Tod auf Mallorca. Dirk K. Zimmermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dirk K. Zimmermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737538879
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Peggy nicht verärgern, ich wollte nur wissen, warum ich helfen sollte. Wenn Alma sich als Obdachlose durchs Leben schlug und ins Rentenalter gekommenen Urlaubern eine Handentspannung zukommen ließ – vielleicht sogar mehr – dabei konnte ich ihr weiß Gott nicht helfen.

      „Alma, verzeihen Sie mir, ich habe noch eine Verabredung und es schien mir sehr dringlich, Ihr Anliegen am Hafen. Ich würde gern mit Ihnen plaudern, aber mir ist die Zeit heute ein wenig davongelaufen. Mein Nickerchen hat sein Übriges dazu getan. Was ist es denn, wobei Sie so dringend Hilfe benötigen? Und was hat das mit dem toten Mann im Hafenbecken zu tun?“

      Alma zog die Nase hoch. „Keine Zeit. Stimmt. Ganz genau. Den Xaver Henner, den kenn ich. Kannte ich. Man hat ihn umgebracht. Bin ich mir sicher. Er war bei so einem Nervenarzt. Weil er merkte, dass seine Uhr, ich meine seine innere, nicht mehr rund lief. Er kam im Kopf einfach nicht mehr klar. Und da ist er hin, zu so einem deutschen Psychiater, der hat seine Praxis in Palma, hat er mir erzählt. Der Xaver. Und dann war er weg. Verschwunden. Hab ihn nicht mehr gesehen, bis er da wie ein Stück Treibholz herumtrieb. Die haben ihn plattgemacht.“

      „Wer ist die?“

      „Der Psychoheini. Oder die Pillendreher.“

      Es juckte mich am Kopf. Ich kratzte dort. Das war mir doch ein bisschen zu sehr aus der Luft gegriffen.

      „Die Zeitungen berichten anderes. Selbstmord, krebskrank.“

      Alma winkte ab. „Die Zeitungen. Angepasste Hosenschisser. Die haben alle Dreck am Stecken. Erbärmlich.“

      „Und deswegen waren Sie bei dem Kongress?“

      Alma nahm die Weinbrand-Flasche von mir entgegen und trank wieder einen großen Schluck. „Ah. Das wärmt. Diesen Ärschen muss man Dampf machen. Paroli bieten.“

      Ich runzelte die Stirn. „Aber ... wie soll ich da helfen? Ich bin einer von den Ärschen. Ich war da eingeladen. Ein Gast.“

      Alma lächelte. „Unsere Blicke haben sich getroffen. Ich suche schon so lange nach einem guten Menschen. Einem guten Menschen, der hilft. Ich habe in Ihren Augen gesehen, dass Sie es sind. Dass Sie helfen können. Dass Sie nicht sind wie die anderen. Dass Sie diese Mischpoke von innen heraus zerstören. Ich dachte, ich hätte Sie verloren. Die Kerle haben mir Prügel angedroht, da an der Kongresshalle. Wahrscheinlich hätten sie mich totgeschlagen, wenn es hart auf hart gekommen wäre. Ich musste mich beugen. Oh, wie ich das hasse. Ich werde mich nie daran gewöhnen können. An diese Spielregeln, die das Leben mir aufzwängen will. Aber am Hafen, da hat der Zufall uns zusammengeführt und da war die Zeit für meine Botschaft gekommen. Meine Botschaft, die ich schon so lange mit mir herumtrug.“

      „Sie meinen den Zettel. Den Sie mir in die Jacke gesteckt haben.“

      Sie nickte. Ich senkte meinen Blick, dann sah ich wieder zu ihr hin. „Das war ein Kongress. Der ist vorbei. Da gibt es nichts mehr aufzumischen oder gegen irgendwas zu rebellieren. Und ich habe auch mit diesen Leuten gar nichts mehr zu tun. Ich will auch gar nichts mehr mit ihnen zu tun haben.“

      Almas Züge verhärteten sich, sie duzte mich plötzlich. „Alles hängt zusammen. Du wirst schon sehen. Alles. Aber deshalb habe ich dich nicht gefragt. Nicht um Xaver Henners Mörder dranzukriegen.“

      „Warum denn?“

      „Meine Tochter. Sie ist fort. Wie vom Erdboden verschluckt.“

      Treffer. Ihre Tochter. Ein Reizwort. Meine toten Töchter. Und meine Mia, von der ich getrennt lebe. Ich hatte keine Chance. Sie hatte mich geködert.

