Lausige Zeiten. Elke Bulenda. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Bulenda
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737516662
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Doch nicht nur die Lebenden stolpern über die tückisch ausgelegten Stricke des Schicksals, Untote fallen ihnen ebenso zum Opfer. Diese bittere Erfahrung musste zumindest Esther erstaunt registrieren. Nicht etwa Høy Øya wurde zum Ziel ihrer Reise, sondern urplötzlich fand sie sich ganz woanders wieder. Sie war zwar noch niemals auf Høy Øya, doch die zierliche Vampirin war sich ziemlich sicher, ihren jetzigen Standort sehr gut zu kennen. Dies hier war nicht die von ihr angepeilte nordische Insel. Sie erinnerte sich an eine seltsame Begebenheit, was vielleicht einiges erklärte. Kurz vor dem Augenblick, als sie aus dem Zeitportal schritt, war ihr, als ereigne sich um sie herum eine Art kosmische Erschütterung. Dieses Phänomen konnte die kleine Vampirin beim besten Willen nicht beschreiben. Dabei beschlich sie das Gefühl, etwas, das aus den Fugen zu geraten schien, strebte wieder in die vorherbestimmte Bahn. Ein unsagbar mächtiges Erlebnis, das durch und durch ging. Und noch eine Emotion machte sich in ihr breit, als sie gewahr wurde, wo genau sie sich befand. Nämlich diese, dass sie ihre angestrebte Position um ungefähr 2000 Kilometer verfehlt hatte. So schön die Grüne Insel auch sein mochte, sie befand sich zweifellos am falschen Ort. Obwohl dieser bekannte Flecken viele Erinnerungen aus längst vergangener Zeit enthielt, erschien es ihr völlig absurd. Irland war nicht ihr programmiertes Ziel, sondern eben Høy Øya, Norwegen.

      Sie überlegte laut: »Hm, hier war ich schon einmal. Genau! Galway... Gaillimh am Corrib! Wie war das Stadtmotto doch gleich? Laudatio Ejus Manet In Saecula Saeculorum … Ihr Lob besteht für immer. Ja, ich erinnere mich! Galway, so wie es noch vor dem großen Brand aussieht. Damals wehrten sich die Bürger gegen diese Rüpel vom O´Flaherty-Clan. Ist verdammt lange her.«

      Vor langer Zeit, als Ragnor Lord Seraphim das Lebenslicht ausblies und das Volk daraufhin in Aufruhr geriet, wusste Esther, dass die kaiserlichen Truppen dem Treiben sehr bald auf´s Härteste Einhalt gebieten würden. Sobald es zu Ausschreitungen kam, entzog sie sich durch eine Flucht über den Ärmelkanal dem Einflussgebiet des Kaisers. Die anderen Vampire, die auf Zeit spielten, kamen dabei um. Beinahe wäre die vampirische Rasse gänzlich ausgerottet worden. Damals schlug sie sich von Süden in Richtung Norden durch. Blieb mal hier, mal dort, zog dann wieder weiter. Als Vampir ist es nicht gut, zu lange an einem Ort zu verweilen.

      »Wann war ich hier in Galway? ... Ah, es war im Jahre Vierzehnhundert und...«, die kleine Vampirin stutzte. »Oh, Scheiße! Haargenau zu der Zeit, wo ich eigentlich nach Høy Øya müsste!«, eruierte sie verwirrt. »Hm, das ist jetzt ziemlich kompliziert. Die Erschütterung war bestimmt so eine Art Paradoxon. Und es ist noch etwas! Nämlich verflixt ärgerlich, denn Molly braucht mich! Und ich treibe mich an einem völlig verkehrten Ort herum! Dem armen Mädchen könnte alles Mögliche zustoßen. Warum hat mich Simon nicht vor so einer Eventualität gewarnt?«

      Dazu fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

      »Molly und ich werden uns nicht rechtzeitig treffen, um wieder gemeinsam durch das neu errechnete Zeitportal zurückzukehren! Selbst wenn ich mich beeile, werde ich nicht pünktlich eintreffen. Hoffentlich hat sie derweil Ragnor gefunden, so dass immerhin die beiden wieder heil zurückkommen! Zum Glück sind die Nordmänner in dieser Epoche längst christianisiert und keine Barbaren mehr, so muss Molly nicht um ihr Leben fürchten.«

      Und noch etwas musste Esther beachten. Jetzt, wo sie sich aus dem Einflussbereich des Wapplers bewegte, sollte sie mit äußerster Vorsicht agieren. Sehr diffizil. Eine falsche Handlung konnte die Zukunft derartig beeinflussen, dass sie sich unabdingbar für nachfolgende Generationen schwerwiegend verändern konnte. Das erforderte ein sachtes und sehr behutsames Vorgehen ihrerseits.

      All diese Gedankengänge nützten der Vampirette überhaupt nichts, sie brachten sie nicht weiter, - und erst recht nicht nach Norwegen. Und noch etwas ging Esther quer: Die Windrichtung.

      »Na toll, es herrscht Ostwind! Und das nicht zu knapp! Könnte sogar ein ausgewachsener Sturm werden.«

      Wie auf ein stilles Kommando begann es heftig zu regnen. Nachdenklich beabsichtigte sie auf der Kaimauer Platz zu nehmen, verfehlte jedoch das Ding und landete auf dem Boden. Stöhnend rappelte sie sich wieder auf. Esther konnte einstecken. Den Großteil ihrer Existenz schlug sie sich schon alleine herum. Und meistens sich selbst. Für Selbstmitleid fehlte ihr die Zeit. Stattdessen konzentrierte sie sich auf das Wichtigste.

