Blut zu Blut. Janaina Geismar. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Janaina Geismar
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847611301
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neben Ryu saß eine junge Frau mit feuerroten Haar, sie schien genervt zu sein und klimperte immer hektischer mit den Wimpern und hämmerte ihre langen, krallenartigen Fingernägel permanent auf die Tischplatte. Der Kerl neben ihr bekam ständig Lachanfälle, er besaß ebenfalls rote Haare und eine so spitze dünne Nase, dass man Angst bekam, man könne sich daran schneiden.

      Der undichte Typ vor ihr gluckste nun unüberhörbar laut und spuckte großen Mengen Wasser, wenn Ryu sicher gewesen wäre, dass er ein normaler Mensch sei, würde sie sofort den Notarzt geholt haben.

      Der Einführungsunterricht war endlich vorbei und die Schüler stürzten unter Fauchen, Knurren und Gekreisch wie ein wilde Meute aus dem Klassenzimmer. Ryu legte ihre Hände in den Schoß und verschränkte ihre Finger ineinander, sie war sich unsicher. wie sie sich verhalten sollte, denn Gekreisch und Gezappel waren nicht ihr Ding.

      „Hey, sollen wir zusammen essen gehen?“, fragte Kronos, der wie sie noch auf seinen Platz saß.

      „Äh, ja von mir aus“, antwortete Ryu, stand auf und folgte Kronos, der in einen merkwürdigen Zuckeltrab verfiel und dabei seltsam mit den Armen schlackerte.

      In der Caféteria herrschte ein ohrenbetäubender Lärm, mehr als hundert Schülerinnen und Schüler tummelten sich an den Tischen und vor der Theke, von der von Ryus Klassenlehrer so viel gepriesenen Disziplin war wenig zu spüren. An einem der Tische riss sich ein Rudel halbwüchsiger Schüler an den Hundeohren und bissen sich in den Nacken, während andere ihre Münder tief in ihre Teller gesteckt hatten und Essensbrocken zur Seite spritzten. An anderen Tischen stahlen sich Schüler das Essen aus den Mündern, Teller und Tassen wurden umgestoßen, man watete ständig durch Pfützen und Essensreste.

      Kronos schien das alles nicht sonderlich zu stören. Er umkurvte elegant alle Hindernisse, wobei er Ryu an der Hand hinter sich her zur Verkaufstheke zog. Dort steckte er den Kopf in die großen Töpfe und schnüffelte. Ryu fand die Speisen, die in den Töpfen staken, so ekelig, dass ihr Anblick allein sie würgen ließ. In einigen Töpfen schwappte glitschige stinkende braune Soße, in der blutige Fleischklumpen schwammen, in anderen war gelber Glibber, in dem fingerdicke weiße Maden steckten, in Kesseln dampfte ein Brei aus wurmartigen Gebilden, in Schüsseln häuften sich grüne Schneckenköpfe mit langen blauen Fühlern. Und es gab auf vorgewärmten Tellern gefüllte Augen, gebratene Ohren oder in langen Kupferschalen ganze blutige Gliedmaße von Tieren wie Arme und Beine. Und ganz am Ende der Theke lag auf einem ovalen Silbertablett ein riesiger marinierter Büffelkopf, in dessen leeren Augenhöhlen zwei panierte Käfer steckten.

      Der Anblick dieser Gerichte und ihre Gerüche waren so schlimm, dass Ryu ihre ganze Konzentration und Willensstärke brauchte, um sich nicht auf die Theke zu übergeben. Selbst wenn die Alternative Verhungern gewesen wäre, sie hätte keinen Bissen davon heruntergebracht. Kronos hingegen leckte sich hungrig die Lippen und schnippte aufgeregt mit den Fingern. Eine fette Frau in einem geblümten schmuddeligen Kittel, um den Kopf ein blutbeflecktes Handtuch zum Turban gebunden, watschelte aus der Küche zur Theke. Sie hatte eine breite Schweinenase und aus ihren Backen und unter ihrem Kinn sprossen dicke graue Borsten. Sie hielt sich mit dem Daumen ein Nasenloch zu und prustete aus dem anderen einen dicken Schleimbrocken hervor, der in einen der Töpfe mit gelbem Glibber platschte. „Was darf es sein, junger Mann?“, grunzte sie und wischte die Kelle an ihrer dreckigen Kittelschürze ab.

      „Die Suppe“, sagte Kronos knapp. Dabei zog er ein Gesicht, als würde er nicht alle Angebote auf der Theke appetitlich finden.

      „Alles klar“, grunzte die fette Frau, tunkte die Kelle in den Topf mit der braunen Brühe und füllte damit einen verkrusteten Teller randvoll, der wahrscheinlich noch nie Wasser, geschweige denn Spülmittel gesehen hatte. Kronos nahm sich einen Löffel und balancierte seine Portion vorsichtig durch das Chaos.

