Lausige Zeiten. Elke Bulenda. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Bulenda
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737516662
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so etwas Widerliches?!«, wimmerte ich reuevoll. Mich ekelte es vor mir selbst. Und überall dieses Blut! Verwirrt sah ich auf meine Hände und den Rest meines nackten Körpers herab. Dennoch sagte eine innere Stimme, das sei völlig in Ordnung. Trotzdem schien meine Welt völlig aus den Fugen zu geraten.

      Angewidert steckte ich mir den Finger in den Hals, um alles wieder aus mir heraus zu bekommen. Nur funktionierte es diesmal nicht. Verwirrt raufte ich mir die Haare. Dabei bemerkte ich, dass meine Kopfwunde völlig verheilt war.

      »Das kann unmöglich sein! Kopfwunden bluten sehr intensiv. Kann mir mal jemand verraten, in wessen Albtraum ich geraten bin? Bei Odin! Ich bin ein Monster!«, entwich es mir. »Okay, was gerade passiert ist, daran kann ich nichts mehr ändern...«

      Ein Gurren unterbrach unverhofft diesen Disput, den ich lautstark mit mir führte.

      »Gibt´s noch ein Dessert, oder was?«, fragte ich in den Wald hinein. Als Antwort ertönte wieder Gurren. Erleichtert, weil sich mir angenehme Ablenkung anbot, betrieb ich Ursachenforschung. Zwischen hochgewachsenem Farnkraut wurde ich fündig. Der kleine Kasten enthielt eine Taube. Den musste mein Widersacher abgestellt haben, als er mich ins Visier seiner Armbrust nahm und zu töten beabsichtigte. Scheu musterte mich der kleine Vogel aus großen Knopfaugen.

      »Hey! Kleines! Keine Angst!«, redete ich der Taube beruhigend zu.

      … Ja, es mag seltsam anmuten, dass ich mit seinem Herren weniger Mitleid empfand, als mit dem Tier selbst. Selbstverständlich ist dem so, dieser Vogel trug keine Armbrust mit sich herum, womit er auf nackte und augenscheinlich verwirrte Menschen schoss...

      Die Taube erweichte mein Herz. So eingesperrt, konnte sie nicht wegfliegen. Käme ein Fuchs vorbei, der Vogel wäre ihm hilflos ausgeliefert und im wahrsten Sinne des Wortes, ein gefundenes Fressen. Es mag absurd klingen, aber ich war der Meinung, die Taube könnte ein Augenzeuge meiner unmenschlichen Tat geworden sein. Gewiss würde sie dieses Trauma bis ans Ende ihrer Tage verfolgen. Behutsam öffnete ich den Käfig und nahm das Täubchen heraus. Dabei befleckten meine blutverschmierten Hände ihr glänzendes Gefieder. Die Erinnerung an meine Schandtat blitzten innerlich vor mir auf und verhöhnten mich.

      »Los, hau ab! Flieg nach Hause!«, knurrte ich böse und brach daraufhin in ein beängstigend debiles Gekicher aus. »Flieg Vöglein, flieg!«

      Diese irren Geräusche befremdeten mich. Alles drehte sich und war so laut!

      Der Vogel nutzte die Gunst der Stunde und schoss pfeilschnell davon. Höchstwahrscheinlich erwies sich das als ein ziemlich dummer Fehler, die Taube so ungeschoren davonfliegen zu lassen. Aber ich war zu verwirrt, um mir Gedanken über die daraus erfolgenden Konsequenzen zu machen.

      »Damit ich wieder klar werde, sollte ich etwas völlig Normales tun!«, riet ich mir selbst und rannte dabei fahrig im Kreis herum. »Ja, genau, ich nehme jetzt ein Bad und danach bekleide ich mich. Das erscheint mir vernünftig. Schon die Römer sagten: Sanitas per Aquam - Gesundheit durch Wasser!«

      Sofort schritt ich zur Tat. Wasser brauchte ich nicht lange zu suchen. Ganz in der Nähe, ergoss sich ein kalter, klarer Wasserfall über einen Felsvorsprung. Darunter befand sich ein natürliches Bassin. Die Szene mutete an, als hätte ein Architekt dieses Fleckchen Erde für würdig empfunden, sein Kunstwerk zu empfangen. Das Auffangbecken wirkte, als hätte jemand liebevoll die schönsten Farne drumherum gepflanzt. Vorsichtig glitt ich ins Wasser. Die Steine waren, durch den ständigen Abrieb, glatt wie feinster Marmor. Der Wasserstand des Beckens betrug nur Knietiefe. Das Bassin lief ständig über und speiste damit einen Bach, der wahrscheinlich im Meer mündete. Was für eine Verschwendung.

