Und all diese dreisten Könige, bzw. Plagiatoren, waren mit ihren perfiden Plänen sehr reich und mächtig geworden. Ihre Schatzkammern füllten sich, weil wieder ein findiger Kopf die Steuer erfand. Ihre Scheunen quollen über, ihre Armeen standen zähnefletschend und säbelrasselnd an den Grenzen bereit.
Nur musste das Volk für all diesen Luxus aufkommen und stets für die hohen Herren hungern und bluten. Also: Egal wie das System auch heißt, es war schon immer existent, lediglich unter anderem Namen geführt. Gewissermaßen macht Übung den Meister und somit ist es nicht verwunderlich, wenn schon damals Psychopathen das Führungsheft in Händen hielten.
Eine dieser Hände war der Jarl, eine Hand, die das verlängerte Instrument des Königs darstellte. Diese Hand wusste sehr genau, was zu tun war. Allerdings bereiteten ihr die Finger arge Schwierigkeiten. Wenn das Volk die Finger der Hand sein sollten, dann stellten sie sich als kalt, widerwillig und störrisch heraus. Vor allem, was den Mittelfinger betraf. Für Bjarne war das Pack ohnehin nur so viel Wert wie abgeschnittene Fingernägel, nichts als Dreck. Aber... Wenn die Finger jucken, bemerkt es auch das Hirn. Mit anderen Worten: Der König war äußerst unzufrieden mit Bjarne Allvaturson. Und wenn der König erst einmal jemanden auf dem Kieker hatte, war es nur mit einem durchschlagenden Erfolg möglich, sich des unliebsamen Fokus wieder zu entziehen.
Der König zählte auf ihn, vertraute auf die stetig fließenden Steuereinnahmen, die der Jarl für ihn abführte. Für den König waren diese Einnahmen unabdingbar, denn die Zeichen standen auf Krieg. Der König der Kalmarer Union, die Norwegen, Schweden und Dänemark beinhaltete, beherrschte den gesamten Ostseeraum. Dieser Umstand missfiel der Hanse, einem Handelsbund mächtiger Kaufleute, überwiegend die des Heiligen Kaiserreichs. Holstein sträubte sich am heftigsten gegen überhöhte Zollgebühren, dazu mischte sich auch noch der Deutsche Orden ein. Das alles führte zu ständigen Konflikten und Reibereien. Da lediglich der Süden Skandinaviens für den Anbau von Getreide in Betracht kam, musste der Süden den Bedarf des Nordens mitproduzieren. Der Norden hingegen versorgte den Süden mit wertvollem Holz, Stockfisch und Pelzen. Wie man es auch wendete und drehte, die Hanse war trotzdem wichtig für den König, denn sie versorgte das Land mit begehrten, exotischen Waren und sorgte mit deren Exporten für einträgliche Devisen. Somit sah der Regent quasi schon seine Felle wegschwimmen. Käme es zu einer kriegerischen Auseinandersetzung, folgten unweigerlich Versorgungsengpässe und Geldverknappung. Bisher profitierten beide Seiten des Bündnisses.
Und nun zum eigentlichen Ärgernis: Die ohnehin schon angespannte Lage, wurde zusätzlich durch diese verdammten Separatisten belastet, die sich zu gerne die langsam segelnden Handelsschiffe der Hanse vornahmen. Die Koggen der Hanse waren den wendigen und schnellen Langbooten der Einheimischen weit unterlegen. Und wäre das nicht schon übel genug, stammten diese Seeräuber von der Insel Høy Øya, die dem Verwaltungsbezirk des Jarl Bjarne Allvaturson unterstand. So ist es offensichtlich, dass der König einen regelrechten Brass auf den Jarl und seine widerborstigen Freibeuter hegte. Als wäre das nicht schon Grund genug zur Ärgernis, bereiteten sie dem Jarl zusätzlich Scherereien, weil die versprengte Gruppe nicht dem christlichen Glauben angehörte. Freischärler zogen es vor, ihre alten Götter anzubeten! Sie erkannten weder den wahren Gott, noch den König an, pflegten die alten Sitten und Gebräuche, pfiffen auf die Gesetze und trieben den Jarl damit geradewegs in den Wahnsinn.
Selbstverständlich legte er sich mit ihnen an, nur galt es als äußerst schwierig, eine sich autark versorgende Insel zu belagern. Mit diesem Vorhaben war er schon mehr als einmal gescheitert. Stattdessen setzte er auf die hohe Kunst der Infiltration.
Während er noch immer angefressen vor sich hin grübelte, erschien endlich der Bursche.
»Herr, die Taube«, reichte der Page ihm das Tier.
