Prophezeiungen der Weisen. Dörthe Haltern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dörthe Haltern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844263015
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zu zögern. "Sicher. Wir werden dich nach Hause bringen. Du wirst es wohl kaum allein schaffen.", sagte er dann doch, aber sein Zögern verunsicherte David, auch wenn dieser sich aufs Pferd heben ließ.

      Nach und nach begannen sich weitere Schatten von der Dunkelheit der umstehenden Häuser zu trennen. Insgesamt umfasste die Gruppe fünf Reiter mit ihren Pferden. Für David schon eine beunruhigende Anzahl, wenn er an die wahnsinnigen Fluchtgedanken in seinem Kopf dachte. Obwohl es bisher nicht einmal einen Grund hierfür gab. Dabei konnte er nicht einmal vernünftig reiten. Ab und zu hatte er sich auf ihre Zugpferde gesetzt, aber sie waren riesig und breit im Vergleich zu der zierlichen Stute auf der er jetzt saß. Bei ihren heimischen Pferden war es nahezu unmöglich hinunterzufallen und man saß auf ihnen, wie auf einem sich leicht bewegendem Sofa. Er hatte jetzt schon das Gefühl sich nicht lange im Sattel halten zu können.

      Er war für einen Moment so in Gedanken vertieft, dass er gar nicht mitbekam, wie sich ein Pferd neben ihn stellte. Fast erschrocken blickte er auf. Das Tier neben ihm war um ein ganzes Stück größer als sein eigenes mit einem grauen Fell, was in den spärlichen Lichtstrahlen, die die Lampen von sich gaben, fast silbern glänzte. Auf ihm saß ein junger Mann, der wahrscheinlich nicht viel älter war als David selbst.

      "Mein Name ist Jack Bradley.", stellte sich dieser vor und reichte David die Hand. Zögernd nahm er sie entgegen. "Das hast du verloren."

      Jack reichte ihm das dreckige Bündel und mit einem Mal waren alle Erinnerungen an die letzten Stunden wieder an die Oberfläche getreten. Davids Herz begann erneut schneller zu schlagen, als er das Bündel entgegen nahm.

      "Danke.", murmelte er und fragte sich, ob er nicht vielleicht ein wenig unfreundlich schien. Aber immerhin kannte er diese seltsamen Leute alle nicht, obwohl sie ihn zu kennen schienen. Dies war es, was ihm am meisten Sorge bereitete.

      STALCA

      Der Traum war immer mit ihm. Jede Nacht. Immer und immer wieder in regelmäßigen Abständen. An sich war es ein schöner Traum, doch er war immer zu früh zu Ende. Es war nicht so, dass er durch Aufwachen beendet wurde, wie es die meisten Träume taten. Er endete einfach dort, wo auch die Erinnerungen endeten. Die Erinnerungen an ein anderes Leben, wie es schien. Doch dieses Leben war eigentlich kein anderes, aber es war nach und nach verdrängt worden.

      Nun war es eine weitere Nacht, in der Stalca auf seinem Lager aus Strohmatten lag und dieser Traum erschien. Es war nicht so, dass sie es bequem hatten, er und der Meister, in dieser trostlosen Höhle. Und es hatte lange gedauert, bis er es endlich geschafft hatte, seine Ruhe zu finden. Doch jetzt schlief er bereits seit einigen Stunden und der Traum meldete sich von Neuem.

      Es war Winter. Eiskalter Winter, einer von den unendlich grausamen Wintern. Doch davon gab es viele in den Bergregionen Zahurs. Ein Grund weshalb sich Menschen selten dorthin verirrten. In einigen Dingen waren sie sehr schwach, die Menschen. Auch im Ertragen der Kälte. Stalca selbst war zu dieser Zeit, in der sein Traum sich abspielte, noch ein kleines, hilfloses Kind. Schutzlos seinen Gefahren ausgeliefert, wäre es allein. Doch sein einziger Schutz war nun unerreichbar von ihm. Jedenfalls aus den Augen dieses Kindes gesehen, dass vielleicht gerade erst seit wenigen Monaten sich problemlos allein auf den Beinen halten konnte. Er war allein mit seinem Vater in den Bergen, seit er denken konnte. Was mit seiner Mutter oder den anderen Angehörigen des Stammes geschehen war, wusste er nicht.

      In seinem Traum stand er vor einem nicht unbedingt sehr steilen Abhang, aber tückisch an ihm war die Zentimeter dicke Eisdecke, auf der Füße kaum sicheren Halt fanden. Sie war einige Meter lang und was an ihrem Ende war, konnte man nicht sehen. Nur die große Gestalt seines Vaters war durch dichtes Schneetreiben noch zu erkennen, doch dieser wartete und kam nicht um ihm zu helfen. Denn er musste es allein schaffen, durfte vor keiner Gefahr zögern, die sich ihm in den Weg stellte, denn sonst würde er verloren sein.

      Stalca versuchte sich ein möglichst großes Wolfsrudel vorzustellen, welches jeden Moment über ihn herfallen könnte. Zögernd setzte er einen Fuß vor und rutschte sofort auf dem Eis aus. Gerade noch rechtzeitig fand er sein Gleichgewicht wieder und verhinderte ein Abrutschen. Das Wolfsrudel hinter ihm war nicht groß genug, als dass er noch einen Schritt wagte. Verzweiflung kämpfte sich in ihm hoch. Er konnte nicht sicher sein, ob sein Vater mit der Zeit kommen würde, um ihn zu holen.

