»Du bist zu spät, deine Freundin ist des Todes.«
Jarihm griff sich hastig das Schwert, welches er an seinem Schlafplatz abgelegt hatte. Er ignorierte die Tatsache, dass er zitterte wie damals, als er nach einem heftigen Rausch in einer Seitengasse Tchiyos, im Schnee liegend, wieder aufgewacht war. Der Angreifer, dem dies offensichtlich nicht entgangen war, fuhr in seinem seltsam anmutenden Akzent seelenruhig fort.
»Du willst gegen mich kämpfen? Du zitterst wie Espenlaub und kannst nicht einmal das Schwert richtig halten. Und wofür das Ganze? Ich habe die Kleine mitten ins Herz getroffen. Und ganz abgesehen davon sind meine Dolche mit dem Gift des Jinxster-Busches versetzt. Bereits eine kleine Dosis führt zur beinahe augenblicklichen Lähmung und zum sicheren Tod innerhalb von nur 24 Stunden.«
Jarihm empfand nichts als blinde Wut für den Mann. Er warf die Scheide achtlos zu Boden und versuchte dann zu attackieren. Als der schwarz Gekleidete ihn auf sich zukommen sah, lachte er leise auf.
»Du willst es also tatsächlich versuchen? Hast du überhaupt eine Ahnung, was du da tust?«
»Dich von oben bis unten aufschlitzen.«, stieß Jarihm wutentbrannt hervor. Der Unbekannte schnalzte wiederholt leise mit der Zunge.
»Du hättest einen schnellen Tod haben können, doch jetzt wirst du leiden. Du wirst die Krallen der Eulen von Min’as am eigenen Leib spüren.«
Jarihms Angriff, ein wütend geführter Streich genau auf den Kopf des Gegners, ging ins Leere, da der Mann einfach einen Schritt zurückwich.
»Du kennst ja nicht mal die Grundlagen des Kämpfens…«
Die Stimme des Angreifers hatte sogar etwas Bemitleidendes an sich, was Jarihm nur noch mehr verärgerte. Er wollte gerade wieder angreifen, doch die beiden Dolche kamen unmittelbar auf ihn zu!
»Dein Pech, dass wir auch gegenüber Kleinkindern keine Gnade kennen.«
Jarihm riss seinen Körper nach rechts, doch ein Dolch würde immer noch sein Ziel finden. Doch schnell, wie er es sich selbst gar nicht zugetraut hätte, ließ er sein Schwert sprechen. Von rechts schlug er mit voller Wucht auf die Klinge des Dolches, das Mordinstrument segelte in weitem Bogen davon.
»Da hab ich dich wohl unterschätzt. Wird nicht nochmals passieren.«
Jarihm versuchte erneut anzugreifen, aber wieder gelang es ihm nicht. Der schwarz gekleidete Mann war einfach zu schnell. Wieder tauchte er plötzlich vor Jarihm auf und stach zu. Erneut schaffte Jarihm es irgendwie sich zu verteidigen, dieses Mal, indem er die flache Seite seine Klinge zwischen sich und die des Angreifers brachte. Klirrend trafen die Waffen aufeinander, der Dolch rutschte ab und der Angreifer schnitt sich dank der rasiermesserscharfen Klinge Jarihms am rechten Unterarm. Schnell machte dieser einen Satz nach hinten und schaute verblüfft auf den unverletzten Jarihm, sich wohl fragend, wie dieser es erneut geschafft hatte, sich seiner Haut zu erwehren. Was eine gute Frage war, denn er wusste es selbst nicht. Genau in diesem Moment tauchte von hinten eine Klinge oberhalb des Mannes auf, schoss auf dessen Kopf herab und spaltete diesen wie eine Axt ein Stück Holz. Das Ganze ging so schnell, dass der Angreifer nicht einmal mehr Zeit für einen Todesschrei fand. Der leblose Körper fiel vorne über, die Klinge steckte immer noch in seinem Halsansatz und hinter ihm kam eine schwer atmende, sich eine Hand auf ihre blutende Stelle pressende Sucaría in Jarihms Blickfeld. Ihm fiel ein Stein vom Herzen.
»Du lebst!« brachte er lediglich hervor.
»Sieht so aus, ja.«
Sie lächelte schwach, trat einen Schritt nach vorne und wollte die Klinge aus dem aufgeschlitzten Körper reißen. Als ihr dies nicht so ohne weiteres gelingen wollte, stellte sie den einen Fuß auf die Schultern des Kadavers und stemmte diese heraus. Mit einem satten Geräusch löste sich die Waffe und die Schildmaid ließ sich neben der Leiche auf den Boden fallen. Jarihm öffnete den Mund.
»Wie? Was?...«
Der Schock machte ihm mehr zu schaffen als er gedacht hatte. Jetzt stammelte er schon wie der örtliche Trunkenbold. Sucaría lächelte trotzdem zaghaft.
