Prophezeiungen der Weisen. Dörthe Haltern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dörthe Haltern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844263015
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      Naksa ist ein Traum., hatte Peroth es ihm zu erklären versucht. Aber ein wirklicher Traum, den du leben kannst. Nur jedes Mal, wenn du seine Grenzen überschreitest, wirst du mit aller Gewalt herausgerissen und musst erkennen, wie wenig dieser Traum wahr zu sein scheint. Trotzdem bleibt Naksa das, was die Welt sein sollte und es wird die Aufgabe aller sein, die nur einmal diesen Boden betreten haben, diesen Traum um alles in der Welt zu schützen und niemals untergehen zu lassen. Denn dann wird auch der letzte Frieden dieser Welt verlorengegangen sein. Es gab schon viele dieser Träume. Silver Rain ist nur einer von denen die gescheitert sind.

      Stalca war schon mehrmals aufgefallen, wie oft Peroth den Namen dieser mysteriösen Stadt nannte, aber noch niemals hatte er erklärt, was es mit ihr auf sich hatte und was genau dort geschehen war. Und er hatte auch niemals gewagt zu fragen, denn Peroth schien es auch nicht wirklich erklären zu wollen. Zu viel Schmerz schien mit dieser Sache zusammen verbunden zu sein und so hielt er den Mund.

      "Ich hätte niemals mitgehen sollen.", riss ihn David aus seinen Gedanken heraus.

      Ein wenig widerwillig drehte Stalca sich zu ihm herum. Inzwischen war bereits alle Farbe aus Davids Gesicht und Händen gewichen und würde sich nicht ein allmähliches blau breit machen, wäre er sicher genauso blass wie der Schnee draußen. Wenn er nicht erfror, würde er an seinem Fieber sterben. Ein wenig musste Stalca ihn schon bewundern. Er hätte nie gedacht, dass der Mensch mit solch einer Kraft und Verbissenheit durchhalten würde. Aber ob er dies auch noch am kommenden Tag schaffen würde war eine andere Frage.

      "Meine Eltern werden sich zu Hause schreckliche Sorgen machen. Zuerst wird mein Vater wütend gewesen sein, da er mit Sicherheit dachte ich würde wieder einmal die Zeit vertrödeln. Wir waren auf dem Markt und ich sollte eigentlich nur nach Stoffpreisen Ausschau halten. Er wird eine lange Zeit gewartet haben, nachdem er selbst nach dem Stoff gesehen hätte. Dann würde er anfangen mich zu suchen, nur um allein zurückzufahren und glauben, ich würde es schon irgendwie wieder zurück schaffen. Doch nun wird er bereits Tage vergeblich gewartet haben. Und er konnte nicht nach Caparian City zurück, da das Tal noch immer abgeriegelt ist. Vielleicht geben sie sich die Hoffnung, dass ich es einfach nicht rechtzeitig geschafft habe und nun draußen warten muss, bis alles vorbei ist. Ich würde alles dafür geben meiner Mutter sagen zu können, dass sie sich keine Sorgen mehr um mich machen braucht."

      "Wo wohnst du?", fragte Stalca, um die Unterhaltung irgendwie fortführen zu können. Auch er spürte die drückende Müdigkeit auf seinen Schultern und sie beide wussten, dass sie nur krampfhaft weiterredeten, um nicht einzuschlafen.

      "Kartano.", antwortete David. Stalca sagte dieser Name nichts. Doch bevor er darauf eingehen konnte, fuhr David schon fort. "In einem Tal nordwestlich von Caparian City. Ganz in der Nähe steht eine zerstörte Burg. Ihr Name ist Moragán. Doch irgendetwas stimmt mit ihr nicht."

      Stalca schwieg darauf nur. Dieser Name sagte ihm etwas. Er war nicht unbekannt in den Legenden seines Volkes, doch was genau dort vor sich gegangen war, wusste er auch nicht. Also machte es für ihn keinen Sinn dieses Thema anzusprechen.

      "Wieso wolltest du nicht hierher? Was war hier?" Davids Stimme war nur noch schwerfällig und schleppend.

      Eigentlich zog es Stalca vor sich dies alles nicht mehr in Erinnerung rufen zu müssen, doch was machte das noch. Inzwischen blieb er in den Nächten auch nicht mehr davon verschont.

      "Es ist schon ewig her. Damals war ich mit meinem Vater hier unterwegs. Er wollte mit mir nach Yesúw. Jedenfalls glaube ich das, jetzt, wo ich weiß, dass es ganz in der Nähe liegt. Wir lebten schon immer hier im Gebirge. Jedenfalls solange, wie ich mich erinnern konnte. Nur ab und zu kamen wir bis in die Täler hinein, wenn wir nicht mehr genügend zu essen finden konnten. Menschen waren lange Zeit nie das Problem gewesen. Wir konnten ihnen immer aus dem Weg gehen und waren ihnen so nie wirklich begegnet, doch mit einem Mal änderten sie sich. Sie wurden zahlreicher und schienen auf einmal nach uns zu suchen, als wüssten sie gerade erst in diesem Moment von unserer Anwesenheit. Ihnen zu entkommen wurde immer schwerer und manchmal entgingen wir nur knapp ihren Augen. Und einmal entkamen wir ihnen nicht. Es war genau hier. Diese Schlucht. Wir gingen hinein, da es keinen anderen Weg mehr gab und wir hofften ihnen hier entkommen zu können. Doch mit einem Mal hörte sie einfach auf. Es ging einfach nicht mehr weiter." Stalca hielt inne und wieder spulte sich das Geschehen vor seinem inneren Auge ab. "Sie haben ihn einfach erschossen.", murmelte er schließlich.