»Na, endlich! Ich dachte schon, du hättest dich hier im Gemäuer verlaufen!«, knurrte er ungehalten. Der Vogel quiekte erschrocken, als der Jarl ihm beinahe die Luft abdrückte.
So ganz unrichtig lag der Jarl mit seiner Vermutung nicht. Denn Slott Mørkhuset (Schloss, bzw. Burg Dunkles Haus) trug seinen Namen nicht von ungefähr. Glasscheiben gab es keine, sie waren ihm zu teuer und der König weigerte sich, welche zu bezahlen. Folglich mussten die Bewohner mit geschlossenen Fensterläden vorlieb nehmen, um die eindringende Zugluft und Kälte auszusperren. Rußende Fackeln, Talglichter und Holzkiene sorgten für spärliche Beleuchtung.
»Bursche! Willst du mich verarschen? Wo ist die verdammte Nachricht?«, brüllte der Allvaturson rüde, nachdem er die Beine des Vogels ohne krönenden Erfolg untersuchte.
»Herr! Wenn dort keine Nachricht ist, so war sie auch schon vorher nicht da. Ich habe jedenfalls nichts fortgenommen!«, verteidigte sich der arme Unschuldige. »Sieh nur, wie blutig das arme Tier ist!«
»Schweig, sonst ist es nicht mehr das einzige blutende Lebewesen hier im Raum! Verschwinde, geh mir aus den Augen, bevor meine Geduld am Ende ist! Komm erst wieder, wenn ich dich rufe! Jetzt hau ab, bevor ich mich vergesse!«
Diesen unmissverständlichen Befehl nahm der Page dankend entgegen und vorzog sich schleunigst aus dem Schussfeld.
»Argh! Diese vermaledeiten Freischärler! Jetzt haben sie den Bogen eindeutig überspannt! Mir eine Nase zu drehen und diese blutverschmierte Taube als Nachricht ihres Widerstandes zu senden, lässt das Fass gänzlich überlaufen! Sie wollen mich verhöhnen! Na, dann zieht euch mal warm an!«
Die Taube gurrte zustimmend.
»Ach, halt deinen Schnabel! Wer hat dich denn gefragt!?«, schnappte der Jarl, drehte dem armen Wesen den Hals um und warf es in den Kamin.
Von diesem dreisten Verhalten seiner Untertanen aufgepeitscht, lief Allvaturson auf und ab. Sein raffiniert ersonnener Plan war durchschaut worden. Dabei schien die Gelegenheit so günstig, einen Spion ins Dorf zu schleusen. Der Perser sagte, an diesem Tag fände ein Wettkampf statt, bei dem viele Glücksritter und Gesetzlose reges Interesse zeigten und daraufhin die Insel besuchten. Dem Anschein nach, lockte diese verdammte Insel die Flüchtigen an, wie der Dunghaufen die Fliegen. Selbst Fischer verschwanden bei Nacht und Nebel, um auf dieser Insel ihr Heil zu suchen. Die Bücher des Jarl teilten ihm mit, dass sich Høy Øya zu einem wahren Steuerparadies entwickelte. Was wiederum negativ in seiner eigenen Bilanz zu Buche schlug.
Als er mit seinen bis an die Zähne bewaffneten Männer die Insel stürmte, fand er das Dorf einsam und verlassen vor. Er befahl Feuer zu legen und es dem Erdboden gleich zu machen. Befriedigt kehrte er nach Mørkhuset, seiner Burg zurück, musste dabei aber perplex feststellen, selbst während seiner Abwesenheit, ein Opfer der Rebellenplünderung geworden zu sein. Das Gesinde wurde von den Räubern verschont, was in ihm wiederum den Verdacht weckte, sie hätten den Unholden heimlich Tür und Tor geöffnet. Zum Glück erwuchsen aus dieser Aktion keine Bastarde, denn davon hatte Bjarne bereits selbst genug.
Übrigens, die Bewohner der Insel bauten ihr Dorf mit stoischer Ruhe wieder auf und befestigten es besser als je zuvor.
»Bursche!«, brüllte Bjarne. »Komm sofort zu mir, aber zackig!«
Wenig später stand der Page zitternd vor seinem Herrn. »Du wünscht?«
»Bring mir Al-Ghawl!«
»Sofort, Herr!«, eilte der Bursche von dannen. Wenig später kam er zurück und reichte ihm einen Becher, gefüllt mit besten Wein.
»Was soll das? Bist du denn total übergeschnappt?«, fauchte der Jarl. »Hast du Bohnen in den Ohren?! Ich sagte Al-Ghawl und nicht