Lausige Zeiten. Elke Bulenda. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Bulenda
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737516662
Скачать книгу
und wollte davoneilen.

      »Halt, du Idiot! Na gib schon her!«, grapschte der Jarl nach dem Becher. »Hier muss ich aber auch wirklich alles selbst erledigen! Verschwinde!«, gab er dem Ärmsten abermals einen Tritt. Der Page zählte gar nicht mehr mit, wie viele er davon am heutigen Tage schon einstecken musste. Der Jarl leerte den Becher und warf ihn dem flüchtenden Dienstboten hinterher. »Schwachkopf!«, grunzte er abfällig. »Wie schon gesagt! Alles muss ich selbst machen!«

      Was er auch sogleich in die Tat umsetzte. Derwischmäßig stürmte er aus dem großen Saal und durchquerte etliche dunkle Gänge. Manchmal fühlte er sich wie ein Troll, der irgendwo tief unter der Erde hauste. Unterwegs lief ihm seine Gemahlin über den Weg.

      »Platz da, Weib!«, ranzte er nicht gerade liebenswürdig, was einiges über ihr Verhältnis zueinander aussagte. Wie er sie verabscheute! Wenn nicht sein Vater so einen Druck auf ihn ausgeübt hätte und das Weib mit so einer Mitgift gesegnet gewesen wäre, nicht einmal mit dem Hintern würde er so einem hässliche Weibsbild Beachtung schenken. Jedes Mal war es die reinste Qual für ihn, mit ihr einen Nachfolger zu zeugen. Schon vorher war Greta nicht besonders attraktiv zu nennen. Jetzt, wo sie ihm bereits vier Töchter geschenkt hatte, war ihr Hintern breiter als ein Fuhrwerk. Sie gebar ihm nur Mädchen... Die hätte sie sich auch schenken können! Verbitterung machte sich in ihm breit. Ersaufen hätte ich diese Gören sollen, sie kommen alle durch die Bank weg, nach ihrer abscheulichen Mutter! In seinen Augen war die Mühe umsonst gewesen. Der Ekel, die Abscheu – all das musste er über sich ergehen lassen, um hinterher wieder keinen Stammeshalter zu bekommen. Nun trug Greta bereits das fünfte Kind aus. Mit ihrem aufgedunsenem Leib, konnte sie es mit einer Wasserleiche aufnehmen. Das Gleiche galt für ihren Teint. Dagegen wirkte ein Fischbauch attraktiver. Übrigens auch das Gesicht davon.

      »Guten Morgen, mein Gemahl«, nickte Greta würdevoll. Soweit eine Gans das konnte. Denn daran erinnerte sie ihn, und etwas anderes stellte sie in seinen Augen nicht dar. Greta erinnerte an ein wildes Sammelsurium des Tierreichs. Sie meckerte wie eine Ziege, kaute wie eine Kuh, glotzte wie ein Schaf und watschelte wie eine Gans. Automatisch schüttelte es Bjarne. Dieses Weib machte ihn allein durch ihre Gegenwart zornig. Wie vom Blitz getroffen hielt er inne.

      »Was soll an diesem Morgen noch gut sein, jetzt nachdem ich dich gesehen habe? Eins sage ich dir, Weib! Wenn du mir diesmal keinen Sohn schenkst, werde ich dich verstoßen! Stattdessen ernenne ich einen meiner Bastarde als rechtmäßigen Erben!«, keifte er aufgebracht.

      »Du willst mich verstoßen? Dann werde ich alles daran setzen, meine Mitgift wiederzubekommen. Du wirst sehen, mein Lieber. Mein Vater wird Sorge dafür tragen. Denn im Gegensatz zu dir, habe ich noch einen Vater, weil ich meinen nicht umbringen ließ, so wie du es tatst. Und glaubst du, mir ist ohnehin nicht klar, dass du es lieber mit deinen Mägden und Bäuerinnen treibst, als mit mir, deinem vor Gott angetrauten Eheweib?«, bemerkte sie nüchtern.

      »Das will ich mal sehen, wie du dein mitgebrachtes Land wieder aus meinem Besitz entfernen willst. Zu diesem Zweck, gebe dir gerne eine Schaufel in die Hand. Schweig, du dummes Weib! Rede mir nicht so über meinen Vater. Den hätte ich noch vor unserer Heirat beseitigen lassen sollen, dann wärst du mir erspart geblieben. Aber hinterher ist man ja meistens wesentlich klüger. Und denke daran, dir könnte ebenfalls etwas ausgesprochen Schlimmes widerfahren. Vielleicht ein Sturz von den Zinnen? Sieh dich doch mal an! Jede Kuh ist attraktiver als du. Jetzt raube mir nicht die Zeit, geh und sticke, oder was ihr Weiber den ganzen Tag so treibt! Oder noch besser: Klöpple mir einen Stammhalter, aber gib dir diesmal Mühe und vergiss den Zapfen nicht!«, fauchte Bjarne und ließ die bemitleidenswerte Dame hinter sich zurück.

      *

      Dies Geschöpf der Finsternis, ich nenn es mein.

