Tod auf Mallorca. Dirk K. Zimmermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dirk K. Zimmermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737538879
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auf dem Gelände bereits die Runde und ich knabberte an einem kleinen Lachshäppchen mit Meerrettichsahne, wurden meine Ko-Redner fleißig zu Interviews gebeten. Mich hingegen wollte niemand sprechen. Mir war es sehr recht so, denn, was hätte ich auch sagen sollen. Ich teilte die Ansicht meiner Kollegen nicht. Warum sollten Ängste durch Medikamente, die eine gewisse Gelassenheit auslösten, unterstützend bekämpft werden? (Schließlich hatte auch ich nur nach Betteln meines Therapeuten Walter Medikamente gegen die Depressionen geschluckt, aber keineswegs welche gegen die Ängste. Walter wäre auch nicht auf die Idee gekommen, mir welche zu verordnen.) Warum mochte man es nicht stattdessen mit Meditationen oder Entspannungsübungen versuchen, die, im Übrigen, nebenwirkungsfrei daher kamen?

      Ich hörte ein bisschen bei den Smalltalks zu, verstand Gesprächsfetzen, die von Paragliding, Kite-Surfing, Tennis und Caving handelten, drängelte mich dann zu Mandy Conchita vor, die eigentlich gerade alle Hände voll zu tun hatte, den Hostessen Pakete mit Handzetteln zu übergeben. Ich fand, es war genau an der Zeit, sie mit meiner Frage zu überrumpeln.

      „Mandy“, schnurrte ich, „ein toller Tag, ein wichtiger Tag. Aber ich habe vergessen mich zu bedanken.“

      „Keine Ursache“, sagte Mandy Conchita mechanisch. „Aber es ist doch noch nicht vorbei, Herr Wallmann. Wir gehen doch nachher aufs Partyboot. Es gibt Gambas und Caipirinha. Oder auch viele andere schöne Sachen, falls Sie etwas anderes bevorzugen. Zum Beispiel einen Sailor Moon Cocktail. Ich liebe Caipirinha.“ Ihre Augen glänzten und sie lächelte gewinnend. Sie war einfach professionell. Ich lächelte zurück und schaute ihr kerzengerade in die Augen.

      „Ja, das sind tolle Aussichten“, stimmte ich zu. „Darüber hinaus, ich muss Ihnen mein Kompliment aussprechen, die elegante Ledermappe mit den Pröbchen ist wirklich sehr aufmerksam von Ihnen gewesen.“

      Mandy Conchita wies wortlos aber gestenreich die Assistentinnen an, die mit den Flyern ausschwirrten. In ihrem Gehirn arbeitete es, dann runzelte sie die Stirn.

      „Was meinen Sie?“

      „Na, Ihr Präsent. Die Ledermappe mit den Medikamenten.“

      „Mit den Medikamenten?“

      „Ja, die grünen Pillen und die roten Pillen. Ein toller Einfall, den Süßkram auf diese Weise zu verschenken. Sehr amüsant.“

      Mandy Conchita zog mich näher zu sich heran.

      „Herr Wallmann, Sie scherzen. Ich weiß beim besten Willen nicht, was Sie meinen. Wir haben Ihnen den seidenen Bademantel und die Flipflops als Präsent bereitgelegt, die sind für Sie, aber eine Ledermappe, das ist mir neu.“

      Sie lächelte. Ich war irritiert. Und sie kam noch näher an mich heran und flüsterte beschwörend. „Herr Wallmann, ich darf Sie bitten, sich über einen solchen Fauxpas nicht mit anderen auszutauschen. Das könnte mich die Stellung kosten, das verstehen Sie doch?“

      Ich schaute sie durchdringend an. Jetzt war es meine Stirn, die sich in Falten legte.

      „Die Ledermappe ist definitiv nicht von Ihnen?“

      In Mandys Augen blitzte es gefährlich. „Ich muss weitermachen, Sie entschuldigen. Und ich gebe Ihnen einen Tipp. Wenn Sie wirklich eine Ledermappe auf Ihrem Zimmer haben, und Sie wünschen diese nicht, warum schmeißen Sie das Ding nicht einfach in den Papierkorb.“ Sie schaute mich keck an, dann machte sie eine wirbelnde Handbewegung und ließ mich stehen.

      Die Ledermappe war nicht von Global Sensual Maxx. Wer hatte sie hinterlegt? Ich wollte Mandy keine Schwierigkeiten machen, aber ich würde vor dieser Partyboot-Feier Nachforschungen dazu anstellen müssen. Eine ganze Weile grübelte ich darüber, bis mich ein anderes Ereignis aus meinen Gedanken riss. Die Gäste strömten bereits zum Einlass, da bemerkte ich, wie vom Weg her, der zur Eingangshalle führte, eine Frau, sie mochte etwa fünfzig sein, sich den Weg durch die Sicherheitskräfte zu bahnen versuchte. Ich sah es sofort, sie gehörte hier nicht her. Ihre Füße steckten in halb zerfetzten Espandrillos, dazu trug sie kurze, ausgefranste Bluejeans und eine verblichene orangefarbene Bluse. Ihr mittellanges, rotes Haar hatte sie sich zum Zopf gebunden. Sie war ungeschminkt und wirkte abgekämpft von Sonne und Hitze. Sie mochte einmal schön gewesen sein. Jetzt wirkte sie mager und ausgezehrt. Irgendwie verbissen.

