Einer der Träger war unverkennbar verletzt, er zog ein Bein nach, so wie ich den Spuren entnehmen konnte...
Während ich am Krater verharrend, alles überdachte, raschelte hinter mir etwas im Gebüsch und ein Zweig knackte, gleich so, als sei eine Stiefelsohle drauf getreten. Irgendetwas in mir schlug Alarm. Schnell pirschte ich gebückt im großen Bogen davon, kroch durch das Dickicht, erklomm in Windeseile einen stabilen Baum und verschaffte mir den Überblick.
… Himmel! Welch seltsames Bild mochte sich einem außenstehenden Beobachter da wohl zeigen? Ein schmutziger, nackter Mann auf einem Baum...
Beinahe hätte ich laut gekichert, aber der Umstand, dass jemand heimlich und mit nicht lauteren Absichten durch das Gebüsch schlich, zog meine ganze Aufmerksamkeit zurück in geordnete Bahnen. Wenn jemand so seltsam durch das Dickicht pirschte, führte er garantiert nichts Gutes im Schilde. Und dabei war nicht von mir die Rede! Vielleicht erwischte ich sogar den Dieb, der mir mein Hab und Gut stahl.
Der Heimlichtuer im Gebüsch war, im Gegensatz zu mir, bis an die Zähne bewaffnet. Mit der linken Hand transportierte er ein kleines Kästchen, sein Schwert umklammerte er rechts; die Armbrust war auf seinem Rücken befestigt. In seinem Gürtel steckte ein Messer und über der Schulter hing ein Beutel mit... mit Proviant?
All das nahm ich in Sekundenbruchteilen wahr.
Leise und zielstrebig kam der Strolch voran. Auf mich machte er den Eindruck, als spähe er jemanden, oder etwas aus. Was beabsichtigte der Schleicher dort unten? Dieses Treiben hätte eine geraume Weile so weitergehen können, wäre es nicht zu einem unschönen Zwischenfall gekommen, der meine Tarnung unvorhergesehen auffliegen ließ. Es ist schon fast peinlich, das zu erwähnen. Mein Magen knurrte wie ein gereizter Polarbär. - Ein böser, verletzter und sehr schlecht gelaunter Polarbär.
Pirscher sah zu mir auf, fluchte und griff hektisch nach der Armbrust. Umständlich fummelte er daran herum und versuchte sie zu spannen. Wieso nahm der Idiot zur Verteidigung, nicht einfach auf die Schnelle das Schwert? Schließlich war ich unbewaffnet und nackt. Mit Pfeil und Bogen wäre er ohnehin in diesem Fall besser bedient gewesen.
Leider spannte der Strauchdieb die Armbrust schneller als gedacht. Gekonnt visierte er mich an und schoss.
»Nein!«, riss ich meine rechte Hand aus reinem Reflex hoch, um meinen Kopf zu schützen, den er eindeutig als Ziel auserwählte. Jede Sekunde erwartete ich die Schmerzen, die der Einschlag des Bolzen verursachen sollte. Die Zeit schien sich auszudehnen...
...Nur kam der Bolzen bei mir nicht an. Erstaunt registrierte ich, wie das Geschoss kurz vor meiner Hand, an etwas Unsichtbaren abprallte. Möglicherweise traf der Pfeil einen Ast, nur fand ich nirgends eine Schramme in der Rinde. Logischerweise wäre der Bolzen nicht abgeprallt, sondern darin steckengeblieben. Fragend glotzte ich meine Hand an. Auch mein Feind sah zuerst verwundert auf meine Pranke, dann auf die Armbrust, die er erneut geschwinde zu laden versuchte. Falls er der Annahme nachgab, alles Gute käme von oben, blieb ihm keine Zeit übrig, seine Meinung zu revidieren.
Als ich ihm grollend ins Kreuz sprang, vernahm ich, wie seine Wirbel laut krachend zu Bruch gingen. Das war gar nicht nett anzuhören und obendrein ungesund. Jedenfalls für ihn. Eins war mir klar: Lieber sollte er dran glauben, als ein nackter, unbewaffneter Mann. Und unter uns: Eigentlich bestand gar nicht die Absicht meinerseits, ihm so derb weh zu tun; betrachtet es eher als Kollateralschaden.
Nebenbei fragte ich mich, ob dies völlig normal sei, dass ein ausgewachsener, nicht gerade leichter Mann, behände wie ein Tier, Bäume hinaufklettern konnte. Nachdenklich betrachtete ich meine Hände, berührte den Baum und als ich mich daran festzuklammern versuchte, tat sich etwas sehr Merkwürdiges mit meinen Fingernägeln... Sie wuchsen nicht aus dem Nagelbett, sondern an der Nagelplatte selbst, wurden dort länger und spitzer... Wie Krallen!... Ein wenig fürchtete ich mich vor mir selbst.
»Himmel! Was ist das denn!?«, reagierte ich bestürzt, ließ den Baum los und die Nägel schoben sich wieder zurück.
Diese Absonderlichkeit musste ich erst mal verdauen.