      (William Shakespeare, Hamlet)

      Der Jarl schnaufte etwas kurzatmig vor der Tür des Persers: »Bei diesem Weib... ist die Dunkelheit wirklich von Nöten, damit ihr hässliches Äußeres... der Welt verborgen bleibt!«

      Jeder, der den Exoten zu konsultieren beabsichtigte, musste erst einmal große Mühen in Kauf nehmen und all die zahllosen Treppen des Turms erklimmen. Obwohl der Jarl wusste, was ihn hinter der Tür erwartete, hielt er inne, um sich ein wenig zu sammeln. Auf der anderen Seite der besagten Tür, ging der Perser Al-Ghawl seinem finsteren Treiben nach. Der Orientale war einer, dem man im Allgemeinen einen »Hellen Kopf« nennen könnte. Wenn man ihn jemals zu Gesicht bekäme.

      »Offenbar ist er der einzige Mensch hier in der Burg, dem diese verdammte Dunkelheit nicht auf die Nerven geht!«

      In der Gunst des Jarl stand Al-Ghawl sehr viel höher als der Rest des gewöhnlichen Gesindes. Selbst wenn Bjarne es nicht zugab, konnte man diesen Umstand sehr wohl daran erkennen, dass er den Perser als einzige Person nicht prügelte. Niemand wollte herausfinden, was passierte, wenn es trotz allem jemals geschah. Allerdings wusste der Jarl, dass der Perser niemals etwas gegen ihn zu unternehmen wagte.

      Trotz Zugehörigkeit der wahren Glaubensgemeinschaft, griff Allvaturson auf die Schwarzen Künste des Orientalen zurück. Wenn Beten keine Früchte trug, war eben Hilfe von der anderen Seite gefragt. Für ihn war der Perser der einzig brauchbare Mitarbeiter, wertvoller als alle anderen zusammen. Zwar nahm er nur selten dessen Dienste in Anspruch, aber besondere Umstände bedurften eben gesonderter Mittel. Nachdem sich der Jarl genügend gewappnet sah, betrat er ohne zu klopfen das Gemach, Schrägstrich, Labor. Al-Ghawl war ein langer Arbeitsweg verhasst, weil er ihm wertvolle Zeit stahl, die er dringend für seine Experimente benötigte. Pragmatisch wie er war, schlief und werkelte er an ein und dem selben Ort.

      Der Jarl fragte sich, wie dieser Perser beim vorherrschenden, schrecklichen Gestank der Chemikalien, getrockneten Kräuter, mumifizierter Tierkadaver und unzähligen Ingredienzien, überhaupt schlafen konnte. Vermutlich inhalierte der Perser ein paar Mal kräftig, bis ihn eine Ohnmacht überwältigte.

      »Du meine Güte! Wie kannst du in dieser Finsternis, mit nur einer einzigen Funzel arbeiten?!«, fragte Bjarne, der unsicher auf das schwache Licht zu wankte. »Hier fühle ich mich wie lebendig begraben! Verdammt, ich kann kaum etwas sehen!«, polterte er und riss dabei die Fensterläden auf. Es wäre bei weitem nicht verwunderlich, wenn dort ebenfalls Finsternis herein strömte, was jedoch nicht geschah. Helles Tageslicht durchflutete das vormals finstere Gewölbe. Als Bjarne sich zum Perser herumdrehte, war dieser verschwunden. Daraufhin ging der Jarl zum Schrank und öffnete diesen.

      »Ich habe einen Auftrag für dich!«, bemerkte er herablassend.

      »Ja Herr?«, fragte Al-Ghawl aus dem Schatten heraus.

      Bei Al-Ghawl handelte es sich weder um einen Vampir, noch war er wirklich tageslichtempfindlich. Der Orientale hielt sich lediglich gern von jeglicher Lichtquelle fern. Ängstliche, abergläubische Gemüter munkelten, er habe keinen eigenen Schatten. Diesen hätte der Orientale dem Teufel während eines Tauschhandels überlassen. Als Gegenleistung bekam er dafür unheimliches Wissen und Macht.

      Zufälligerweise flog ein Greifvogel am Burgfenster vorüber, der Bjarnes Aufmerksamkeit für Millisekunden auf sich zog. Er liebte die Jagd mit dem Falken, sie bedeutete die einzige Annehmlichkeit in seinem tristen Dasein.

      »Genau, ich...« Bjarne stutzte suchend. Danach begab er sich zum Bett des Schwarzmagiers und bückte sich hinunter. »Genau, ich will, dass du mir diese ungehorsamen Rebellen vernichtest! Ich will sie alle tot sehen!«

      »Oh, tot? Alle? Das wird kaum möglich sein, oder?«, tönte eine fragende Stimme unter dem Bett hervor.

      »Ja, tot! Was ist daran nicht zu verstehen? Warte mal, was soll das bedeuten?«

      »Weil ein Untoter auf der Insel ist. Ich befragte mein Kesselorakel, nachdem ich mit meinem Sternbeobachtungsapparat einen Kometen mit brennendem Schweif sah, der über dem Meer niederging. Außerdem war die Erschütterung des Kosmos eindeutig zu spüren. Etwas Unnatürliches ereignete sich. Ein Riss in Zeit und Raum«, sprach der Perser.

      »Hör auf, in Rätseln zu reden! Wie untot? Das verstehe ich nicht! Entweder jemand ist mausetot, oder man ist lebendig! Komm gefälligst unter dem Bett hervor, ich schließe für dich sogar