"Oh, verstehe.", meinte er. "Und da glaubt die Dame jetzt, wir könnten mal eben einen Tag rasten, damit sie sich von ihren blauen Flecken erholen kann. Du kannst gerne wieder nach Hause gehen, wenn dir das lieber ist."
Sie warf ihm nur einen giftigen Blick zu, bis ihr einfiel, was sie darauf erwidern sollte. "Ich werde ganz bestimmt nicht nach Hause gehen.", fauchte sie ihn an.
"Schade.", seufzte er. "Habe mir schon Hoffnungen gemacht. Dann solltest du aber auf deine Pause verzichten, sonst könnte es sein, dass du uns in der Zeit nicht wiederfindest. Wir werden nämlich nicht halten, weil keiner von uns Lust hat noch eine Nacht in diesem Wald zu verbringen."
"Ich weiß nicht.", mischte sich Arthur ein. Er saß mit seinem bisschen Gewicht auf dem Gepäckpony und kaute auf einem schmalen Streifen Brot. Wie die meisten älteren Leute ließ er sich Zeit bei seinem Frühstück und es störte ihn auch nicht, dies auf dem Pferderücken fortzuführen.
"Lieber in diesem Wald als auf dem offenen Feld. Hier gibt es nur Höllenteufel. Mit denen kann man fertig werden, wenn man weiß wie. Doch dort draußen treibt sich sonst was rum und einer von denen ist wahrscheinlich Justaka persönlich. Was wollt ihr tun, wenn wir einem seiner Schergen gegenüber stehen? Kämpfen? Zu zweit? Sie ist nur ein Mädchen und ich bin nur ein alter Mann. Auf uns könnt ihr euch nicht verlassen."
"Ich denke, dann möchte ich nirgendwo mehr hin.", überlegte Faith.
"Nirgendwo gibt es nicht.", entgegnete Jack. Aber nur aus reiner Gewohnheit, doch er merkte, dass es nun nicht angemessen war, denn als er zu ihr herüber sah, konnte er die Angst in ihren Augen sehen, die sie bisher versucht hatte zu überspielen. "Wenn wir hier erst mal durch sind, kommen wir an einen Ort, wo sich so schnell keiner von denen rumtreibt."
Arthur lachte trocken. "Red' dem Mädchen doch nicht solch einen Unsinn ein.", widersprach er. "Bis dahin müssen wir erst einmal durch halb Zahur und wenn wir dann endlich angekommen sind, wissen wir auch noch nicht, wie es weitergeht."
Faith erwischte sich dabei, wie sie einen zaghaften Blick den Weg zurück warf, doch sie biss die Zähne zusammen und zwang sich wieder geradeaus zu sehen. Sie würde nicht wie ein Feigling wieder nach Hause kriechen. Nein und wenn nur deshalb nicht, da sie Jack nicht diesen Gefallen tun wollte.
DER UNTERGANG
Zügig schritt Wirhnö durch die dunklen, weiten Gänge. Draußen stand die Sonne an ihrem höchsten Punkt, doch ihr Licht schaffte es nicht durch die Fenster zu dringen. Diese waren nur dafür bestimmt frische Luft in die Gemäuer der Burg zu lassen. Aber auch dies war im Grunde sinnlos, denn der oberste Herrscher brauchte keine Luft zum Atmen. Eigentlich brauchte er gar nichts. Auch der Bau dieser Burg war unnötig. Niemand konnte ihn angreifen oder gar verletzen.
Niemand mehr.
Es gab keine Waffe, die mächtig genug war ihm zu widerstehen. So schritt er fort in seinem Siegeszug.
Nach einer kurzen, unbedeutenden Unterbrechung.
Keiner konnte oder wagte es sich ihm in den Weg zu stellen. Niemand. So gehörte der alleinige Ruhm ihm und um seine Macht noch deutlicher zeigen zu können, ließ er diese Burg bauen.
Fortsetzung des Baus nach einer kurzen Verzögerung.
Als Zeichen, damit jeder wusste, er war hier.
Er war zurück.
Bereit den Abschaum dieser Welt, zum größten Teil aus seinen Feinden bestehend, endgültig hinweg zu fegen. Denn Feinde hatte er. Es gab gewisse Leute, die seinen Ruhm befleckten. Die es doch tatsächlich wagten ihm Widerstand zu leisten. Doch sie waren unbedeutend. Kleine Punkte. Kaum zu sehen und doch waren sie da. Und vor allem einer von ihnen. Der Verräter.
Er hörte nicht auf den Ruf, der ihn zurückholen sollte.
