Blut zu Blut. Janaina Geismar. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Janaina Geismar
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847611301
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den Direktor sprechen, hier lag eindeutig ein Missverständnis vor, denn sie gehörte ganz bestimmt nicht auf diese Schule. Schließlich war sie einfach so in einen Zug geschubst worden. Und nachdem sie ausgestiegen war, hatte sie keine andere Wahl, als den anderen zu folgen, sonst stünde sie immer noch auf dem gottverlassenen Bahnsteig. Bestimmt hatte man sich geirrt und jemand anderes erwartet. Das ließe sich gewiss leicht aufklären, sie brauchte nur zum Schuldirektor zu gehen, der in den Akten nachschauen würde. Danach würde sie dieser seltsame Hausmeister bestimmt wieder zum Bahnhof bringen. Aber so wirklich tröstete sie diese Vorstellung nicht, denn wo sollte sie dann hin? Trotzdem legte sie den Stundenplan wieder weg, denn den brauchte sie auf keinen Fall.

      Stattdessen studierte sie erneut den Lageplan und suchte das Büro des Schulleiters, denn da wollte sie morgen früh als erstes hin. Draußen wurde es langsam hell und der Wecker fing an zu klingeln. Sie konnte sich nicht daran erinnern, ihn überhaupt gestellt zu haben. Sie ließ ihn klingeln und sah Larea zu, die sich in ihrem Bett hin und her wälzte, aber keine Anstalten machte aufzustehen. Ryu dehnte und reckte sich, wusch sich das Gesicht und machte sich auf den Weg zum Büro des Direktors.

      Das Büro war nicht weit weg, der Weg dorthin einfach, auf den Fluren begegnete ihr keine Menschenseele. Schließlich hielt sie vor einer blutrot gestrichenen Holztür, in der in steilen, gotischen Lettern stand: Schuldirektor Helios Lucifer. Ein eigenartiger Name für den Direktor einer Schule, dachte Ryu. Sie klopfte an die Tür und hatte nicht viel Hoffnung, dass der Direktor schon zu so früher Stunde anwesend war, aber zu ihrer Erleichterung bat eine tiefe Stimme sie hinein.

      Als sie die Tür öffnete und den Raum betrat, hatte sie Bücherschränke, einen Konferenztisch und zumindest einen Computer erwartet. Nichts dergleichen fand sie vor. Statt dessen musste sie sich ihren Weg durch Stapel staubiger Akten, die den ganzen Boden bedeckten, zu einem blutroten monströsen Schreibtisch suchen. Dahinter saß ein großer alter Mann. Er hatte ein rotes und ein schwarzes Auge, was Riu irritierte. Vielleicht hatte der Direktor ja eine seltene Augenkrankheit, dachte Ryu. Der Direktor schien ihr uralt, vielleicht war er sogar der älteste Mensch, den Ryu je zu Gesicht bekommen hatte. Er hatte langes eisgraues Haar, das in dünnen Strähnen bis auf seine Schulter hing. Sein schmales Gesicht war unendlich lang und lief in ein merkwürdig spitzes Kinn zu. Seine rechte Gesichtshälfte war von so vielen Fältchen und Runzeln durchzogen, wie es Ryu zuvor noch nie an einem Menschen gesehen hatte. Hingegen war seine linke Gesichtshälfte ganz glatt und von einem durchscheinenden Weiß, durch das ein Geflecht von schwarzen Adern schimmerte, die alle gebündelt in seinem schwarzen Auge mündeten. Seine Augen lagen einen fingerbreit tief in den Höhlen, was seinem Blick etwas Starres und Durchdringendes verlieh. Er trug einen schwarzen Anzug, darunter ein weinrotes Hemd. Der Direktor schlug ein großes schwarzes Buch zu, was einen ohrenbetäubenden Knall verursachte. Ein Staubwolke wirbelte hoch und hüllte den Direktor ein. Aus der Staubwolke stach plötzlich eine faltige Hand hervor, deren Rücken mit dicken feuerroten Borsten bedeckt war, ein langer Finger, dessen Nagel schwarz lackiert war, zeigte vor dem Schreibtisch auf einen winzigen Stuhl, der für Zwerge gemacht schien, und eine tiefe kehlige Stimme raunzte: „Setzen!“

      Ryu setzte sich auf den winzigen Stuhl und schielte zum Schreibtisch hinauf, über dem die Staubwolke langsam zu Boden sank.

      „Was ist dein Anliegen, Schülerin?“, grollte die Stimme von oben herab, wobei der Direktor hinter sich griff, ein Bündel staubiger Blätter von einem Stapel nahm und damit begann, sie in fliegender Hast umzublättern und danach jedes einzelne Blatt über die Schulter warf. Jetzt war Ryu absolut sicher, dass sie nie wieder einen so merkwürdigen Schuldirektor zu Gesicht bekommen würde.

      Ryu riss sich zusammen und atmete tief durch, es war viel geschehen, aber nun würde alles wieder in Ordnung kommen. „Sprich“, raunzte der Direktor, beugte sich über den Schreibtisch vor und schaute sie mit seinem schwarzen Auge an, wobei er das rote zukniff.

