Tod auf Mallorca. Dirk K. Zimmermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dirk K. Zimmermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737538879
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für Hilfe?“

      „Das weiß ich selbst nicht so genau.“

      Sie zögerte. Ihr Blick tastete mich ab. Sie nickte, nahm die Waffe herunter.

      „Es geht mich nichts an. Ich weiß von nichts. Komm später wieder.“

      Ich konnte es kaum glauben. Die Frau duldete die Rothaarige wohl auf dem Gelände. Sie schien meine Gedanken zu erraten.

      „Wir sind alle Menschen, nicht wahr. Jetzt verschwinde. Ich habe dich nicht gesehen. Adios!“

      Ich ging. Aber ich würde wiederkommen, um mit Atma zu sprechen. Soviel war klar. Wahrscheinlich mit einem ganzen Beutel voll von Chorizo.

      4

      Als ich zurück in Andratx war, wartete Peggy bestens gelaunt mit Neuigkeiten auf. Sie hatte nicht nur die Tapas längst vorbereitet. Sie war shoppen gewesen, hatte sich ein neues schwarzes Kopftuch gekauft, und damit gleich ihr Haar zurückgebunden. Sie sah klasse aus. Aber all das zeigte und erzählte sie mir nur nebenbei. (Irgendwie ging sie sehr freundschaftlich mit mir um, sehr vertraut, obwohl ich doch nur eine Nacht auf ihrem Sofa verbracht hatte und sie mich nur wenige Stunden kannte.) Mit der Nase stieß sie mich auf die Online-Meldung einer deutschen Mallorca-Zeitung. Ich schaute mir den Artikel auf ihrem Laptop an. Es ging um den Toten aus dem Hafenbecken. Ich filterte die Sätze nach neuen Informationen und war nach genauem Durchlesen doch einen ganzen Schritt weitergekommen. Man hatte den Mann identifizieren können. Er hieß Xaver Henner Müller. Er war dreiundsechzig Jahre alt gewesen, ein ehemaliger Schuhfabrikant aus Köln. Die Polizei sprach bei der Todesursache von einem Selbstmord, hervorgerufen durch eine schwere Tablettenvergiftung. Bei der Obduktion habe man zudem festgestellt, dass Müller an Lungenkrebs erkrankt gewesen sei.

      Dieser seichte, sensationslose Polizeibericht war sogar der Gazette zuwider gewesen und machte noch keine echte Meldung aus. Man reicherte die Nachricht ein wenig an, und plötzlich, siehe da, gab es tatsächlich etwas Spannendes, was bei diesem Leichenfund von Interesse war. Sie schrieben nämlich, dass Müller vor längerer Zeit versucht hatte, eine Schuhfabrik in Inca zu betreiben. Der Unternehmer war damit aber kläglich gescheitert und hatte sich ruiniert. Er verlor dadurch seine Finca in Pollenca und sein Appartement in Magaluf. Da er aber die Insel so sehr liebte und niemals mehr nach Deutschland zurückkehren wollte, lebte er fortan auf seinem Boot Santo Domingo und schipperte an der mallorquinischen Küste von Hafen zu Hafen. Laut Aussage der Hafenmeisterei hatte das Boot seit längerer Zeit im Hafen von Soller gelegen, war aber nun verschwunden. Niemand wusste wo das Boot abgeblieben war. So folgte der Zeitungsbericht schließlich der Polizeiversion, dass Müller mit dem Boot ausgelaufen und dann unglücklich oder absichtlich von Bord gestürzt und ertrunken sein musste.

      Es schien alles plausibel. Es gab keinen Haken an der Sache. Man würde das Boot irgendwann herrenlos auf See finden und damit hatte es sich. Es war kein Mord, kein Raubmord oder was man sich alles an Kapitalverbrechen sonst noch ausmalen wollte. Hatte Atma vielleicht nur gesponnen? War sie wirklich nicht ganz bei Trost?

      Peggy machte nicht den Versuch, mir auszureden nochmal zur Terrapolis rauszufahren, aber ich bemerkte doch, dass sie dachte, es erübrige sich, während sie den Laptop zusammenklappte und ihn in der Schreibtischschublade verstaute.

      Dennoch: Ich folgte meinem Instinkt, vielleicht vielmehr meinem Schuldkomplex und so hatte ich mich am frühen Abend wieder auf den Weg dorthin gemacht. Diesmal sogar vorsorglich mit zwei Chorizos im Gepäck. Um Peggy an ihrem Tapas Abend nicht zu kränken, hatte ich ihr versprochen, spätestens bis dreiundzwanzig Uhr wieder zurück zu sein.

      In der Nähe des Schlagbaums angekommen, musste ich bemerken, dass eine Wachablösung stattgefunden hatte. Weder von diesem mir zuvor begegneten Sicherheitsmann, noch von der Wachfrau oder ihrem Bullterrier Tijuana war etwas zu sehen. Also begann das Spielchen von vorn. Ich ging so unauffällig wie möglich am Schlagbaum vorbei, die Straße entlang, suchte das Loch im Zaun auf, kroch hindurch und pirschte mich durch das Labyrinth von Baracken zum Gebäude Nummer 8 vor. Es klappte alles wie am Schnürchen. Ich betrat die Behausung, lehnte die Tür ein wenig an und rief nach ihr.