      „Lassen Sie mich durch, ich muss da durch“, keifte sie in akzentfreiem Deutsch. Zwei Sicherheitsleute packten sie und führten sie weg. Außer mir waren auch ein paar Gäste auf die Frau aufmerksam geworden, doch sie schüttelten nur lächelnd den Kopf und vertieften sich wieder in ihre Gespräche. Mein Blick aber folgte der Frau, ich sah, sie begehrte auf, sie wollte sich losreißen, ich hörte ihr Gekreische: „Lassen Sie mich los. Ich bin ein freier Mensch, Finger weg, verdammt noch mal. Sind Sie ganz bei Trost? Hände weg.“

      Dann verlor ich sie hinter den Büschen aus den Augen und mit einem Mal war es mächtig still. Ich hörte, so sehr ich auch horchte, nur noch das wabernde Gemurmel der Menschen, die mich umgaben.

      Was hatte diese Frau gewollt? War sie geistig verwirrt und durch Zufall auf das Kongressgelände geraten? Oder hatte sie jemanden sprechen wollen und wurde nicht vorgelassen? Der Gedanke beschäftigte mich, er bohrte sich tief in mein Innerstes. Ich verließ den Vorplatz der Eingangshalle und eilte den Weg entlang. Dorthin, wo die Frau aus meinem Blickfeld verschwunden war. Ich kam nur dreißig Meter weit. Ein Sicherheitsmann stellte sich mir in den Weg. Er wies in Richtung Halle. „Wollen Sie nicht hineingehen? Die Gesundheitsministerin ist bestimmt schon auf dem Podium ...“

      Ich kratzte mich am Kinn. „Die Frau, diese rothaarige Frau, die da gerade so herumkrakeelt hat. Wo ist sie?“

      Der Sicherheitsmann zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Auf ihrem Weg. Auf dem rechten Weg.“ Er grinste. „Manchen bekommt die Sonne einfach nicht.“

      Er war wie eine Wand. Er blieb solange vor mir stehen, bis ich nach einigen Sekunden aufgab und zurückging. Ich schaute mich nochmals um, ehe ich die Halle wieder betrat. Der Sicherheitsmann war mir nachgekommen, hatte mich fest im Blick. Er versicherte sich, dass ich wirklich hineinging. Spätestens jetzt ahnte ich, dass Mallorca mehr zu bieten hatte als herrliche Natur und Urlaubsfeeling.

      Zurück im Hotel musste ich mir allerdings eingestehen, wegen der Pillen hatte ich mir grundlos Sorgen gemacht. Ich sprach mit der Empfangsdame. Die Ledermappe rührte anscheinend noch von einer anderen Veranstaltung her. Deren Gast hatte sie wohl unangetastet im Zimmer liegen lassen oder sie schlichtweg vergessen. Die Empfangsdame entschuldigte sich und erklärte, die Mappe werde vom Zimmerservice gleich entfernt, aber ich schlug vor selbst hinaufzugehen und die Mappe am Empfang zu hinterlegen. Sie willigte ein. Ich weiß nicht, welcher Instinkt mich dazu verleitete, als ich die Ledermappe aus meinem Zimmer holte. Ehe ich sie zurückgab, nahm ich die Folien mit den Pillen einfach heraus und steckte sie mit dem Begleitzettel in die Tasche meiner Jacke. Meine scheinheilige Frage danach, welche Veranstaltung der Gast vor mir besucht hatte, etwa eine Messe oder ebenfalls eine Tagung, konnte mir die Rezeptionistin nicht beantworten. Sie lächelte mich freundlich an und sagte, es sei indiskret, solche Informationen herauszugeben. Ich entgegnete, mir gehe es um die Veranstaltung, nicht um den Namen des Gastes. Aber das wollte sie nicht gelten lassen. Sie sagte, ich könne sehr schnell selbst herausfinden, welche Veranstaltung es sei und zeigte auf die Internetecke im Foyer.

      Mein Ehrgeiz war geweckt. Während Georg, Til, Rainer-Maria und Konsorten sich wahrscheinlich schon auf den Zimmern für die Bootparty in frische Kleider hüllten, saß ich in der Lobby am Rechner und forschte im weltweiten elektronischen Netz. Aber so sehr ich auch stöberte, ich fand keine Veranstaltung, die in den letzten Tagen auf der Insel stattgefunden hatte und gleichsam zum Thema Angst und Depression passte. Das kleine Rätsel konnte also nicht entschlüsselt werden, es sei denn, ich bestach den Nachtportier, um den Namen des Gastes zu erfahren, der die Ledermappe hätte eigentlich erhalten sollen. Aber das war mir dann doch des Guten ein wenig zu viel. Kurz war ich geneigt, an ein geheimes Treffen unter Eingeweihten zu denken, aber dann erschien mir der Gedanke zu kurios und abwegig.

      Mein Cordanzug war ein wenig verknittert, ein frisches blaues Poloshirt zog ich noch an, frisierte mein Haar neu, band es mit dem schwarzen Gummi ordentlich im Nacken zusammen und gab ein paar