      „Also, ich wollte melden, dass ich an Ihre Schule überhaupt nicht hingehöre, man muss mich mit einer anderen Schülerin verwechselt haben, die man hier in der Schule erwartet hat. Es verhält sich nämlich so, dass ich ohne mein Zutun einfach in einen Zug geschubst wurde und der ist plötzlich losgefahren. Im Zug bin ich eingeschlafen. Als ich aufwachte, hielt der Zug. Ich bin ausgestiegen und weil außer einem kleinen Mädchen niemand auf dem Bahnsteig war, bin ich dem Hausmeister hierher gefolgt“, erklärte sie hastig.

      „Unerhört!“, grollte der Schuldirektor. „An dieser Schule ist noch nie jemand zufällig gelandet. Nein, Sie müssen hier richtig sein, so unhöflich, wie Sie Ihr Gespräch begonnen haben!!“ Der Direktor beugte sich wieder weit über den Schreibtisch vor und funkelte sie diesmal mit dem roten Auge wütend an. „Verraten Sie mir zuerst Ihren Namen, den Sie schon am Anfang hätten erwähnen müssen.“

      „Mein Name ist Ryu Etoile“, antwortete Ryu knapp und legte eingeschüchtert ihre zusammengefaltete Hände in den Schoß.

      „Ryu Etoile“, wiederholte der Direktor, griff hinter sich, nahm ein in blutrotes Leder gebundenes Buch von einem Stapel und legte es vor sich auf den Schreibtisch. Dann blätterte er mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit eine Seite nach der anderen um, bis er inne hielt. „Wie ich es mir gedacht habe, Sie sind in unseren Akten vermerkt, hier steht es! Ryu Etoile, Alter 17, Geburtsdatum 24.12.1997, Schulgebühren bezahlt.“ Er beugte sich so weit über den Schreibtisch zu Ryu hinab, dass sie fürchtete, er würde sie mit seinem spitzen Kinn durchbohren.

      „Nein, das kann nicht stimmen, das ist völlig unmöglich“, stammelte Ryu.

      „Sind Sie nicht Ryu Etoile?“

      „Doch, die bin ich, aber ich habe kein Schulgeld oder dergleichen bezahlt!“, schrie Ryu und ein kalter Schauer rieselte ihren Rücken hinunter.

      „Also, Frau Etoile, erstens habe ich sehr gute Ohren und Sie brauchen nicht zu schreien“, raunzte der Direktor wütend und sah Ryu mit einem durchdringenden Blick an. „Und zweitens steht hier, dass ein Herr Stan...“ Er stockte und blickte zur Tür, wobei ein tiefes Grollen aus seiner Kehle stieg. Die Tür wurde aufgerissen und der große Mann im schwarzen Mantel, stürmte ins Büro. „Stan Lucifer hat deine Schulgebühren bezahlt, und du, Ryu, du musst jetzt in den Unterricht“, sagte er, packte Ryus Arm und riss sie von ihrem Zwergenstuhl.

      Der Direktor nickte ihm grimmig zu. „Ja, ja, Unterricht, Unterricht!“, grollte er und schlug mit der Faust auf den Tisch, worauf er in der Staubwolke verschwand, die sein Schlag aufgewirbelt hatte.

      Der unheimliche Mann zerrte Ryu aus dem Zimmer des Direktors und warf die Tür krachend hinter sich zu.

      „Moment, wer sind Sie überhaupt? Ich kenne Sie doch gar nicht!“, schrie Ryu ihn an und versuchte sich von ihm loszureißen.

      „Ich bin Stan Lucifer“, erwiderte der Mann knapp und drückte Ryus Arm so fest, dass es ihr Schmerzen bereitete.

      „Aber wieso haben Sie mein Schulgeld bezahlt? Niemand hat Sie darum gebeten! Und meine Erlaubnis hatten Sie dafür auch nicht! Ich will auf keinen Fall in dieser Schule bleiben! Wenn Sie mich dazu zwingen, zeige ich Sie bei der Polizei wegen Freiheitsberaubung an!“, fauchte Ryu den Mann an. Der zog nur die schwarzen Augenbrauen hoch und lachte höhnisch und gellend auf. Im langen Flur öffneten sich einige Türen und bleiche Gesichter starrten zu ihnen hinüber.

      „Kannst du dir vorstellen, dass es mir vielleicht einfach nur Spaß macht, dich leiden zu sehen?“, fragte er grinsend und seine grauen Augen bekamen einen roten Schimmer.

      „Sie sind ja pervers, und verrückt sind Sie auch! Ich bleibe keinen Moment länger hier! Ich gehe!“, schrie Ryu, stampfte zornig auf den Boden und riss sich los.

      Stan versperrte ihr den Weg. Er kreuzte die Arme über der Brust, das Grinsen verschwand von seinem Gesicht, durch das ein Zucken lief, als verkrampften sich seine Gesichtsmuskeln. Ryu wich zurück, sie hatte in einen Abgrund aus Hass geschaut „Wenn du jetzt gehst, bringe ich dich um, und glaub mir, ich liebe es zu töten“, sagte er mit sanfter Stimme und schaute mit großem Ernst auf Ryu hinab.

      Ryu war klar, dass sie sich entscheiden musste. Als sie dem Mann, der sich Stan Lucifer nannte, in die Augen blickte, erschauerte sie. Konnte es sein, dass dieser Mann wirklich