Des Orakels Richterspruch. Clemens Anwander. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Clemens Anwander
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738039269
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brennende Fackeln darauf warfen. Das Dach der Schenke, das aus Holz und Stroh bestand, fing sofort Feuer und ohne dass sie irgendetwas tun konnte, brannte das Gebäude, in dem sie so viele Jahre verbracht hatte, ab. Und es war ihr, als gingen alle schönen Erinnerungen gleich ebenso in Flammen auf. Als sie zusammen mit ihrer Mutter Puppen gespielt, sie im Garten mit Holzschwertern geturnt oder sie am Dach das erste Mal einen Jungen geküsst hatte. Doch das war Sucaría plötzlich alles egal, als einer der Soldaten ihre Mutter herbeizerrte, die weinend und schreiend versuchte, zu entkommen. Doch der Griff des Soldaten, dem die ganze Zerstörung offensichtlich große Freude bereitete, da er ein hämisches Grinsen über das ganze Gesicht hatte, war eisern. Er schleifte sie über den steinigen Untergrund, und Sucaría konnte sehen, wie der Schutt blutende Furchen in der Haut ihrer Mutter hinterließ. Die Tochter des Zujcan-Clans versuchte ihr zur Hilfe zu kommen, doch ihre Beine bewegten sich einfach nicht, und es schnürte ihr so sehr die Kehle zu, dass sie nicht einmal schreien konnte. Es war, als würde sie in einem Sumpf feststecken, aus dem es kein Entrinnen gab. Stumm und hilflos musste sie mitansehen, was als nächstes geschah. Der zweite Soldat schnappte seinen Dolch und zerschnitt die Gewänder ihrer Mutter. Diese versuchte sich zu entwinden, doch sie hatte keine Chance. Der Soldat verpasste ihr einen Faustschlag in die Magengrube, und ihr blieb die Luft weg. Ihr verzweifelter Widerstand war damit gebrochen. Nun öffnete der Scherge Mik-Tars seinen Gürtel, ließ seine Hosen fallen und verging sich an der Frau, die Sucaría einst das Leben geschenkt hatte. Die Schildmaid fühlte sich ohnmächtig, sie konnte nichts tun außer zuzusehen, wie ihre Mutter, der stillschweigend die Tränen herabliefen, vergewaltigt wurde. Ihr Gesicht war eine entstellte Fratze, ein Spiegel ihrer Seele, welche ebenso geschändet wurde wie ihr Körper. Ein Antlitz, das Sucaría nur zu gut kannte. Nachdem der Soldat mit einem ekelerregenden Seufzen wieder von ihr abließ, hob der Lakai der Despotie, der sie eben noch festgehalten hatte, einen Dolch über seinen Kopf und stieß zu. Dieser fuhr in die Brust ihrer Mutter, welche vor Schmerzen lauthals aufschrie. Als die Waffe wieder aus dem Körper gezogen wurde, hinterließ sie eine klaffende Wunde. Sucarías Mutter brach zusammen, Blut rann in Strömen und bildete einen kleinen See in der Landschaft. Die Soldaten lachten laut auf, und während der Mörder noch die Klinge an ihrer Kleidung säuberte, sattelte der andere bereits wieder auf. Ihre Mutter tat ihren letzten, verzweifelten Atemzug. Die dichter werdenden Rauchschwaden in ihrer Umgebung ließen ihre Augen tränen, das gesamte Dorf des Zujcan-Clans stand in Flammen! Begleitet von entsetzten Schreien und dem Knistern des Feuers wurden ganze Existenzen ausgelöscht.

