Tod auf Mallorca. Dirk K. Zimmermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dirk K. Zimmermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737538879
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hatten sie dennoch für mich. Eine der Kassiererinnen, ich glaube, sie hieß Gabriela, zeigte mir an der Informationstafel einen Aushang für ein Jobangebot. Promotion für Discos. Sie behauptete gesehen zu haben, wie Ines sich die Rufnummer notierte. Sie habe sich von ihr einen Kugelschreiber dafür ausgeliehen.

      Ich holte mir aus der Kühltheke ein kaltes Bier, dankte, speicherte mir die Nummer auf dem Aushang in mein Handy ein, schaute mir die Büroadresse und den Namen der Agentur an, die dort angegeben war. Roccos Ad. Ich zahlte und ging.

      Roccos Ad war ein viermal vier Meter großes Werbebüro in einer Einkaufsmeile von Palma. Und einen Rocco gab es gar nicht. Die Agentur war eine One-Man-Show und der Mann, der die Agentur verkörperte, hieß Marius und war afrikanischer Herkunft. Marius machte auf cool. Dreadlocks, Ray Ban, weites Hemd, Shorts, Sandalen. Goldkette, goldene Ringe, goldene Armbanduhr. Dass er mit mir ins Gespräch kam und offen mit mir redete, mag daran gelegen haben, dass ich mit meinem Bart und den langen Haaren eher wie ein verkaterter Grufti aussah, denn als Polizist oder Privatdetektiv durchging.

      Marius erzählte mir, als ich ihm klarmachte, wie dringlich es sei, dass Ines mal probeweise Flyer für ihn verteilt hätte. Sie habe dann sogar in seinem Appartement ein paar Nächte verbracht. Dann hätte man sich gestritten und sie sei einfach abgehauen.

      Ich war plötzlich hellwach.

      „Worum ging es bei dem Streit?“

      „Ich hab ihr gesagt, sie muss auch was dafür tun, um bei mir zu wohnen. Nur die Laus im Pelz ist nicht. Und den Job mit den Flyern, da war sie eine Obernull. Hab sie erwischt, wie sie Flyer weggeworfen hat.“

      „Du hattest was mit ihr.“

      „Sorry, die war ganz nett. Mehr nicht.“

      „Ganz nett? Du wolltest was von ihr und sie hat dich nicht rangelassen. Und dann gab es Ärger.“

      „Nix da“, sagte Marius. „Ich habe ihr gesagt, sie soll sich einen Job suchen und kann noch ein paar Tage bleiben. Aber da kam nichts. Und sie hat mir auf der Tasche gelegen.“

      „Warum hast du sie nicht sofort vor die Tür gesetzt?“

      „Das mach ich nicht. So ein Arsch bin ich nicht.“

      „Erzähl keinen Mist. Du hast ihr was eingeflößt und sie an die Marrokaner verscherbelt.“

      Marius lachte laut auf.

      „Hey, cool Mann, cool. Ich bin sauber, Alter. Aber was bist du denn für ein Spacko? Kommst hier rein, machst auf Sorgenpapi und willst mir dann auf den Sack gehen? Da kann ich gar nicht drauf.“

      Mir platzte der Kragen.

      „Jetzt pass mal auf Freundchen“, sagte ich. Ich kann auch mal ganz schnell die Bullen rufen und die drehen dir die Bude auf links. Und wenn die was bei dir finden, dann hast du ein ganz großes Problem. Ein Mega-Giga-Problem, kapiert?“

      Marius’ Finger der linken Hand trommelten auf der Tischplatte. Mit der rechten Hand griff er in die Hosentasche, zog ein Springmesser hervor. Es klappte auf. Marius begann sich die Fingernägel mit der Klingenspitze zu säubern und schaute mich abweisend an. „Ich lasse mir nicht von abgewrackten Mistkerlen so einen Scheiß erzählen. Du schwingst hier deinen Arsch jetzt raus und damit ist Sendepause.“

      Ich wusste, er bluffte nur, aber ich wollte es nicht darauf ankommen lassen. Ich verließ das Büro. Aber ich begab mich in Lauerstellung. Drei Stunden hatte ich vor seinem Büro gewartet, mich in umliegenden Eingängen verborgen, ehe er gegen achtzehn Uhr Feierabend machte und sein Büro abschloss. Es hätte für mich schwierig werden können ihn zu verfolgen. Falls er motorisiert war, hätte ich auf die Schnelle ein Taxi nehmen müssen. Aber er ging zu Fuß.

      Ich postierte mich gegenüber dem zweistöckigen Wohnhaus, in das er verschwunden war, beobachtete es. Ich bemerkte, als Marius ein Fenster öffnete, dass er parterre wohnte. Er blieb höchstens eine halbe Stunde. In frischen Kleidern verließ er die Wohnung wieder und tänzelte, die Kopfhörer des mp3-player auf den Ohren, leicht mit den Hüften schwingend, die Straße hinunter. Ich wartete ab, bis er um die nächste Hausecke gebogen war, dann schaute ich mir sein Wohnhaus näher an. Dass es so leicht gewesen wäre, beim ihm einzusteigen, hatte ich allerdings nicht erwartet. Ich bin auf den Hinterhof gegangen, habe die Terrasse überprüft und bin über die Terrassentür eingestiegen. Er hatte sie einen Spalt breit offengelassen und der Knauf war defekt, so dass man die Tür mühelos aufbekommen konnte.

