebensmitteln! Die Dürre hatte sie schlimm erwischt, und noch dazu war in einigen Bereichen des Landes eine schlimme Krankheit umgegangen, so dass die Felder brach gelegen waren. Es fehlte an allen Ecken und Enden. Schon vor Wochen hatte er einen Teil seiner persönlichen Schatzkammer dazu aufgewendet, in den Nachbarländern Nahrungsmittel zu besorgen, doch da diese um die knappen Ressourcen Mik-Tars wussten, verlangten sie horrende Preise für ihr bisschen Getreide, Fleisch, Fisch und Obst. Das was ins Land kam reichte gerade mal für die minimale Grundversorgung der breiten Masse, und das führte natürlich zu großem Unmut. Daher war das letzte, was er jetzt brauchen konnte, ein politischer Gegner, der ihm die Schuld für diese unglücklichen Gegebenheiten geben würde. Es galt daher all solche Unterfangen bereits im Keime zu ersticken. Doch auch Gewalt war für dieses Problem keine dauerhafte Lösung. Er würde einfach darauf hoffen müssen, dass diese schwere Zeit für ihn problemlos vorüber gehen würde, denn eine rettende Idee hatte er gerade nicht parat. Vielleicht würde etwas mehr Alkohol ihn ja kreativer machen? Beherzt trank er seinen Humpen in einem großen Zug leer, während er zwei Sklaven dabei zusah, wie sie die kopflose Leiche Zergators zur Tür hinaus schliffen. Um die dunkelrote Blutspur, welche sie dadurch auf dem hellen Marmorsteinboden hinterließen, würden sie sich nachher noch kümmern müssen.

      Waffenkunde

      Sucaría zügelte ihren Schimmel, während sie den letzten Strahlen der untergehenden Abendsonne entgegen blickte. Das Tier war müde. Kein Wunder, denn nach der unangenehmen Rast zu Mittag hatten sie doch noch ein ordentliches Stück des Weges hinter sich bringen können. Und das trotz Jarihms sehr begrenzten Fähigkeiten auf dem Pferd. Zwischenzeitlich war er ihr schon etwas auf die Nerven gegangen mit seinen ständigen Forderungen nach einer weiteren Rast, doch nachdem sie sich in Erinnerung gerufen hatte, dass er ja nur ein Zivilist war, der vermutlich noch nie längere Wegstrecken geritten war, hatte sie sich eingestehen müssen, dass er eigentlich tapfer durchhielt. Die Pausen hatte sie ihm natürlich