Blut zu Blut. Janaina Geismar. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Janaina Geismar
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847611301
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zu.

      Als das fahle Licht der Lampe sie erfasste, entpuppten sie sich als drei schwarze Hunde. Es waren große Hunde, so groß wie Deutsche Doggen, und sie hatten rote Augen, was untypisch für Hunde ist. In einiger Entfernung blieben sie stehen und fixierten die beiden Mädchen, weiter schienen sie sich nicht heran zu wagen. Plötzlich spürte Ryu eine Berührung an ihren Arm. Larea hatte sich an sie gelehnt und ihre weit aufgerissenen Augen waren voller Angst. Mit einer furchtsamen Geste zeigte das kleine Mädchen auf die großen schwarzen Tiere.

      Die Hunde hatten die Köpfe gesenkt, sie scharrten mit den Pfoten, ihr Nackenhaar sträubte sich, der Wind trieb Schaum und Seiber von ihren Lefzen. Ryu rechnete damit, dass diese Bestien im nächsten Moment los rennen und sie zerfleischen würden. Doch plötzlich spitzten sie ihre Ohren, sprangen herum und starrten gespannt in den Wald. Es dauerte eine Weile, dann teilte sich das Buschwerk, eine hohe vornüber gebeugte Gestalt trat ins Freie. Ihre Kleidung war schwarz, so dass man sie nicht genau erkennen konnte. Die Gestalt kam schnellen Schrittes näher. Als eine Kaskade von Blitzen ein gleißendes Spinnennetz über den Himmel warf, konnte man Einzelheiten erkennen. Es war ein großer knochiger Mann, er hatte eine Glatze, seine Augen waren wie große schwarze Löcher, so als würde die Pupille die ganze Iris und die Hornhaut bedecken.

      Auf seiner linken Gesichtshälfte verlief eine große gezackte Narbe, die über das Auge reichte. Aus seinen breiten Schultern ragte ein kurzer, stiernackiger Hals, auf dem ein kantiger Schädel thronte. Die drei Hunde liefen zu ihm, sprangen um ihn herum und wedelten mit den Schwänzen.

      „Man hat mich geschickt, um euch abzuholen“, grollte eine tiefe Stimme. „Mein Name ist Surebrez Gate, ich bin der Hausmeister eurer neuen Schule. Diese drei Wölfe hier sind meine Assistenten, ich rate euch, ihnen nicht zu nahe zu kommen. Nun folgt mir, es ist schon spät und der Unterricht beginnt morgen schon recht früh.“

      Ohne die Reaktion der beiden Mädchen abzuwarten, machte der seltsame Mann auf dem Absatz kehrt und schritt, gefolgt von den drei Wölfen, auf den Wald zu. So, als sei es eine Selbstverständlichkeit, nahm Larea ihre Tasche, kletterte vom Bahnsteig und folgte dem Mann.

      Ryu war unschlüssig, bei dem Gedanken an den furchtbaren Mann, den grässlichen Wölfen und dem finsteren Wald schauderte sie. Aber die Alternative war, einsam und allein auf diesem öden Bahnsteig zu bleiben. Als die Ratten begannen, übereinander zu springen und so aus dem Bahngleis drangen, packte sie ihren Koffer und rannte Larea nach. Sie achtete nicht auf die hohen Disteln, die ihre Beine zerkratzen, denn sie wollte den Hausmeister und Larea noch vor dem Waldrand erreichen, was ihr in letzter Sekunde gelang.

      Jetzt liefen die Wölfe voraus. Sie schienen jeden Meter des Waldes gut zu kennen. Ryu konnte keinen Weg, nicht einmal einen Trampelpfad erkennen. Die Stämme der Bäume waren nass und glänzten, wenn der rote Vollmond durch das Sturmgewölk am Himmel lugte, wie mit Blut besprüht. Als sie eine schmale Lichtung überquerten, hielt Ryu kurz an und starrte hinauf zum roten Vollmond. Sie war sicher, einen solch ungewöhnlichen Mond zuvor schon einmal gesehen zu haben, aber sie erinnerte sich nicht, wann und unter welchen Umständen.

      Wenige Meter hinter der schmalen Lichtung, gab ihnen Surebrez Zeichen anzuhalten. Ryu bemerkte einen mehr als fünf Meter hohen Zaun, dessen Krone mit Stacheldrahtrollen behangen war. Eine Tür oder wenigstens einen Durchlass konnte Ryu nirgends entdecken. Der Hausmeister griff in seine Jackentasche und holte einen schwarzen, vielfach gezackten Stein hervor. Sobald er den Stein an den Zaun hielt, geschah etwas Merkwürdiges. Der Stein wurde hell und leuchtete wie weißes Feuer. Er ging den Zaun ab, bis der Stein aufhörte zu leuchten, und tippte dort gegen den Zaun.

      Mit einem leisen Surren öffnete sich der Zaun. Ohne zu zögern und als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, ging der Hausmeister durch die Lücke. Dann winkte er den beiden Mädchen, ihm zu folgen. Als Ryu durch die Lücke ging, lief ein schmerzhaftes Kribbeln durch ihren ganzen Körper, und sie merkte, wie sich das Haar auf ihrem Kopf senkrecht stellte. Zum Schluss folgten die Wölfe. Sie machten sich ganz flach, legten die Ohren an und jaulten leise. Es war ihnen sichtlich unangenehm, die Lücke im Zaun zu passieren. Kaum waren alle hinter dem Zaun, als er im Bruchteil einer Sekunde zuschnappte und sich schloss, was Ryu an die Blüte einer fleischfressenden Pflanze erinnerte, wenn sie ein Insekt gefangen hat.

