»Du bist doch nicht eine dieser aufständischen Narren?«
»Aber nein, Gottgesandte Hoheit. Ich und andere, die meine Überzeugung teilen, haben bei Beginn des Aufstandes sofort die Stadt verlassen und die nächste Bastion alarmiert. Diese aufständischen Tölpel lenken ihre Wut in die vollkommen falsche Richtung. Ihr seid doch unser weiser Herrscher. Ihr habt Mik-Tar zu dem Reich gemacht, das es heute ist.«
Tera dachte nach. Es stimmte, dass eine Bastion in der Nähe von Rerranerstadt als erstes von einem Aufstand berichtet hatte, was ihn sofort dazu gebracht hatte, sein gesamtes Heer in Alarmbereitschaft zu versetzen und zu ermächtigen, alle Aufstände unverzüglich niederzuschlagen. Dieser frühe Alarm hatte es erst möglich gemacht, alle Unruhen noch im Keim zu ersticken, bevor sie massiven Zulauf bekommen konnten. Wenn es stimmte, was die Frau hier erzählte, dann verdankte er ihr viel. Allerdings hatte er sie sowieso gerade dafür entlohnt.
»Außerdem«, sprach die Kurtisane weiter, »weiß doch sowieso jeder, dass die Sekoyaraner an der Missernte Schuld sind. Zuerst sind sie in unser Land gekommen und haben unseren Leuten die Arbeit weggenommen. Aber weil sie so unendlich faul sind, haben wir bereits die letzten Jahre immer weniger und weniger geerntet. Heuer haben sie auch noch unsere Brunnen vergiftet, so dass unsere Felder nichts einbrachten. Und jetzt beuten sie auch noch den letzten Rest unserer Ersparnisse aus, indem sie uns ihre Lebensmittel zu vollkommen überteuerten Preisen verkaufen.«
Die Konkubine war vor lauter Zorn vollkommen rot angelaufen. Ihre kleinen Hände hatte sie zu Fäusten geballt, und sie zitterte vor Wut. Tera musste innerlich lachen. So etwas Absurdes hatte er ja schon lange nicht mehr gehört. Sekoyaraner immigrierten nur äußerst spärlich in sein Land, da sie sich auf Grund der raueren Umweltbedingungen nicht sonderlich gut zu Recht fanden. Fast ausschließlich reiche Kaufmänner aus Sekoya fanden ihren Weg nach Mik-Tar. Außerdem war Ackerbau hier einfach schwer, da auf Grund der Wüsten Wasser zumeist Mangelware war. Und kamen dann auch noch Dürren und Krankheiten dazu, so wie in diesem Jahr, dann benötigte es wahrlich kein Gift in Brunnen, um eine Missernte einzufahren. Dass die Händler höhere Preise verlangten stimmte, allerdings war dies auf Grund der hohen Nachfrage auch vollkommen verständlich. Wäre er in der umgekehrten Lage würde er nicht anders handeln. Aber der Zorn, den die Kurtisane auf Sekoyaraner hatte, war echt und sie gab auch nicht ihm die Schuld an der Nahrungsmittelknappheit, sondern ihnen. Wenn dies kein Einzelfall war, dann ließe sich daraus doch sicher irgendein Gewinn schlagen. In Teras Kopf formte sich ein wunderschöner Plan, der all seine Probleme wie von Zauberhand beseitigen würde. Ein lautes Lachen entfuhr ihm. Und diese unwissende Konkubine hatte ihn darauf gebracht. Dafür verdiente sie sich wahrlich noch eine Belohnung. Er drehte sich zu ihr um und warf sich auf sie.
Zwei und Zwei
Degaar saß steif in seinem Sattel. Beinahe zwei volle Tage war es nun her, seit er übereilt und ganz allein von seinem Schloss aufgebrochen war mit einem äußerst vagen Ziel vor Augen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was ihn erwartete. Wahrscheinlich gar nichts… Einige Stunden nachdem er seinen Ausritt begonnen hatte, hatte er sich auch schon gewünscht, dies nicht getan zu haben. Oder zumindest am Abend zuvor nicht so tief ins Glas geblickt zu haben. Sein Schädel hatte wie wild gepocht und es war ihm speiübel geworden. Doch er hatte versucht durchzuhalten, indem er sich einfach gezwungen hatte, eine Minute nach der nächsten zu überstehen. Nach einiger Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit erschienen war, hatte er zu seiner Linken das kleine Wäldchen Fuotan erblickt. Er hatte sich daran erinnert, wie er mit Naileen dort eine magische Zeit erlebt hatte, aber in diesem Moment hatte ihn nur der eisig kalte, kleine See, der im Schatten der Bäume lag, interessiert. Dorthin hatte er seinen Rappen gelenkt. Steif war er vom Pferd gestiegen, hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich seiner Kleidung zu entledigen und war in den kristallklaren See gestiegen. Das kalte Nass war im ersten Moment wie ein Schock gewesen, die eisige Kälte hatte ihn augenblicklich frieren lassen, doch die Prozedur hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Er hatte gespürt, wie die Kopfschmerzen nachgelassen hatten und wie die Übelkeit verflogen war. Er hatte noch einige Schluck des köstlichen Wassers zu sich genommen, hatte sich eben dieses aus seinen kurzen, blonden Haaren gestrichen und war eilends, aber