      „Atma?“

      Keine Antwort.

      Ich rief nochmals. „Hallo? Atma?“

      Keine Antwort. Ich durchsuchte jeden Winkel der Baracke. Sie war nicht da. Es folgte der unvermeidliche Blick auf meine Armbanduhr. Sie zeigte beinahe zwanzig Uhr dreißig. Was sollte ich tun? Atma konnte die Nacht woanders verbringen, sie war nicht verlässlich. Vielleicht würde sie nie wieder hierherkommen. Ihr konnte etwas zugestoßen sein. Ich würde niemals davon erfahren, denn wahrscheinlich kümmerte sich niemand um sie, achtete darauf, was sie tat und wen sie traf. Sie war hier stillschweigend geduldet, damit hatte es sich aber gewiss auch schon.

      Ich kämpfte mit mir, aber ich verweilte schließlich in der Baracke und setzte mir eine Frist. Wenn sie bis zweiundzwanzig Uhr dreißig nicht zurück war, würde ich gehen.

      Ich hockte mich auf eine der Matratzen und nahm mir die Bücher vor, die auf dem Boden lagen. Es war eigentlich zu dunkel im Raum um in ihnen zu lesen. Ich zündete eine Kerze an. Die Romane sagten mir nichts. Schnulzen, keine Bestseller. Unter den Büchern befand sich eine Bibel. Ich schlug den Buchdeckel auf und sah es sofort. Die erste Seite fehlte. Ich holte Atmas Skizzennotiz hervor und legte das Blatt an den eingebundenen ausgefransten Seitenrest in der Bibel an. Es passte exakt hinein.

      Ich hatte begonnen in der Bibel zu lesen, hatte die Seiten durchgeblättert, ob Atma durch kleine Knicke Lesezeichen eingefügt hatte, aber ich wurde nicht fündig. Ich las ein wenig in der Bergpredigt. Darüber muss ich eingenickt sein.

      Ich kam zu mir, als der Lichtstrahl einer Taschenlampe mir ins Gesicht stach und mich abrupt aus dem Schlaf riss. Ich blinzelte. Das grelle Weiß schmerzte in den Augen.

      „Sie haben ein Gewissen“, hörte ich die Rothaarige sagen. Sie richtete die Lampe auf den Boden.

      Nachdem das milchige Weiß vor meinen Augen verebbt war, konnte ich sehen, wie sie langsam näher kam. Sie schaute mich an, sah die Bibel in meinem Schoß liegen.

      Dann ging sie hinüber zur anderen Matratze, ließ sich dort nieder, zündete zwei Kerzen an (meine war erloschen), stellte sie auf dem Estrich ab, so dass wir einander im schemenhaften Licht der Flammen ansehen konnten. Es war gespenstisch. Wir saßen eine Weile stumm da, unsere Silhouetten tanzten im flackernden Schein an den Wänden, ehe ich das Gespräch begann. (Ich hatte zu meiner Armbanduhr geblickt, hatte gesehen, dass es fast dreiundzwanzig Uhr war, und in diesem Moment wusste, ich würde mein Versprechen Peggy gegenüber nicht halten können.)

      „Atma, wo waren Sie so lange?“

      „Ich heiße nicht nur Atma. Ich heiße Alma. Nennen Sie mich Alma.“

      „Sie heißen Alma Atma?“

      „Ja. So heiße ich.“

      „Und wie heißen Sie wirklich?“

      „Ich heiße, wie ich heiße.“

      Sie machte einen ganz aufgeräumten Eindruck. Meine Vermutung, es handele sich bei ihr um eine verwirrte Spinnerin, musste ich wohl revidieren.

      Alma kicherte plötzlich. Sie griff unter ihre Matratze und holte eine kleine Flasche Weinbrand hervor. Sie nahm einen kräftigen Schluck und hielt mir die Flasche hin.

      „Wollen Sie?“

      Ich mochte Alma nicht zurückweisen, nahm die Flasche, wischte kurz über ihre Öffnung, setzte sie an die Lippen und trank einen winzigen Schluck von der braunen Flüssigkeit. Furchtbarer Fusel. Alma musterte mich.

      „Hab gehört, Sie waren schon mal da. Ich hab Arbeit gesucht. Hat eine Weile gedauert. Und dann auch noch so ein Ding.“

      „Was meinen Sie?“

      „Richard. Rentner. Der Whisky war nicht schlecht, die Jacht auch nicht. Er hatte sogar Geschmack, was die Malerei anging. Hopper. Natürlich nicht echt. Oder auch Literatur. Allende. Aber sein bestes Stück war so groß wie eine Weintraube. Eine Weintraube zwischen