Tod auf Mallorca. Dirk K. Zimmermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dirk K. Zimmermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737538879
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so viel ich wusste, nicht mehr hergestellt wurde und schwer zu bekommen war. Ich brauchte Mut auf der Bootparty, viel Mut und so genehmigte ich mir ein paar Kurze aus der Zimmerbar, ehe ich zum abfahrbereiten Shuttlebus hinunterging. Was machte es schon? Ich hatte mich fit gemacht für den Vortrag, er war vorüber, ich nahm keine Medikamente, wer wollte da einem das Schlückchen Alkohol verwehren.

      Ziemlich beschwipst bestieg ich das Partyboot und hatte dort Mühe, die Übersicht zu behalten. Es wimmelte nur so von gutaussehenden Hostessen, leicht bekleideten, beinahe ausschließlich weiblichen Bedienungen des Caterings, die Begrüßungsgetränke und Snacks reichten. Mittendrin natürlich die Redner (abgesehen von Helga) und jede Menge Industrielle. Die Reise führte von Palma zum Hafen von Andratx und wieder zurück – so hatte ich dem Flyer entnommen – erst in den frühen Morgenstunden würden wir wieder in Palma anlegen und dann das Hotel aufsuchen.

      Ich stand eine Weile etwas verloren an der Reling, hielt mich an meinem Cocktailglas fest und genoss die Aussicht, als Carl-Maria, der Pharmareferent, und Marketingspezialist Dennis mir ein wenig Gesellschaft leisteten.

      Sie sprachen davon, dass man bei Port des Canonge gut Polo spielen könne. Sie fragten mich, ob ich Interesse daran hätte, es zu versuchen. Ich lehnte dankend ab. Ich könne nicht reiten und mir zudem nicht vorstellen, im Sattel sitzend einem kleinen Ball nachzujagen.

      Dennis klopfte mir auf die Schulter. „Albert“, sagte er, „warum so zugeknöpft, der Appetit kommt beim Essen. Vielleicht bist du der geborene Reiter und hast es nicht versucht.“

      Carl-Maria lächelte sanft und wissend. „Keine Angst. Ich habe auch vor vielen Dingen ungeheuren Respekt gehabt. Aber ich habe es probiert und bin so zu einem kleinen Adrenalin-Junkie geworden. Speedclimbing, Wasserski, Rafting, Wingsuit Base Jumping – das ist einfach überwältigend.“

      Ich war mehr als überrascht. Carl-Maria sah mir nicht gerade aus wie ein Athlet. Er war sicher Mitte vierzig. Kahlrasierter Schädel, Drei-Tage-Bart, Brille. Schlaksig. Eins neunzig groß. Aber man kann sich irren. Ich wusste nichts zu antworten angesichts der mitreißenden, packenden Angstlust, die er mir vorschlug. Ich fühlte mich vielmehr an den Philosophen Martin Heidegger erinnert. Das Sein, das zum Tode strebt.

      „Ich frage mich“, sagte ich, „inwieweit mich das waghalsige Sporteln zu mir selbst bringen kann. Begreife ich mich selbst dadurch besser?“

      „Ach“, sagte Carl-Maria gedehnt, „Du bist mir ein Spielverderber. Grüble nicht. Riskiere mal was.“

      Dennis trank schmatzend seinen Aperitif, schaute mich herausfordernd an. „Die Welt ist ein Paradox, Albert, aber es gibt ständig nur Wagnisse. Alles ist immer möglich, aber, müssen wir deshalb ständig Ängste hegen? Wir sind doch frei. Die Freiheit ist unendlich.“

      Jetzt lachte er höhnisch, lachte selbstgefällig, lachte immer lauter. Fast teuflisch. Dann stürzte er den Rest seines Aperitifs hinunter. „Ich gehe mal, genehmige mir noch einen und kümmere mich um Lydia“, erklärte er. Er deutete auf die reizende blondhaarige Hostess, die ganz in der Nähe stand und dafür sorgte, dass die Amuse Gueules – knusprige Brotchips mit Sardinenpaste –, unter die Leute kamen. „Sie ist aus Sankt Petersburg“, raunte er und verdrehte die Augen, als würde er von einer auf die andere Sekunde den Verstand verlieren.

      Mein Hundertachtzig-Grad-Blick verhieß: Es würde eine wilde Party werden. Vor den Toiletten bildeten sich lange Schlangen. Nicht ausgelöst durch eine plötzlich ausgebrochene globale Inkontinenz, sondern durch Kokainkonsum. Viele rieben sich in den Gesprächen nach Besuch des stillen Örtchens auffällig oft an den Nasenflügeln herum.

      Ein Diskjockey blieb anfangs mit cooler Loungemusik unauffällig, sorgte danach mit Techno und Rave für Stimmung, bot im weiteren nur noch Schlager. Mit erhöhtem Alkoholpegel sanken die Hemmschwellen in jeder Hinsicht. Viertelstündlich. Die Gästeschar grölte und tanzte. Man mochte es kaum glauben, aber viele der weiblichen Anwesenden ließen ihre Hüllen fallen. Sie tanzten oben ohne oder knoteten die Blusen über dem Bauchnabel zusammen, nachdem sie sich ihres Büstenhalters entledigt und diesen wirbelnd ins Meer geworfen hatten. Wir waren Port Andratx nah, da schmusten einige gierend auf den gepolsterten Bänken miteinander oder knutschten, andere machten sich, je nach dem, wer dominant war, ungeniert am Hosenschlitz oder unter dem Rock zu schaffen und es kam mir vor, als ob zumindest die Rückfahrt unweigerlich in eine ekstatische Orgie ausarten würde.