Unentschlossen stand ich vor dem Niedergestreckten. Dennoch konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, meine frisch gemachte Beute zu filzen. Er führte vieles mit sich, was mir von Nutzen sein konnte. Kleidung, sei nur mal so als Beispiel genannt. Waffen... und Nahrung! Mir war, als müsste ich des Hungers sterben. Neugierig ging ich in die Hocke und untersuchte seinen Beutel: Brot, Käse, Schinken und einen halben Ring geräucherter Wurst. Dazu ein Trinkbeutel mit verdünntem Wein.
Abermals knurrte mein Magen unbarmherzig. Dieser Hunger, er schmerzte regelrecht! Ach, was machte es schon? Der Bursche brauchte den Proviant ohnehin nicht mehr. Hurtig rupfte ich das Messer von seinem Gürtel und schnitt mehrere Scheiben vom Brot ab; dazu gönnte ich mir großzügige Portionen Wurst und Käse. Mit unbändigem Appetit stopfte ich mir alles in den Mund, kaute, schluckte und goss vom Wein hinterher, damit es besser rutschte. Einfach lecker!
Kurz spielte ich mit dem Gedanken, noch vom Schinken zu kosten, als mein Magen zu rumpeln begann und mir schrecklich flau wurde. Leider war das unheilvolle Rumpeln nur der Anfang. Danach begann er sich wild zu drehen, wobei mir der kalte Schweiß aus allen Poren trat. Und dann kamen wieder diese Schmerzen! Einfach grauenhaft!
Vom Leid geplagt, krümmte ich mich, rollte herum und krabbelte zuletzt auf allen Vieren umher. Mein Hirn funkte einen kalten Stich ins Rückenmark, woraufhin ich mich in einem eruptiven Schwall erbrach. Mein geschundener Körper wirkte hinterher geradezu erleichtert, den ärgerlichen Mageninhalt losgeworden zu sein. Nur mein Geist machte sich unsägliche Sorgen.
»Oh, verdammt! Entweder steht es schlimmer um mich als gedacht, oder der Fraß ist vergiftet! Aber das macht doch überhaupt keinen Sinn! Wieso sollte jemand giftige Nahrung mit sich herumtragen?«, keuchte ich ermattet.
Kaum kehrte Ruhe in meinen Magen, überkam mich wieder eine überwältigende Hungerattacke. Ganz wie es ihm beliebte, schien mein Bauch böse Streiche mit mir spielen zu wollen.
»Nein, das mit dem Brot und Käse, sollte ich definitiv lassen!« Zittrig trank ich einen Schluck Wein. »Das ist besser! Aber ich habe immer noch diesen bestialischen Hunger! Argh! Und er tut so weh!«, jammerte ich wie ein kleines Kind und trank abermals vom Wein, in der Hoffnung etwas Linderung dadurch zu erfahren.
Neben mir ertönte ein leises Stöhnen, das mich unerwartet eiskalt erwischte. Daraufhin verschluckte ich mich heftig und der Trinkbeutel drohte zu entgleiten. Als ich mich wieder gefasst hatte, bemerkte ich, wie der Fremde leise jammerte und stöhnte. Dabei sah er mich bittend und zugleich verängstigt an. Allem Anschein nach, plagten ihn große Schmerzen. Sein Gesicht war wachsbleich. Nachdem ich mich nicht weiter rührte, drehte er sein Antlitz schmerzverzerrt weg und versank wieder in Bewusstlosigkeit. Und dann geschah etwas Seltsames... Seine Halsschlagader zeigte deutlich den Puls, wenn auch nicht sonderlich stark. Sie hob und senkte sich. Dieser Anblick war dermaßen faszinierend, dass er mich gänzlich in seinen Bann zog. Sogar einen Herzschlag glaubte ich zu hören. Es war mir nicht möglich, meine Augen von dem pulsierenden Hals abzuwenden. Dabei randalierte mein Magen wie ein wild gewordenes Tier und forderte unverzüglich Nahrung. Jede Zelle meines Leibes verlangte nach Brennstoff. Erst jetzt bemerkte ich, wie mein Körper fiebrig zitterte.
Mir war kalt und heiß zugleich, und dabei dieser alles verzehrende, stets nagende Hunger! Er schwächte meinen Körper und schärfte meine Sinne. Ein animalisches Knurren entwich meiner Kehle. Ehe ich registrierte, was vor sich ging, schlugen meine Zähne in den Hals des Bewusstlosen. Meine Eckzähne schienen zu wachsen und mein Mund füllte sich mit warmen Blut. Und es war nicht meines. Herrlich, es schmeckte wie Nektar! Nach ein paar Schlucken gab mein Magen endlich Ruhe, allerdings sagte mein Kopf etwas anderes. Ich trank und war nicht in der Lage damit aufzuhören. Schließlich ließ ich satt und zufrieden von meinem leergetrunkenen Opfer ab.
Zwar war ich jetzt endlich gesättigt, doch überkam mich ein Entsetzen ohnegleichen.
»Bei