»Als er auf mich einstach, konnte ich gerade noch etwas in die Knie gehen. Dadurch traf mich der Stich etwas oberhalb meines Herzens und war deshalb nicht tödlich. Allerdings war der Schmerz aber so betäubend, dass ich es nicht augenblicklich wieder auf die Beine geschafft habe. Tut mir leid, dass ich dich kurz mit ihm allein lassen musste.«
Jarihm konnte nur an das denken, was der Mann über das Gift gesagt hatte. Hektik erfasste Besitz von ihm.
»Schnell, wir haben keine Zeit. Ich muss dir das Gift aus der Wunde saugen bevor es dich umbringt!«
Jarihm stürzte zu ihr, und riss mit einer resoluten Bewegung die Fetzen des sowieso durch den Kampf bereits mehr als lädierten Kleides weg. Gerade als er mit beiden Händen an das geschnürte Obergewand griff, um es ebenfalls ganz zu entfernen, stieß ihn Sucaría mit einem Fußtritt zur Seite. »So behandelt man keine Dame. In meiner Tasche ist Verbandszeug, bring mir das.«
Er war verwirrt. Es ging hier um jede Sekunde, jede einzelne davon konnte die sein, in der das Gift so weit in ihren Körper eindrang, dass er es nicht mehr entfernen würde können. »Sucaría, das Gift…«, begann er.
»Ist keine Gefahr für mich«, unterbrach die Schildmaid ihn ungeduldig, während sie ihn ernst anblickte.
»Wir Elitisten und Schildmaiden sind die Elitetruppe des Königs. Im Rahmen unserer Ausbildung werden wir gegen die bekanntesten und am häufigsten eingesetzten Gifte immunisiert. Seit meinem Jahrgang übrigens auch gegen das Gift des Jinxster-Busches. Und ich dachte immer, dass das unnötige Schmerzen waren. Das sehe ich jetzt ein kleinwenig anders.«
Erleichterung machte sich in ihm breit. Es bestand also keine augenblickliche Lebensgefahr mehr für sie. Er atmete tief aus und blickte sie an. Erst jetzt wurde ihm klar, in welchen Zustand er sie versetzt hatte. Das Kleid war an den beiden Trägern, die es bei ihren Schultern gehalten hatten, gerissen und es hing so weit herab, dass es erst ab der Hüfte wieder begann, sie zu bedecken. Das geschnürte Oberkleid hatte er in seinem Versuch, es ihr vom Körper zu reißen, zusammen geschoben, so dass ihr gesamter Bauch zu sehen war. Auf Höhe ihrer Brust war auf ihrer verletzten Seite die Verschnürung offen, vielleicht war sie durch den Dolchstich ebenfalls getroffen worden oder es war ebenfalls Auswirkung seiner Bemühungen. Auf jeden Fall verdeckte es eindeutig nicht mehr das, was es verdecken sollte. Jarihm wurde kirschrot, als ihm ihr Anblick bewusst wurde. War er bei der Rast zu Mittag noch der Meinung gewesen, fast alle verschiedenen Gründe für das Erröten durch zu haben, wusste er jetzt, dass ihm dieser noch gefehlt hatte: Wollust. »Meinst du nicht, dass du mich jetzt genug angegafft hast und mir schön langsam das Verbandszeug bringen solltest, um das ich dich gebeten habe? Ich kann nämlich immer noch verbluten, solltest du wissen.«
Jarihm wusste nicht, ob sie beschämt, verärgert oder tatsächlich in Gefahr war, aber er vermutete von allem ein bisschen. Und er hatte nicht vor, es genauer herauszufinden. Er beeilte sich zu Sucarías Tasche zu gelangen, fand schnell das Benötigte und brachte es der Tochter des Zujcan-Clans. Er setzte sich neben sie, doch sie deutete ihm sich umzudrehen, während sie sich verband. Jarihm tat wie ihm geheißen, und hörte nur Augenblicke später hinter sich, wie sie den kläglichen Rest ihres Oberteils entfernte, um die Wunde gut erreichen zu können. Während sie das tat, eröffnete er wieder das Gespräch.
»Ich kann kaum glauben, dass Zilrag uns bis hier her verfolgt hat. Und dass er solch skrupellose Mörder befehligt eigentlich auch nicht.«
»Das war keiner von Zilrags Leuten.«
»Ach nein?« Jarihm drehte sich erstaunt um, und dann sofort wieder zurück. Allerdings mit einem Grinsen im Gesicht.
»Wie kommst du darauf? Und wer sollte es sonst sein? Ich habe keine Feinde, die so weit gehen würden, du etwa?«
»Äh, nein, natürlich nicht. Du hast Recht. Es war wohl einer von Zilrags Leuten.«
Jarihm war verwirrt