      In welche Katastrophen konnte so etwas münden? Manche strangulierten sich in der Toilette mit einem Gürtel und wurden dann bewusstlos aufgefunden, andere stürzten einfach von Bord und ertranken jämmerlich, da ihre Sinne von Sex, Drogen und Alkohol wie vernebelt waren.

      Auch hierzu gab es Notizen in meinem Heftchen unglaublicher Zufälle.

      Es ist wohl nur zu gut verständlich, angesichts dessen ich nach der Trennung von Anita schmerzlich unter der fehlenden Zuneigung litt und mir keineswegs eine schnelle Nummer mit einem der anwesenden Partyluder darüber hinweghelfen konnte (ich hatte im letzten Jahr gar nicht erst versucht, eine Frau kennenzulernen), dass ich es kaum noch auf dem Boot aushielt. Ich musste mir etwas einfallen lassen, um in Port Andratx, wieder zurück an Land, das Weite zu suchen.

      Ich kämpfte mich durch das Gedränge der Feierwütigen hindurch und suchte nach Mandy Conchita. Das Boot wurde gerade am Poller der Anlegestelle vertäut und die aufgeheizten Pärchen machten sich bereit für den Landgang, ordneten ihre Kleider, zumindest die, die das Gala Dinner nicht einfach ausließen.

      Ich begegnete Mandy Conchita zufällig, als sie aus der Damentoilette kam. Sie war in Begleitung einer blonden Schönheit, die ihr – ich sah es noch in einer winzigen Bewegung der Hand –, unter das Minikleid gefasst und in den knackigen Hintern gekniffen hatte. Mandy Conchita überspielte die schlüpfrige Angelegenheit einfach mit einem Lächeln und warf ihrer Begleiterin einen verliebten Blick zu. Ich redete nicht lange drum herum. „Mandy“, sagte ich, „gut, dass ich Sie treffe. Entschuldigen Sie, aber ich muss mich leider vorzeitig verabschieden.“

      Sie blickte mich fragend an. „Albert, es ist doch alles okay mit Ihnen?“

      „Ja, natürlich“, versicherte ich. „Tolle Party! Es ist nur so, ich habe einen Anruf erhalten, von einer Freundin, sie ist momentan auf der Insel, ihr Boot liegt hier im Hafen. Und ich möchte meine Freundin gern heute Abend noch besuchen, weil sie morgen Früh schon weiterschippert.“

      Mandy Conchita durchschaute meine Ausrede sofort. Zuerst sah sie mich belustigt an, dann aber wurde ihr Blick hart und abweisend. „Sie haben viel erlebt, Herr Wallmann, ich weiß. Aber, dass Sie neben Ihrer Flugangst auch noch eine soziale Phobie haben, das hätte ich nicht erwartet. Trotzdem, das ist kein Problem. Ich sage der Bordmannschaft, dass wir ohne Sie zurückreisen. Weiterhin noch einen angenehmen Aufenthalt auf Mallorca und ich wünsche Ihnen für morgen eine gute Heimreise.“ Sie gab mir förmlich die Hand, dann stöckelte sie auf ihren hohen Hacken an mir vorbei, während die Blondine kaum die Finger von ihr lassen konnte und an Mandy Conchitas Hüfte herumtatschte.

      Ich war froh, als die Partygesellschaft in den Gassen von Port Andratx verschwunden war. Am Pier zurückgeblieben, sog ich die frische Abendluft in meine Lungen und dachte darüber nach, was ich wohl jetzt anstellen sollte. Mit dem Taxi nach Peguera zurückfahren konnte ich noch immer. Ich machte mich also auf, ein wenig die Hafenmeile zu erkunden. Die Schönen und Reichen saßen auf den Terrassen der vielen schmucken Gaststätten, aßen zumeist gegrillten oder gebratenen Fisch, tranken Wein und amüsierten sich dabei prächtig, so machte es den Eindruck. Man war unter sich, man war wer, das illustre Urlauber-Völkchen fühlte sich in der Avinguda Mateo Bosch, wie ich auf einem Straßenschild ablesen konnte, sichtlich wohl, egal ob man aß, ein Schwätzchen hielt oder nur flanierte.

      Da ich keinen Hunger verspürte, hielt ich nach Kneipen Ausschau und wurde im Übergang zur Avingunda Almirante auf eine Bar namens Peggys Stars On 45 aufmerksam. Es herrschte reger Betrieb.

      Bei Peggy handelt es sich um eine vierundfünfzigjährige Deutsche, die ihr Lokal mit viel Herzblut führte und hinter dem Tresen mit flinken Fingern die Bechergläser nur so fliegen ließ. Sie hatte direkt am Eingang eine Jukebox platziert. Die Oldies