vollkommen revitalisiert, wieder auf sein Reittier gestiegen. Das ihn fortan gefröstelt hatte, war ihm willkommen gewesen, da es sein Unwohlsein erfolgreich unterdrückt hatte. Stundenlang war er weiter geritten, bis ihn die Dunkelheit dazu gezwungen hatte, ein Nachtlager aufzuschlagen. Er war in einen unruhigen Schlaf gefallen und schon vor der Morgendämmerung wieder wach gewesen, geweckt von schrecklichen Träumen, in denen Naileen vom Tod persönlich aufgesucht worden war, während er nur machtlos daneben stehen hatte können. Das zu verhindern, hatte er sich in diesem Moment geschworen. Sein irres Vorhaben, quer durch die Einöde zu reiten, um einem Ammenmärchen nachzujagen, hatte sich in diesem Moment ein klein bisschen weniger verrückt angefühlt. Sein Gesäß hatte zwar höllisch geschmerzt vom Ritt des letzten Tages, war er doch kein Jüngling mehr wie einst, doch der König hatte sich gezwungen, sich erneut in den Sattel zu setzen. Er hatte seinen Ritt fortgeführt und stur sein Tier weitergetrieben. Pausiert hatte er lediglich kurz, um den natürlichen Körperfunktionen seines Körpers Genüge zu tun. Am Nachmittag, der Zeitpunkt, an dem die Sonne am höchsten stand, war schon lange überschritten, hatte er ihn dann ausgemacht. Zuerst nur als fernen, grünen Strich in der Landschaft, doch als er näher gekommen war, hatte er realisiert, was für ein gigantisches Gewächs sich da vor ihm aufgetan hatte. Nun endlich stand er vor ihm, vor einen Baum, der größer wohl kaum hätte sein können, und der dabei noch so erhaben und prachtvoll aussah, als wäre er der König des Landes, und nicht Degaar. Der Herrscher Sekoyas fragte sich, wie viele Generationen er wohl gebraucht hatte, um diese immense Höhe zu erreichen. Und es war nicht nur die Höhe, die diesen Baum so majestätisch machte. Der Stamm war so dick, dass Degaar eine beachtliche Zeit benötigte, um ihn zu umrunden und die Äste, die erst in einiger Höhe zu wachsen begannen, selbst so mächtig, dass sie anderswo zu den größten Pflanzen der Umgebung gezählt hätten. Und die Krone konnte Degaar gar nicht erst erblicken. Er war fürwahr ein imposanter Anblick, Degaar stand zunächst einfach ein paar Minuten da und war überwältigt von ihm. Aber es war nicht der Baum gewesen, weswegen er diese Reise auf sich genommen hatte. Bilder Naileens schossen ihm durch den Kopf, wie sie schwitzend und ohne Bewusstsein vor sich hin dämmerte. Sofort spürte er wieder den Kloß in seinem Hals, den er einfach nicht zum Verschwinden bringen konnte. Begleitet wurde dieser von nagenden Schuldgefühlen, die er, obwohl sein Kopf ihm sagte, dass es Unsinn war, einfach nicht loswurde. Sein Herz wollte seinem Hirn einfach nicht zustimmen. Er musste sich beeilen, wenn er Naileen noch helfen wollte! Was hatte Toycan genau gesagt? Im Schatten des Baumes soll die Zukunft vorausgesagt werden? Der König band sein Pferd fest und begann mit der Suche. Er zirkelte um seinen Startpunkt in immer größer werdenden Kreisen, stieg über knorrige Wurzeln, welche durch die Erddecke brachen, und lugte unter Sträucher. Mittlerweile war er bereits ein ordentliches Stück vom Stamm entfernt. Doch was war das? Tatsächlich genau in dem Schatten, den der gigantische Baum im Lichte der Abendsonne warf, lag es verborgen. Ein Erdloch, nein, schon eher eine Höhle, verschluckte gierig die rötlichen Lichtstrahlen der untergehenden Sonne. Eine Öffnung im Boden, durch die selbst ein ausgewachsener Bär gepasst hätte. Der König blickte sich um. Weit und breit war sonst nichts. War tatsächlich dieses wenig eindrucksvolle Loch gemeint? Vorsichtig warf Degaar einen Blick hinein, und stellte verwundert fest, dass die unterirdische Öffnung sich nach dem Einstieg nochmals stark verbreiterte. Er nahm eine Fackel aus seinem Gepäck, übergoss den vorderen Teil mit Petroleum und versuchte diesen mit Hilfe zweier Feuersteine, die er ungeschickt aneinander schlug, zu entzünden. Früher hatte er dies besser gekonnt. Wie lange war es her, seit er selbst Feuer gemacht hatte? 15 Jahre? 20? Er wusste es nicht mehr. Trotzdem gelang es ihm jetzt endlich die Fackel zum Brennen zu bringen. Erleichtert seufzte er auf. Vorsichtig stieg er in die Öffnung, langsam einen Fuß vor den anderen setzend, seinen Blick fest auf den steil abfallenden Untergrund gerichtet, um auf der losen Erde nicht auszurutschen. Erst als es wieder ebenerdig wurde, erhob er seinen Kopf. Verwundert stellte er fest, dass er in einem so breiten Gang stand, dass er kurz dachte, der Rauch seiner Fackel ließe ihn halluzinieren. Es war so viel Platz vorhanden, dass hier sogar eine Kutsche fahren würden können. Degaar war sich nicht sicher,