      Der Platz hinter dem Zaun war neblig und der Boden bestand aus Schlamm, in dem die Füße tief einsanken und der das Vorankommen beschwerlich machte.

      Sie marschierten eine gefühlte Ewigkeit und auf verschlungenen schmalen Wegen voran. Dann passierten sie einen See, dessen Steilufer mit übel riechenden schleimigen Pilzen bewachsen war. Eine Schaumspur und Wellenlinien durchzogen das schwarze Wasser, als würde etwas Großes darin schwimmen.

      Wenig später hielten sie in den Schatten eines riesigen Gebäudes an. Es hatte die Form eines neugotischen Schlosses mit himmelragenden, spitzen Türmen, deren einzelne Teile mit abgründigen Brücken verbunden waren. Zwischen den Flügeln des Gebäudes waberten Nebelfetzen, so dass Ryu sich keinen Gesamteindruck verschaffen konnte. Aber was sie erblickte, war unheimlich und nicht gerade einladend.

      An manchen Vorbauten hingen kleine zierliche Kreaturen herunter, die wie Fledermäuse aussahen. Dann huschte aus einer nahen hohen Wiese ein Dutzend Ratten hervor und beschnupperte ihre Schuhe. Sie ließen sich auch nicht stören, als die Mädchen nach ihnen traten, wichen ein paar Meter zurück und rannten sofort wieder auf sie zu, sobald sich die Mädchen ruhig verhielten.

      Surebrez öffnete mit einem langen Schlüssel ein hohes Tor, das sich knarrend und nur schwer öffnen ließ. Hinter der Tür stand ein Mann, der in einen schwarzen Mantel gehüllt war. Ryu erkannte ihn sofort. Das war der Mann, der unter dem Baum vor dem Krankenhaus gestanden hatte. Sie starrte ihn mit Entsetzen an und bemerkte erst jetzt, wie groß er eigentlich war. Seine Augen waren gefühllos und grau und ohne jede Spur von Blau- oder Brauntönen. Auf seiner Schulter saß eine Ratte, die sich gerade putzte. Er starrte Ryu ins Gesicht und machte dann schweigend Platz, damit die Ankömmlinge passieren konnten. Surebrez betrat als Erster den Innenraum, Larea und Ryu folgten ihm. Die Wölfe blieben draußen und rannten davon.

      Vor ihnen lag ein langer blutig roter Teppich, der eine breite Treppe nach oben bedeckte. Surebrez warf dem Mann im schwarzen Mantel einen bösen Blick zu und stieg ächzend die Treppe hinauf. Larea und Ryu folgten ihm. „Da hinein“, sagte Surebrez und zeigte auf einen schmalen dunklen Gang. „Dort ist euer Zimmer, es hat die Nummer 13, sie steht auf der Tür. Im Zimmer packt ihr eure Sachen aus, räumt sie in die Schränke, wascht euch und geht zu Bett. Morgen ist um fünf Uhr Wecken, es bleibt euch nicht viel Zeit, denn der Unterricht beginnt bereits um sechs Uhr. Lageplan der Schule und euer Stundenplan befinden sich auf eurem Zimmer. Ich würde mich beeilen, zu eurer Information, es ist bereits drei Uhr morgens.“

      Ryus Augen weiteten sich, sie hatten nur zwei Stunden Schlaf? Was sollte denn das für eine Schule sein? Larea nahm es gelassen und schlenderte summend den Gang entlang. Ryu warf dem Hausmeister einen letzten Protestblick zu und rannte ihrer Zimmergenossin nach. In dem schmalen Flur war es fast dunkel, es roch muffig, von der Decke hingen Spinnweben und jeder ihrer Schritte wirbelte Staubwolken auf. Larea blieb an einer Tür stehen und starrte sie an. Auf die Tür war mit blutroter Farbe eine riesige 13 geschmiert worden. Sie öffnete die Tür und schaltete das Licht an. Vor ihnen lag ein schmales Zimmer, an einer Wand ein Hochbett, ihm gegenüber zwei schmale Kleiderschränke, in einer Ecke war ein winziges Bad mit Dusche und WC abgetrennt. Sie gingen hinein, stellten ihr Gepäck ab und packten ihre Sachen in die beiden Schränke.

      Larea wählte wortlos das obere Bett, kletterte hinauf und kroch sofort unter die Decke.

      Ryu setzte sich auf das Bett, das bei der kleinsten Bewegung lautstark knarrte. Das Bettzeug war feucht und roch unangenehm. Überhaupt machte das ganze Zimmer einen lieblosen Eindruck wie das Zuhause für ungebetene Gäste, die man schnell wieder los werden will. Ryu war überhaupt nicht müde und versuchte erst gar nicht einzuschlafen, stattdessen nahm sie die Pläne zur Hand. Die Schule war riesig, sie hatte viele Nebengebäude, die durch endlose Flure miteinander verbunden waren. Sie würde sich niemals alles merken können.

      Draußen ertönte lautes Geheul, die drei Wölfe schienen ganz in der Nähe herum zu streunen. Als nächstes studierte sie den Stundenplan,