      Lange Zeit schwieg er schließlich nur, bis ihm einfiel lange nichts mehr von seinem Begleiter gehört zu haben. "David?" Doch auf seine Anfrage antwortete niemand. "David!" Er bemerkte wie ihm die Augen zugefallen waren und versuchte ihn wieder wachzurütteln.

      "Lass mich doch.", brummte David schließlich, doch das war nicht gerade sehr viel hilfreicher.

      " Schlaf hier nicht ein, verdammt noch mal!", fuhr Stalca ihn an, doch gleichzeitig fragte er sich, aus welchem Grund er ihn nicht einfach friedlich einschlafen lassen sollte. Weil wir so kurz davor stehen., beantwortete er sich diese Frage selbst. Weil er es war, der so davon überzeugt war, wir würden den Eingang zu Yesúw tatsächlich finden können."Wir müssen weiter.", war alles, was ihm weiterhin einfiel.

      "Geht nicht.", entgegnete David. "Es ist noch zu stürmisch draußen."

      "Das ist jetzt egal.", versuchte Stalca ihm einzureden. "Sonst werden wir es niemals hier wegschaffen. Wenn wir erst einmal da sind, kannst du solange schlafen, wie du nur willst."

      Plötzlich glaubte er in der Dunkelheit eine Bewegung erkennen zu können. Erschrocken fuhr er herum und was er zu sehen glaubte, konnte nur ein Geist sein. Er stand haargenau an der gleichen Stelle, aber nun bewegte er sich mit unheimlich realen Schritten auf sie zu.

      Erst später erkannte er, dass sich auch ein Pferd hinter der Gestalt mit tief gesenktem Kopf durch das dichte Schneetreiben kämpfte. Beim Näherkommen erkannte Stalca, dass es ein Mensch war und seine Phantasie ihm zunächst einen Streich gespielt hatte. Nun schlug sein Herz aus einem anderen Grund schneller. Schon wieder war er in eine Falle geraten, aus der es kein Entkommen gab.

      Noch ein paar Schritte und er glaubte jedoch das Pferd schon des Öfteren gesehen zu haben. Eine dünne, weiße Schneeschicht lag auf dem schwarzen Fell und in der langen Mähne hingen dicke Eiszapfen, doch es war Rugars Rappe. Also musste auch der Mann Rugar sein, sicher war sich Stalca allerdings erst, als dieser die Höhle erreicht hatte und seine Kapuze abstreifte.

      "Ist alles in Ordnung?", fragte er ruhig.

      Zögernd nickte Stalca, deutete aber auf David und wies auf den verletzten Fuß hin. Sofort wandte sich Rugar ihm zu und Stalca lehnte sich wieder an die Felswand zurück. Erst jetzt, wo die unmittelbare Gefahr überstanden schien, wurde ihm so richtig bewusst, dass sie in nur wenigen Stunden hätten tot sein können.

      "Bist du sicher, dass alles gut ist?", fragte Rugar erneut.

      Sah er wirklich so schlimm aus, wie er sich gerade fühlte? Stalca nickte nur wieder, ihm war nicht danach zu reden. Rugar reichte ihm eine Hand und half ihm hoch.

      "Wir müssen sofort weiter.", mahnte er. "Für die Tiere ist es hier viel zu kalt. Es ist nicht weit, ihr hättet es fast geschafft."

      "Wie hast du uns gefunden?", brachte Stalca nun doch ein paar Worte hervor.

      "Durch eine Menge Glück.", antwortete Rugar ihm schlicht.

      ZWISCHENSPIEL

      Sayonara war noch immer hier. In den Hallen von Yesúw. Noch immer allein. Genau so, wie ihr Vater sie zurückgelassen hatte. Dabei hatte er es immer nur gut mit ihr gemeint, aber gut gefühlt hatte sie sich nie in ihrem Leben. Weggesperrt hatte sie sich bisher immer nur gefühlt und weggesperrt sollte sie auch sein. In einem gewissen Sinne. Sie sollte weggesperrt sein von den Gefahren der Welt, denen sie dort draußen ausgesetzt sein würde. Doch gleichzeitig war sie auch eingesperrt. Eingesperrt wie ein kleiner Vogel in einem goldenen Käfig. Anderen schien dies nichts auszumachen. Selbst anderen menschlichen Priestern und Priesterinnen nicht. Sie lebten ihr einsames, ein- und weggesperrtes Leben ohne zu murren oder gar etwas anderes in Erwägung zu ziehen.

      Anfangs war auch sie mit ihrem Leben zufrieden