      "Komm, Stalca!" Immer wieder versuchte sein Vater ihn zu rufen und dazu zu bewegen es immer wieder zu versuchen, doch allmählich gab der junge Isk auf.

      Tief in seinem Herzen aber, meldete sich eine Kraft, die mit all ihrer Macht nicht zuließ, dass er aufgeben würde. Die sich in ähnlichen scheinbar ausweglosen Situationen immer wieder empor kämpfte und ihn zwang weiterzumachen, bei was auch immer. Und auch jetzt, brachte sie ihn dazu, ein letztes Mal einen Schritt auf das Eis zu tun. Wieder verlor er den Halt, aber diesmal schaffte er es, sein Gleichgewicht zurück zu erlangen ohne umzukehren. Langsam, Schritt für Schritt ging er voran. Er konnte seinen Vater durch das dichte Schneetreiben sehen, wie er die Arme ausbreitete, um seinen Sohn notfalls auffangen zu können. Dies gab Stalca neuen Mut. Wenn er ausrutschen sollte, würde er nicht in ein tiefes Loch am Ende des Abhangs fallen oder unkontrolliert einen Hang hinunter rutschen. Er würde in die starken Arme seines Vaters fallen, die ihn halten würden.

      Normalerweise endete hier dieser Traum. Doch heute fuhr er fort.

      Stalca setzte weiter Schritt vor Schritt und kam dem Ende immer näher. Schließlich erreichte er seinen Vater ohne ins Stolpern geraten zu sein. Erleichtert ließ er sich in die Arme nehmen und sie setzten beide ihren Weg fort. Doch vorher konnte er nach langer Zeit das Gesicht seines Vaters sehen, was er schon fast vergessen glaubte, obwohl er sich immer wieder versuchte daran zu erinnern, aber es war wie aus seinem Gedächtnis gelöscht. Jetzt jedoch, in dieser Nacht war es wieder vor ihm. Die langen, geflochtenen Haare waren aus dem Gesicht gebunden und nur ab und zu wehte der böige Wind ein paar Strähnen heraus. Die gelben Augen lagen auf seinem Sohn und schienen zu leuchten, fast wie die Augen eines Meisters. Die muskulösen Arme schlossen sich schützend um seinen Sohn. Es hätten locker noch drei weitere Stalcas hineingepasst, denn sein Vater war sicher einer der größten Isk, die es je gegeben hatte. Er war schon fast ein Riese im Maßstab zu den anderen Angehörigen seines Volkes.

      Eigentlich war es ein sehr schöner Traum. Kindheitserlebnisse an die man sich gerne erinnerte. Doch unmittelbar darauf meldete sich ohne jede Vorwarnung ein anderes Bild von seinem Vater. Das letzte, was Stalca von ihm kannte und was sich wie ein grausamer Fluch in sein Gedächtnis eingegraben hatte. Doch diese Bilder ließ er niemals an die Oberfläche kommen, denn ihnen würden viel zu viele weitere schmerzhafte Erinnerungen folgen. Also beschloss Stalca möglichst schnell wieder aufzuwachen, was ihm auch mir erstaunlicher Schnelligkeit gelang. Für den Rest der Nacht wagte er es nicht, wieder einzuschlafen.

      DIE VERLORENEN KINDER

      Für David gab es gerade einen Moment, den er gerne für irgendeinen anderen Moment getauscht hätte. Dieses Gefühl ist allgemein bekannt, denn selten geschieht es, dass einer davon verschont geblieben wäre. Er saß auf einem Pferd, was nicht weiter schlimm gewesen wäre. Aber dieses Pferd preschte gerade mit wahnsinniger Geschwindigkeit eine Straße entlang.

      Natürlich hatte man sie nicht ohne weiteres aus der Stadt gelassen. Des Nachts blieben die Tore verschlossen und niemand kam heraus oder gar herein. Also hatten sie sich ein weniger gut bewachtes Tor gesucht, was sie mit Leichtigkeit überwinden konnten. Doch selbstverständlich war es nicht ganz und gar unbewacht. Aus diesem Grund würde es für David keine allzu große Überraschung sein, wenn sie bereits von einigen Reitern der Stadtwache verfolgt werden würden.

      Ihn ließ das seltsame Gefühl nicht los, etwas hätte sich seit ein paar Stunden gehörig in seinem Leben verändert. Ungemütlich wurde ihm, wenn er das dreckige Bündel spürte, wie er es immer noch festklammerte, obwohl es ihm schon nicht wenig Probleme bereitet hatte. Er wusste nicht einmal, was es enthielt und war sich nicht sicher, dies überhaupt wissen zu wollen. Er konnte nicht wissen, dass nicht das Bündel es war, was sein Leben auf einen Schlag eine Spur gefährlicher gemacht hatte.

      Die Straße raste unter ihnen in irrwitziger Geschwindigkeit hinweg. Die Entfernung zwischen Caparian City und dem kleinen Tal, in dem David zu Hause war, schrumpfte