      Marius war ein Blender. Er nächtigte auf einer Isomatte im Schlafsack. All sein Zeugs stand oder lag verstreut im Zimmer – dem einzig zur Verfügung stehenden Wohnraum – umher. Wahrscheinlich war diese Ordnung symptomatisch dafür, wie er sein Leben führte. Ich brauchte eine Zeitlang, um alles genau unter die Lupe zu nehmen, aber in diesem Durcheinander entdeckte ich tatsächlich etwas, das mit Ines zu tun haben konnte. Ein grünes T-Shirt, eine lilafarbene Shorts und einen leicht verdreckten rosafarbenen Rucksack. Ich holte nochmals das Foto hervor, das Alma mir gegeben hatte. Weder Shirt noch Shorts stimmten mit der auf dem Bild von ihr getragenen Kleidung überein. Was mich aber stutzig machte, waren die Initialen, die mit Kugelschreiber auf einen Schultergurt des Rucksacks geschrieben worden waren:

      I. A.

      Ermutigt öffnete ich den Rucksack, schaute hinein. Ein Fettstift für die Lippen, ein Deo-Roller. Ein roter Stringtanga. Ein weiterer Stringtanga. In orange. Wahrscheinlich Wechselwäsche. Eine Zeitungsdoppelseite. Ich faltete sie auseinander. Das aufgedruckte Datum dieser Ausgabe lag nahezu sechs Monate zurück. Ich überflog die Zeilen; es handelte sich um einen Anzeigenteil. Wenn dieser Rucksack Ines Atma gehörte, wovon wohl auszugehen war, musste sie sich nach dem Streit mit Marius vermutlich nach weiteren Jobs umgesehen und ihn möglicherweise überstürzt verlassen haben. (Vielleicht hatte Marius tatsächlich die Wahrheit gesagt und ich hatte ihm mit meiner Unterstellung unrecht getan.) Ich schaute mir die Spalten an. Es waren einige Durchstreichungen dabei, aber eine Anzeige, in deutscher Sprache abgefasst, war mit Kugelschreiber eingekreist worden:

      Versuchspersonen für medizinische Testreihe gesucht. Honorar 4.000 Euro.

      Darunter stand kein Name. Aber eine Rufnummer.

      Dieser Fund traf mich wie ein Hammerschlag. Ines Atma. Eine Versuchsperson für Geld? Als ich den Schock überstanden hatte, steckte ich die Zeitungsseite in meine Jackettasche. Ich war so aufgeregt, diese Information zu haben, aber gleichzeitig so sehr von Angst erfüllt, bei meiner Recherche erwischt zu werden, dass ich den Rucksack einfach liegen ließ, zur Terrassentür zurückstürmte, sie wieder verschloss, und mich im Schnellschritt aus dem Hinterhof davonstahl. Einige Straßenzüge von Marius’ Wohnung entfernt fühlte ich mich zwar etwas wohler, war aber wütend über mich selbst. Hätte ich Alma Atma diesen Rucksack vorgelegt, so wäre in Erfahrung zu bringen gewesen, ob er tatsächlich ihrer Tochter gehört hatte. Nun blieb es eine Vermutung. Es sei denn, ich würde nochmals zurückgehen und den Rucksack holen. Aber dafür war ich schlichtweg zu feige.

      Ich habe Alma dennoch versucht, mit dieser Sache zu behelligen. Zumindest wollte ich es. Ich bin zur Terrapolis, bin zu diesem Loch im Maschendrahtzaun. Aber dort war keins mehr. Man hatte es zwischenzeitlich geflickt. Dieser weißummantelte Draht, der die grüne geflochtene Metallschnur provisorisch aber sorgsam zusammenhielt, allein sein Anblick versetzte mich in Aufruhr. Hatte man Alma Atma, die hier stillschweigend Unterschlupf gefunden hatte, aufgegriffen und in ein Obdachlosenheim verbracht? Oder ins Gefängnis? Ich ging zum Pförtnerhäuschen, nahm allen Mut zusammen und fragte bei dem Sicherheitsmann – es war der, der sich anscheinend immer um die Funkgeräte kümmerte –, nach Tijuana und seinem Frauchen. Er schüttelte den Kopf, sagte kein Wort und bedeutete mir mit einer schlagenden Handbewegung zu verschwinden.

      Ich war frustriert. Zu gern hätte ich Alma eine Nachricht überbracht. Vielleicht würde sich schnell klären, wo Ines sich aufhielt, es war ihr gar nichts geschehen, sie hatte sich einem Medikamententest unterzogen, der vielleicht über sechs Monate dauerte, um dieses für sie sicher üppige Honorar zu kassieren und damit wieder aufs Festland umzusiedeln. Wieder eine Chance zu haben. Nur hatte sie ihrer Mutter davon nichts erzählt, weil sie sich gestritten hatten,