      So ein Ärger! 2000 km Luftlinie, nordöstlich, direkt über den offenen Nordatlantik. Und das zusätzlich bei extrem stürmischen Winden. Den Luftweg konnte sie auf Dauer gesehen ausschließen, der war viel zu mühsam und gefährlich. Ihr Blick schweifte zum Meer.

      »Okay, daran geht kein Weg vorbei. Es gibt eine Lösung und sie liegt direkt vor mir! Molly harre aus, ich komme!«

      *

      Und Molly verharrte. Ihr blieb auch nichts anderes übrig. Die beiden Lustmolche brachten sie in deren heimatliche Siedlung.

      »Macht das Tor auf! Wir sind´s, Hjálmarr und Stìgandr!«

      Das mächtige Tor öffnete sich und die Frau der Neuzeit sah sich neugierigen Blicken ausgeliefert. Sie ignorierte sie geflissentlich. Dagegen war sie von dem festungsartigen Bollwerk, aus angespitzten Baumstämmen, schwer beeindruckt. Dieser meterhohe Zaun umrundete die gesamte Siedlung.

      Hm, allem Anschein nach, wollen sie sich vor Angriffen von außerhalb schützen!, mutmaßte sie.

      Vier, von jeweils zwei Leuten bewachte Eingangstore, die somit die vier Himmelrichtungen abdeckten. Das Nordtor, (Molly ging davon aus, dass es das Nordtor war) führte direkt an einen Steg, wo die Nordmänner ihre Boote anlegten.

      Summa summarum, erschien ihr das Dorf weniger friedlich, eher wie ein Kriegshafen mit Kasernen. Ihre Geschichtskenntnisse waren keineswegs fundamental, doch ging sie eigentlich davon aus, die Nordmänner wären in dieser Epoche längst durch die Christianisierung ein wenig sesshafter und friedlicher geworden. Nur wirkte dieser Standort gleich dem frühen Mittelalter, als die nordischen Krieger den alten Göttern huldigten. Molly versuchte eine der typisch nordischen Stabkirchen zu finden, doch ihr Augenmerk blieb lediglich an einem großen Runenstein hängen, - dem einzigen Artefakt religiöser Neigung.

      Hier stimmte etwas nicht. Noch konnte sie sich kein Gesamtbild machen, dennoch beschlich sie der Verdacht, dass diese Menschen alles andere als friedfertig waren. Und von Christentum nicht die geringste Spur. Zwar hielten sich nicht allzu viele Krieger um diese Zeit im Inneren auf, doch diejenigen, die zugegen waren, betrachteten Molly als wäre sie das achte Weltwunder. Ein wenig amüsierte es Molly, weil sie glaubten, sie wäre wirklich von Himmel gefallen. Viele begehrliche Blicke trafen sie. Die Sprache war ihr noch immer unverständlich. Sie verstand nicht sehr viel von dem was die Männer sagten, doch sie machte sich ihren Reim daraus. »Godt!«, gut, so viel konnte sie verstehen. »Pen Jente!«, Jente bedeutete Mädchen, das fand sie schon anfangs heraus, als sie von dem blonden Kerl angesprochen wurde. Ohnehin musste sie nicht viel verstehen. Sie interpretierte die anerkennenden Blicke. Eins hatte Molly ihnen voraus. Sie war sauber, gut frisiert und gänzlich ohne Läuse.

      »Buh!«, sagte Molly zum Spaß. Nur zuckte niemand mit der Wimper, sondern bot den ungewaschenen Kerlen die Gelegenheit, um über ihr seltsames Verhalten herzhaft zu lachen und aufgeregt zu schwatzen. Leider waren sie nicht schwer beeindruckt und glaubten nicht daran, Molly könnte so etwas wie Zauberkräfte besitzen. Sehr zu ihrem Leidwesen. Somit standen die Chancen nicht gut, die Kerle einzuschüchtern. Immerhin wollte keiner der Anwesenden einen weiteren Vergewaltigungsversuch starten. Jedenfalls nicht, nachdem sie das schlimm zugerichtete Bein von diesem Stiggi entdeckten. Hjálmarrs breitbeiniger Gang sprach ebenfalls Bände. Hämisches Gekicher begleitete sie. Schon unterwegs, auf dem Weg zur Siedlung, konnte Molly die beiden Barbaren überreden, sie wieder herunterzulassen. Anscheinend kam es diesem Stígandr gerade recht, denn trotz seines harten Getue, litt er offensichtlich doch ein wenig unter der Stichwunde. Wenn Molly ehrlich zu sich war, musste sie sich eingestehen, sogar froh über die Gesellschaft der beiden zu sein. Gänzlich allein, in der fremden Umgebung, dazu in einer Ära ohne Technik, erschien es ihr recht, nicht mutterseelenallein in der Wildnis herumzustehen, wo sie leicht ein Opfer von Raubtieren werden konnte. Ihren Beutel hatten die Kerle an sich genommen. Wahrscheinlich vermuteten sie darin weitere Waffen. Trotz der Bitte, ihr wenigstens den Trinkbeutel zu geben, wurde sie von ihnen weiterhin ignoriert. Jetzt, in der Siedlung,