      „Wie alt ist Ihre Tochter?“

      „Ines? Dreiundzwanzig.“

      „Sie ist alt genug. Sie kann gehen, wohin sie will.“

      „Sie wollte nicht gehen. Sie ist verschwunden.“

      Wieder so ein Reizwort für mich. Verschwunden. Vor Jahren hatte ich in meiner Praxis einen Klienten gehabt, dessen Freundin, eine ehemalige Erotikdarstellerin und Popsängerin, verschwunden war. Der Fall hatte mich ziemlich mitgenommen, als ich versuchte, meinen Klienten aus seiner psychischen Krise zu befreien. Ich hatte um meine Existenz fürchten müssen und war nur knapp einer Katastrophe entgangen.

      „Na gut. Dann erzählen Sie. Alles was Sie wissen.“

      Alma war – im Gegensatz zu dem bisherigen Verlauf des Gesprächs – von nun an ziemlich geradlinig in ihren Aussagen. Sie beschrieb mir in allen Einzelheiten, was sich zugetragen hatte.

      Ich fasse ihren Bericht hier zusammen, so wie er sich in meinem Gedächtnis festgesetzt hat: Ines hatte, nachdem die Modeboutique ihrer Mutter pleitegegangen war, ihr Kunstgeschichte-Studium in Hamburg aufgegeben und war mit Alma nach Mallorca gezogen. Sie hoffte, sie könnte als Fremdenführerin arbeiten, aber das klappte nicht so wie gewünscht. Die Mutter verlor ihre Arbeit in einem Tierheim. So standen beide auf der Straße und wohnten – bereits nunmehr seit über zwei Jahren –, in dieser Geisterstadt, getrieben von der Hoffnung, wieder eine Chance für ihr Leben zu bekommen. Ines hatte immer daran geglaubt, dass es diese Chance auf ein neues Leben für sie gab. Sie wollte wieder zurück aufs Festland. Sie hatte darauf gespart, aber immer wieder war ihr Vorsatz wie weggewischt gewesen, wenn es darum ging, Mallorca für immer zu verlassen und sich damit auch von ihrer Mutter zu trennen. Da fehlte der Wille, der Insel den Rücken zu kehren. Man habe sich immer wieder gestritten, erzählte Alma. Ines habe es angeekelt, dass ihre Mutter sich an die „alten Säcke“ heranschmeißen musste, um zu überleben; die Tochter hatte sich hin und wieder mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten. Nach einem schlimmen Streit zwischen Mutter und Tochter habe Ines gesagt, sie werde woanders übernachten und sei danach nicht wieder in die Terrapolis zurückgekommen. Das war inzwischen ein halbes Jahr her. Alma hatte die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Sie war bei der Polizei gewesen; sie hatte ihr letztes Geld zusammengekratzt und hatte Plakate drucken lassen und diese in allen größeren Orten aufgehängt. Niemand hatte Ines gesehen oder wusste, wo sie sich aufhielt.

      Nachdem Alma mit ihrer Schilderung zu Ende gekommen war, brach die ganze Verzweiflung aus ihr heraus.

      „Meine liebste Tochter“, sagte sie, „sie ist nicht gegangen. Ihr muss etwas zugestoßen sein. Und wenn sie tot ist, dann will ich es wissen, ich muss es erfahren. Meine kleine Ines.“

      Sie weinte. – Ich musste meine Tränen unterdrücken.

      „Was hat die Polizei denn gesagt?“, erkundigte ich mich.

      „Nichts. Die korrupten Schweine. Es war hirnrissig, zu ihnen zu gehen. Wenn etwas Schlimmes mit Ines wäre, würde ich es nie erfahren.“

      „Warum nicht?“

      „Weil die hier unter einer Decke stecken. Alle wie sie da sind.“

      Das war mir zu paranoid. „Die Polizei sucht nicht nach Ines?“

      „Nein.“

      „Und ich soll nach Ines suchen? Sie ist volljährig und kann tun und lassen was sie will, sie ist nicht unzurechnungsfähig oder braucht Hilfe, sie ist gesund. Warum soll man nach ihr suchen?“

      Alma schaute auf. „Du bist ein guter Mensch. Ein Mensch, dem man vertrauen kann. Du wirst helfen. Es muss ihr etwas zugestoßen sein.“

      „Aber, was macht Sie denn so sicher, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte? Vielleicht meldet sie sich bald ...“

      Alma schaute mich mitleidig an.

      „Du bist so ahnungslos. Sie hätte sich gemeldet. Wir hätten uns schon lange wieder versöhnt.“

      „Und wenn sie diesmal eine Chance gefunden hat, aufs Festland zurückzukehren? Wenn sie gar nicht mehr auf der Insel ist?“

      Alma begann vor Aufregung zu zittern. „Sie ist auf der Insel. So glaub mir doch.“

      Ich dachte einen Moment nach, dann war ich mir sicher, was ich tun wollte.

      „Also gut“, sagte ich. „Ich werde sie suchen. Gibt es einen Hinweis?“

      Alma