      Ryu war ihm voraus geeilt und setzte sich auf einen von zwei freien Plätzen an einen der Tische und winkte Kronos zu sich her. Aber bevor er den Tisch erreicht hatte, nahm ein anderer Kerl neben ihr Platz. Er stützte den Ellbogen auf die Tischplatte, legte den Kopf in die Hand und blickte Ryu tief in die Augen, so als sei er sich seiner Wirkung auf Mädchen bewusst. Er hatte rotbraune Augen und seine Haare hatten die selbe Farbe. Seine Augen glänzten so stark, als brenne in ihnen ein Feuer. Seine Haut war leicht gebräunt und makellos rein. Ryu wollte sich eigentlich von ihm weg drehen, aber eine unwiderstehliche Anziehungskraft ging von ihm aus, die sie zwang, in seine Augen zu schauen.

      „Hey, wie heißt du?“, fragte er mit einer sanften Stimme, die sofort jede Sorge verfliegen ließ und Ryus Herz leicht wie eine Feder machte.

      „Ryu...“, flüsterte sie und wäre am liebsten in seine Arme gesunken und hätte alle Sorgen vergessen, den Krankenhausaufenthalt, die Amnesie, diese Schule, Stan... einfach alles. „Ryu... ein schöner Name, er klingt wie Musik. Ich heiße Kitsune“, sagte der Junge und setzte ein betörendes Lächeln auf, das vielleicht eine winzige Spur zu weibisch war. Plötzlich wurde Ryu aus ihren Träumen gerissen, etwas knallte neben ihr auf den Tisch und braune Spritzer bekleckerten Kitsunes Gesicht. Kronos war zurückgekommen und hatte seinen Teller unsanft auf dem Tisch abgestellt. Er starrte Kitsune finster an und ballte die Fäuste.

      Kitsune schien keine Spur beeindruckt, wischte die Spritzer brauner Soße aus dem Gesicht und lächelte spöttisch. „Diese furchtbare Suppe zeugt nicht gerade von gutem Geschmack. Aber was soll man von einem Hybrid wie dir schon anderes erwarten?“, sagte Kitsune und kicherte, wobei er sich ziemlich geziert wie ein Mädchen die Hand vor den Mund hielt. Dann wandte er sich wieder Ryu zu und tätschelte gönnerhaft ihre Hand.

      „Was will denn ein solch reines wunderschönes Wesen wie du mit einem Hybrid, der ärmer als ein menschlicher Penner ist?,“ fragte er Ryu und streichelte sanft mit einem Finger Ryus Wange. Ryu fühlte sich wie das Meer, über das ein lauer Sommerwind weht. Ryu war sich zwar bewusst, dass Kitsune offensichtlich ein ziemlich aufdringlicher Aufreißer war, trotzdem konnte sie ihm keinen Korb geben, und seine magische Anziehungskraft zwang sie, sein zuckersüßes Lächeln zu erwidern.

      Endlich schien Kronos seine Fassung wiedergefunden zu haben. „Ryu, pass lieber auf, dass dir dieses pelzige Vieh nicht zu nah auf die Pelle rückt! Bestimmt hat dieser widerwärtige Schleimer Flöhe oder sogar die Räude“, fauchte Kronos, stemmte beide Hände auf den Tisch, kniff die Augen bis auf einen Spalt zusammen und fixierte Kitsune angriffslustig. „Wer weiß, vielleicht ist er noch nicht einmal gegen Tollwut geimpft“, fügte Kronos hinzu.

      „Wenn ich du wäre, würde ich lieber aufpassen, dass meine Federn nicht von Federlingen befallen werden, die dich bei lebendigem Leibe auffressen!“, keifte Kitsune in Richtung des aufgebrachten Kronos, worauf sich dessen Kopffedern senkrecht stellten.

      „Hey, Moment, hört auf zu streiten“, ging Ryu dazwischen und versuchte die beiden mit beschwichtigenden Gesten zu beruhigen. Wie die sich benahmen, würden sie sich bestimmt die Köpfe einschlagen. Das hätte Ryu gerade noch gefehlt und würde ihre Situation gewiss nicht leichter machen.

      Die beiden Streithähne wurden still und beschränkten sich darauf, ihren Kampf per Augenkontakt auszutragen. Ryu jedenfalls fand, egal ob Mensch oder Monster oder ganz andere Wesen, sie benahmen sich wie pubertierende Jungs. Kronos löffelte schweigend seine Suppe, die eher aussah wie Jauche und auch so ähnlich roch, was Kitsune schadenfroh grinsend beobachtete. Er weidete sich offensichtlich daran, wie angeekelt Kronos mit dem Fraß in seinem Teller kämpfte.

      Kitsune und Ryu waren die Einzigen in der Caféteria, die nichts aßen. Zu ihrem Glück schien das niemandem aufzufallen. Die meisten anderen futterten mit großer Inbrunst oder beträchtlicher Gier, sie hatten offensichtlich nichts an den Speisen auszusetzen, und ihr Schmatzen und Rülpsen bewies, dass es ihnen vorzüglich schmeckte. Als Ryu bemerkte, wie eine Gruppe von Schülern an einem der Nachbartische ihre Zähne in den großen Büffelkopf schlugen und Fleischfetzen heraus rissen, wandte sie ihre Blicke schnell ab, damit ihr nicht wieder schlecht wurde.

      „Wir haben gleich Sport und sollten uns umziehen“, sagte Kronos mit vollem Mund. „Stimmt, wir müssen uns umziehen“, pflichtete ihm Kitsune bei und sah Ryu mit einem verführerischen Blick tief in die Augen.

      Das war Kronos nicht entgangen. Er warf seinen