      Als ich mich hinsetzte, bemerkte ich verschiedene, warme Stellen im Gestein. Was meine Vermutung bestätigte, dass dieses Becken nicht nur oberirdisch gespeist wurde, denn es dampfte ein wenig in der kalten Luft. Dieses Bad erschien wie das erste angenehme Erlebnis meines Lebens. Das Wasser plätscherte und murmelte, wirkte somit äußerst beruhigend auf meine angekratzte Psyche. Unter dem Wasserfall wusch ich mir das Haar und die Spuren meiner Schandtat ab (frei nach dem Motto: Ich kenne dich zwar nicht, wasche dich aber trotzdem). Wie herrlich kühl das Wasser auf meine verspannten Schultern herab prasselte! Ich genoss diese Massage. Meine Verwundungen waren gänzlich geheilt, als hätte es sie niemals gegeben. Wie seltsam. Dieses friedliche Waldbad wirkte fremd und doch so vertraut. Zumindest fühlte ich mich angenehm erfrischt, suchte mir ein wärmeres Plätzchen und überlegte, wie ich weiter vorgehen sollte. Während ich so sinnierte, sah ich im Wasser mein Spiegelbild. Der Kerl wirkte befremdlich auf mich. Er guckte streng fragend zurück. »Gut, Folgendes: Wie kamen wir hier her?«, fragte ich den Fremdling. »Was machen wir hier? Wie lautet unsere Mission? Hm? Keine Ahnung? Geht mir genauso! Okay, wir brauchen einen Plan, denn so was ist immer gut. Da wir offenbar unter Gedächtnisverlust leiden, müssen wir zuerst das Mädchen finden. Nur sie kann uns befriedigende Antworten geben. Wenn wir sie gefunden haben, wissen wir mehr!«

      Mein Spiegelbild nickte zufrieden. »Weißt du was? Du könntest eine Rasur vertragen!«, kicherte ich ungehalten. »Noch etwas: Warum schlich der Tauben-Liebhaber so heimlich, still und leise hier im Wald herum? Herrgott nochmal! Du weißt aber auch echt einen Scheißdreck! Du bist nicht hilfreich!«, klatschte ich die Faust ins Wasser und stieg aus meinem liebgewonnenen Spa. Das Bekleiden war alles andere als normal. Einem Toten die Kleidung auszuziehen, ist echte Knochenarbeit. Tatsächlich sind Verschiedene nicht sehr kooperativ dabei und trennen sich nur ungern von ihrem Besitz. Zumindest entdeckte ich eine kleine Geldkatze an seinem Gürtel, gefüllt mit Münzen, ein paar kleinen Schnipseln Pergament und einem Kohlestift.

      … Jetzt werdet ihr euch sicherlich fragen, was eine Geldkatze ist. Sie ist mitnichten ein Porzellangefäß, wo man seine Spar-Pfennige hineinsteckt. Nein, sie ist ein kleiner Lederbeutel, in dem man sein Münzgeld, Ringe und kleinere Wertgegenstände verwahrt. Woher der Begriff stammt, weiß niemand so genau. Die einen sagen, der Beutel wäre aus Katzenleder gefertigt, andere, wahrscheinlich gelehrtere Leute, behaupten, der Begriff stamme aus dem Arabischen. Mir allemal egal. Zumindest solltet ihr das zuhause unterlassen, Peterle, Mohrle oder Mietze mit Münzgeld zu füttern, um sie anschließend an eurem Gürteln zu befestigen!... Die Kleidung musste ich gewissermaßen etwas modifizieren. Der vorherige Besitzer dieser Klamotten war zwar kein Zwerg, dennoch bestand in der Hose, nachdem ich sie probierte, Hochwasser. Bei ihm saß sie sehr weit, bei mir dagegen fast hauteng. Der grobe Wollstoff kratzte fürchterlich. Noch komplizierter gestaltete sich das Oberteil. Zuletzt musste ich darauf zurückgreifen, die Ärmel abzutrennen und am Rest, durch seitliche Schlitze für meinen Körper Platz zu schaffen. Das alles hielt ich mit einem Ledergürtel zusammen. Die Stiefel passten überhaupt nicht, weil meine Füße dafür viel zu groß waren. Um nicht weiterhin barfuß gehen zu müssen, griff ich darauf zurück, seinen Fellumhang in passende Streifen zu schneiden und diese wiederum um meine nackten Füße zu wickeln. Das Ganze wurde mit Riemen aus selbigen Fell fixiert. E voilá, fertig! Nicht schön, aber selten. Den Toten legte ich in eine Senke und bedeckte ihn mit herumliegenden Tannenzweigen. Die Waffen und seine restliche Habe nahm ich an mich. Soweit, so gut.

      Und jetzt zu meinem Plan: Zuerst musste ich den Spuren der Frau folgen, bzw. ihrer Schlepper. Anschließend herausfinden, um wie viele Leute es sich in der Gesamtheit handelte. Mir erschien es unwahrscheinlich, dass es nur zwei sein konnten. Insgeheim hoffte ich, dass sie zwischenzeitig diesen Ort nicht mit einem Boot verlassen hatten. Über das Meer konnte ich, ganz ohne hinterlassene Spuren, dem Mädchen unmöglich folgen. Falls ich eine Siedlung fand, musste ich mir darüber im Klaren sein, wie ich dort hineinkam. Tatsache ist, ich kann nicht allein eine ganze Festung stürmen, das wäre Selbstmord. Und als Fremder mussten sie mir unweigerlich den Zutritt verweigern. Blieb nur der Schutz der Nacht, um dort hineinzukommen, das Mädchen zu greifen und mit ihr zu fliehen. Das dürfte nicht so einfach sein. Wenn jemand mich entdeckte und Alarm schlug, ging das so sorgfältig geplante Vorhaben gehörig in die Hose.

      Wie dem auch sei. Es wurde Zeit herauszufinden, was Sache war. Die Götter meinten es nicht gut mit mir. Von Osten her zog ein heftiger Sturm auf.

      *

      Wenn ein Seemann nicht weiß, welches Ufer er ansteuern muss, dann ist kein Wind der richtige.

      (Lucius Annaeus