Prophezeiungen der Weisen. Dörthe Haltern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dörthe Haltern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844263015
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wissen, dass sich Kobolde selten immer an einem Fleck aufhielten. Zwar bezeichneten sie einige Orte gerne als ihre Heimat, doch waren sie sehr unternehmungslustig und liebten es immer unterwegs zu sein. Tarry war der Ältere von den Beiden. Er lebte bereits 127 Sommer lang, doch das soll nichts heißen, denn in der Sicht von Menschenjahren waren es bloß 19 Jahre. Sein Bruder war 114 Sommer alt, also erst 17. David lebte die für ihn glücklichste und wohl auch spannendste Zeit seines Lebens zusammen. Bis heute jedenfalls. Danach bekam auch dieses Leben nur noch eine gelangweilte Bemerkung ab.

      Es war an einem Tag in der wohl beliebtesten Jahreszeit der Jugend in diesem Tal. Es war später Herbst, die Zeit der Ernten und vor allem der Weinlese. Viele versuchten auf ehrliche Weise ein paar der köstlichen Trauben zu ergattern, indem sie den Weinbauern halfen, diese abzuernten, doch die Bauern waren geizig und David kannte einen besseren Weg an die Früchte zu kommen. In sehr viel zahlreicherer Form. So schlich er sich mit Pitch am frühen Morgen die Hügel hinauf. Getarnt durch dicke Nebelfelder und beladen mit einigen großen Körben. Sie wussten beide, dass die Zeit drängte. Der erste Frost würde schon schnell kommen und bis dahin würden die Trauben bald abgeerntet sein. Vielleicht sogar noch an diesem Tage.

      Vergnügt luden die beiden Jungen ihre Körbe voll bis zum Rand und zwischendurch stopften sie sich noch den Mund voll bis ihnen schlecht wurde. Den Bauern würde dies kaum schaden, dass wussten sie. Dieses Jahr war im Vergleich zu den bisherigen nicht schlecht gewesen, sondern im Gegenteil zur Überraschung aller ungewöhnlich ertragreich. An jeder Rebe hingen hunderte von den kleinen Früchten. Es fiel nicht einmal besonders auf, dass einige fehlten. Nur ihre Eltern würden sich wahrscheinlich wundern, weshalb sie ihr Frühstück verschmähten.

      Als der Nebel lichter wurde und bereits das Haus des Bauern, dem dieser Hügel gehörte, zu sehen war, machten sie sich auf den Rückweg. Lachend über ihren Erfolg, den sie dem Geizhals abknüpfen konnten und diesmal schien es sogar ausnahmsweise gut zu gehen. Bisher waren sie keiner Seele begegnet und auch gesehen hatten sie niemanden.

      Doch dann geschah etwas, mit dem keiner gerechnet hatte und das so unerwartet eintrat, dass es schon vorbei war, bevor man begriffen hatte, was geschah. Auf einmal war es dunkel wie tief in der Nacht und es fing an zu regnen, als würde ein Riese eine ganze Wanne voll Wasser über das Land gießen. Blitze zuckten vom Himmel und schienen jedes Mal auf die Erde einzuschlagen. Wie Trommelschläge dröhnte der Donnerschlag. David tastete nach Pitch und erwischte seine Hand, was ihm jedenfalls bestätigte, dass dieser noch da war, denn sehen konnte man keinen Meter weit. Er hörte, wie ihm jemand etwas zurief, aber das Geräusch des Regens und das erneute Grollen des Donners machten es unmöglich etwas zu verstehen. Pitch beugte sich zu ihm herüber.

      "Sieh doch!", brüllte er. Trotzdem klang es wie ein entferntes Flüstern. "Moragán!"

      David wandte seinen Blick in Richtung der Burg, glaubte aber nicht in der Entfernung etwas sehen zu können. Doch da täuschte er sich. Das Licht der Blitze erhellte die Dunkelheit, aber sie schossen nur noch in Richtung der Festung und David war sich sicher, dass in der Burgmauer kein einziges Loch klaffte. Er konnte nicht sagen warum, denn es war unmöglich. Er achtete nie auf das zerstörte Gemäuer, dies tat keiner, doch er war sich sicher, der Schutzwall würde zur Hälfte gar nicht mehr existieren.

      Gebannt blieb sein Blick daran hängen, bis sich noch etwas ebenso Unglaubliches ereignete. Die Wolken schienen auseinanderzuklaffen, doch hinter ihnen war es noch genauso dunkel wie zuvor. Ein Feuer schien sich in den Himmel zu brennen. Zuerst eine kleine Flamme, doch dann zischte ein Funkenschweif daraus hervor und jagte zwischen den Wolken hindurch. Bögen, Schleifen und Kreise zog er. Keine Ecken nur Rundungen und als er wieder an der Stelle verharrte brannte ein gewaltiger Feuerkreis über ihren Köpfen.