Deutlich hatte Wirhnö sein Bild vor sich. Sein eigener Bruder. Wie konnte dieser nur. Er war ein Narr gewesen und würde eines Tage noch bitter dafür bezahlen müssen. Wenn er nicht vorher zu Vernunft kommen, seine Fehler büßen und für die richtige Seite kämpfen würde. Vielleicht, ganz vielleicht würde der oberste Herrscher ihm dann verzeihen. Tief in seinem Herzen hoffte Wirhnö, dass er zurückkehren würde. Doch konnte er es sich nicht leisten, offen seine Gefühle zu zeigen. Seinem Herrn würde das nicht gefallen. Ganz und gar nicht. Also lebte er allein weiter. Für sich. Aber Wirhnö spürte, dass eine Begegnung zwischen ihnen nicht mehr weit entfernt war.
Nur, was sollte er dann tun?
Er verscheuchte diese Gedanken. Sie benebelten seinen Geist. Ließen ihn nicht mehr klar denken. Er beschleunigte seine Schritte etwas. Wenn sein Herr ihn rief, konnte er ihn nicht warten lassen. Die Menschen, denen er begegnete, wichen scheu vor ihm an die Mauern, um ihm Platz zu machen. Sie fürchteten ihn und diesen Umstand genoss er. Es waren nur Arbeiter, die der oberste Herrscher beschäftigte, um eine Burg zu bauen. Sie waren unbedeutende Geschöpfe. So unbedeutend, wie fast alle Geschöpfe dieser Welt. Wertlos.
Vor ihm befand sich plötzlich eine große, zweiflügelige Tür. Sie reichte fast bis zur Decke, lief oben spitz zu und war aus schwarzem Gestein gehauen. Wirhnö hatte noch nie zuvor solches Gestein in seinem Leben zu sehen bekommen. Vielleicht war es auch gar nicht schwarz. Vielleicht wirkte es nur so dunkel, wie fast alles hier dunkel wirkte. Dunkel und trostlos.
Die Flügeltüren öffneten sich wie von selbst. Sie taten es wohl auch, denn kein Mensch würde es schaffen sie durch seine eigene Kraft zu bewegen. Wirhnö trat einen Schritt zur Seite, um dem Gast, der ihm ohne viel zu sprechen gefolgt war, zuerst durch die Tür treten zu lassen. Dem König der Menschen. Stolz kam er in den Raum, der riesiger war, als alles andere, was je im Lande Zahur erbaut worden war. Wenn jemals einer den Blick bis an die Decke heben würde, würde er denken sie stiege bis in die Unendlichkeit. Turmartig schraubte sie sich immer weiter in die Höhe, bis zu einem Loch. Durch dieses Loch schienen ab und zu ein paar Sonnenstrahlen. Doch sie erreichten den Boden nie, denn sie wurden von einer dunklen Wolke abgefangen, die düster und bedrohlich den Raum bedeckte.
"Mach die Tür hinter dir zu.", ertönte eine Stimme aus dem dunklen Raum. "Es wird kalt."
"Das liegt daran, dass er hereingekommen ist.", antwortete eine zweite Stimme aus einer der hinteren Ecken.
"Es wird um zehn Grad kühler, wenn er einen Raum betritt.", bestätigte eine weitere Stimme. Die Augen hatten sich noch nicht lange genug an die Dunkelheit gewöhnt, um die Sprecher erkennen zu können, doch Dretir, der Dämon des Hungers, drehte sich zu den Eingetretenen herum und diese konnten seine dunkel-rot glühenden Augen sehen.
Neben sich hörte Wirhnö ein dumpfes Grollen. "Denn es fehlt jemand.", stellte Xan'Ysir, der Dämon der Verwüstung fest. "Zum Ausgleich."
Als Atúl, König der Menschen, sich zu Ysir herum drehte, stockte ihm der Atem. Ysir war riesig. Er hatte Schultern so breit wie ein Berg, mochte man meinen. An seinen muskelbepackten Armen hingen zwei Fäuste, die in der Lage waren mit einem Hieb dicksten Stein zu durchschlagen. Seine gesamte Gestalt war weit über zwei Meter groß, doch nur wenn er sich aufrichtete, wurde einem dies bewusst, denn er ging meist vorneübergebeugt. Wenn er einige Schritte trat, zitterte der gesamte Boden unter seinem Gewicht.
Aber Wirhnö war an ihn gewöhnt und zuckte nicht einmal mit der Wimper, als Ysirs gewaltige Stimme in seinem Ohr dröhnte, auch wenn sich der Dämon stets bemühte möglichst leise zu sprechen. Doch dies gelang ihm selten und so hörte sich seine Stimme aus der Nähe wie ein entferntes Gewitter an.
"Egal. Dann soll er doch draußen bleiben.", protestierte Rel, der Dämon der Krankheit über das Land brachte, erneut. "Sonst hole ich mir noch eine Erkältung."
"Stell dich nicht so an!", fauchte Dretir. "Wir haben uns um andere Dinge zu kümmern, als um solche Niedrigkeiten."
"Oh, hört, hört.", gab Rel zurück, der mit keinem gut Freund war. Nicht einmal mit Angehörigen seiner eigenen Sippe. "Der Meister spricht. Niedrigkeiten, nennt er diese. Was er wohl damit meinen mag? Ich beschäftige