      Kurz darauf war ihr die Frau in Weiß erschienen und hatte ihr erklärt, dass dies ein Blick in eine mögliche Zukunft gewesen war. Sie würde diese aber verhindern können, wenn sie innerhalb von zwei Tagen mit Jarihm de Los Cuervos, dem vierte Mann, der sie im Gasthof zum Betrunkenen Elf ansprechen würde, zur Höhle im Schatten des gigantischen Baums nördlich von Tchiyo kommen würde. Danach war sie schweißgebadet auf ihrer Pritsche in der Kaserne in der Königsstadt aufgewacht, in der sie am Vortag mit ihren Kollegen angekommen war, um ihren Urlaub anzutreten. Vastor, der direkt neben ihr geschlafen hatte, war ihr geschockter Zustand aufgefallen, und sie hatte ihm von dem Traum erzählt. Auch wenn er ihr nicht hundertprozentig geglaubt hatte, hatte er doch zugesagt, ihr zu helfen. Nachdem sie auch Iklop eingeweiht hatten, war dieser ausgezogen und hatte Erkundigungen über Jarihm de Los Cuervos eingeholt. Sie hatten erfahren, dass er öfters einen privaten Raum im ersten Stock des Gasthofs zum Betrunkenen Elf, bewohnte und dass er sich auch gerne in diesem Gasthof aufhielt. Vastor hatte sich das Tierblut besorgt und Iklop hatte bereits untertags den Raum im ersten Stock untersucht. Er hatte von den links an der Wand angebrachten Schwertern erzählt und sie hatten einen genauen Plan für den inszenierten Angriff geschmiedet. Im Schatten einer Seitengasse hatten sie dann auf die Ankunft Jarihms gewartet, und nachdem Sucaría sich in die Gaststätte begeben hatte, waren die beiden Elitisten in den Privatraum geschlichen und hatten auf die Zwei gewartet. Der Plan war perfekt aufgegangen. Sucaría bemerkte, dass sie schon einige Minuten da stand und über das Erlebte nachdachte. Delphi stand mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht neben ihr und wartete geduldig.

      »Ja, solche Zukunftsvisionen können einen richtig einnehmen. Es gibt in der Geschichte der Orakel einige, die mit dieser Bürde nicht fertig geworden und dadurch dem Wahnsinn anheimgefallen sind.« Sucaría blickte sie entsetzt an. »Aber dir droht das natürlich nicht. Nein, du hast einen anderen Auftrag. Du musst in den Südwesten Sekoyas reisen. In Seestadt gibt es eine Forschungsstätte, die sich unter anderem mit einer ganz besonderen Mischung an Substanzen beschäftigt, mit teils durchschlagendem Erfolg.« Wieder lächelte das Orakel, so als ob es einen Witz gemacht hätte, den nur es selbst verstand.

      »Du musst große Mengen dieser Mischung in die Festung Wehrenstein bringen. Du weißt, wo diese liegt.«

      Die Schildmaid nickte nachdenklich. Vor Jahren hatte sie mehrere Manöver in eben jener Festung gehabt. Sie lag mit einer Seite am großen Salzsee Yuho und galt als uneinnehmbar. Sie war der letzte Zufluchtsort der Königsfamilie in den Zeiten der großen Unruhen gewesen und wurde seit dem von der königlichen Armee mit großem Aufwand in Stand gehalten.

      »Hast du alles verstanden?«, wollte Delphi von ihr wissen.

      »Ja, aber ich habe noch so viele Fragen. Was ist das für eine Mischung? Wird man sie mir einfach so geben? Und wofür benötigt sie die Festung Wehrenstein überhaupt?«

      »Ich würde dir gerne alles genau erklären, aber ich fürchte, die Zeit drängt. Du wirst das Nötigste schon selbst herausfinden. Außerdem könnten zu viele Informationen deine Handlungen in den entscheidenden Momenten falsch beeinflussen. Sagen wir einfach, dass ich genügend Vertrauen in dich und deine Fähigkeiten habe. Geh jetzt, und vergiss nicht, dass Eile geboten ist.«

      »Aber…«

      »Soll ich wirklich noch weiter mit dir plaudern, oder soll ich nicht lieber dafür sorgen, dass dein Missverständnis mit Jarihm geklärt wird?«

      Ein großer Kloß formte sich im Hals der Schildmaid.

      »Was hast du mit ihm vor?«

      »Wie bei dir, ist auch sein Beitrag von elementarer Wichtigkeit. Also lass mich jetzt beginnen.«

      Voller Fragen schritt Sucaría aus der Höhle, während hinter ihr Delphi ein seltsames Lied anstimmte.

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