      David und Pitch duckten sich erschrocken, aus Angst vor der Hitze, die Feuer normalerweise verursachte. Aber dieses Feuer war nicht warm, nicht kalt. Es war temperaturlos, auch wenn es hierfür nicht einmal ein Wort gab. Nicht einmal Licht spendete es. Als hätte ein Kind ungeschickt mit einem Stift über den Himmel gemalt. Trotzdem zuckten Flammen, die aufstiegen und wieder abfielen in beunruhigender Gleichmäßigkeit. Dieses Feuer war so falsch, wie alles was gerade um sie herum geschah. Neugierig blickte David nach oben und seine Augen brannten, als er in das helle, falsche Feuer blickte. Eine verzerrte Grimasse schien über das Tal zu blicken, die Mundwinkel zu einem höhnischen Grinsen verzogen. Eiskaltes Frösteln lief ihm den Rücken hinunter.

      Dies geschah in nur wenigen Minuten. Dann war alles vorbei. Von einem Moment zum nächsten war es wieder hell. Als hätte jemand in die Hände geklatscht und alles, wie einen bösen Zauber beiseite gewischt. Die Vögel zwitscherten fröhlich vor sich hin und eine leichte Herbstbrise wehte zwischen den Bäumen hindurch. Das Tal lag friedlich wie eh und je vor ihnen, als wäre nichts Ungewöhnliches geschehen.

      David blickte wieder zur Burg hinauf. Sie stand dunkel und zerstört auf ihrem Hügel. Wie immer. Als wäre nichts geschehen. Das war schon seltsam genug. Was aber noch viel seltsamer erschien, alles um sie herum war trocken. Als hätte es nie geregnet, als hätte es nie ein Gewitter gegeben, das über ihren Köpfen gewütet hatte. Keine Regentropfen glitzerten im Blattwerk oder Gras der sie umgebenden Wiesen. Auch seine Kleidung und Pitchs Kleidung und überhaupt alles war trocken.

      "Was war das?", fragte Pitch ein wenig ängstlich.

      "Ich habe keine Ahnung." Langsam, Wort für Wort kam dies über Davids Lippen. Er musste sich erst einmal wieder sortieren. Das Geschehene geschehen lassen. Am besten noch in der richtigen Reihenfolge.

      Es war selten, dass er keine Antwort wusste. Normalerweise war immer er es, der alles beantworten konnte. Normalerweise war es auch Pitch, der die dämlichen Fragen stellte, die ihm auch jedes Kind beantworten konnte. Kurze Zeit standen sie nur da und starrten auf die Burg. David hatte Schwierigkeiten sich auf etwas zu konzentrieren. Ein Teil von ihm versuchte noch immer das eben Geschehene zu verstehen oder eine Erklärung dafür zu finden. Eine kaum zu kontrollierende Furcht packte ihn auf einmal. Energisch versuchte er sie abzuschütteln.

      "Lass uns nach Hause gehen.", murmelte Pitch. Furcht stand auch in seinen kleinen, braunen Augen.

      David konnte es kaum glauben. Sie hatten doch eben etwas Unvorstellbares erlebt. Wie konnte man da einfach nach Hause gehen? Sie mussten zur Burg gehen oder irgendwo anders hin und der Sache auf den Grund gehen. Er wollte auf jeden Fall wissen, was geschehen war. Doch ein Blick auf seinen Freund verriet ihm, dass dieser nicht begeistert davon sein würde. Außerdem hatten sie noch die Körbe voller Trauben, wie David plötzlich bewusst wurde. So durfte sie keiner erwischen. Es galt die erbeutete Ware erst einmal in Sicherheit zu bringen. Seufzend folgte er Pitch, der sich schon ungeduldig auf den Weg gemacht hatte.

      Der Tag war noch nicht lang, doch die Gruppe um Nekat war schon lange unterwegs. Sie hatten sich kaum eine Rast gegönnt, waren bis tief in die Nacht hinein geritten und schon mit der ersten Dämmerung wieder aufgebrochen. Denn der Wald um sie herum lebte. Nicht das eigentliche Leben, was im Wald gewöhnlich anzutreffen war. Es war eine andere Art von Leben. Eine weitaus höhere, weitaus gefährlichere. Sie konnten es um sich herum spüren, manchmal sogar hören und ihnen entgingen nicht die Blicke aus kleinen, bösartigen Augen, die sie ununterbrochen verfolgten. Doch diese Augen wagten es nicht sich ihnen entgegenzustellen. Sie waren feige und griffen meist nur einzelne Wanderer an. Außerdem fürchteten sie das Feuer, das die ganze Nacht über in Gang gehalten wurde. Diese Feuer machte sie rasend, denn sie hätten zu gern die Möglichkeit genutzt zumindest an die Pferde heranzukommen, während ihre Bewacher schliefen. Doch einer blieb immer wach und machte nicht die Anstalten einschlafen zu wollen oder gar müde zu sein. Das gefiel ihnen nicht und machte selbst ihnen Angst, also hielten sie Abstand und lauerten in der Dunkelheit.

      Doch nun war früher Tag und die nächtlichen Gefahren zogen sich in die Bäume zurück. Bereit auf die nächste Nacht zu warten. So beeilte sich die kleine Gruppe, die über die östliche Handelsstraße eilte. Sie mussten es schaffen noch an diesem Tag den Wald wieder zu verlassen, denn niemand war begeistert davon noch ein Nacht hier zu verbringen.

      "Können wir nicht bald wieder eine Pause machen?", fragte Faith, die mit ihrer Fuchsstute immer weiter hinten blieb.

      "Bald?", fuhr Jack zu ihr herum. "Wir sind gerade erst losgegangen."

      "Ich