Blut zu Blut. Janaina Geismar. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Janaina Geismar
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847611301
Скачать книгу
zu können. Doch sie hatte keinen Erfolg, die Wände waren viel zu rutschig und sie fiel immer wieder ins Wasser zurück. Das Wasser tränkte ihren Pelz und machte ihr das Springen immer schwerer.

       Einer ihrer Artgenossen schaffte es auch in den dunklen Raum und sie kletterte auf sie. Nun war sie nicht mehr im Wasser und konnte mit voller Kraft springen. Es gelang ihr, sich an einem Vorsprung festzukrallen, und sie drückte den Kopf gegen die Decke.

       Die Decke gab nach und sie schob ihren Kopf durch den Spalt, der sich vor ihr auftat.

       Draußen fand sie festen Halt und zog den ganzen Leib aus der Enge. Sie fiel und landete auf trockenem Boden.

       Sie war klitschnass, aber sie nahm sich keine Zeit, sich zu trocknen und zu putzen, sondern lief sofort weiter.

       Mit weiten Sätzen folgte sie einem Duft, dem Duft einer jungen Frau, der immer intensiver wurde. Plötzlich prallte sie gegen etwas Weiches und beschloss, daran hoch zu klettern. Oben angekommen berührten ihre empfindlichen Pfoten etwas Flauschiges, es fühlte sich gut an, daraus könnte sie einen schönen Schlafplatz bauen, doch dafür war jetzt nicht die richtige Zeit. Die Ratte kroch unter weichen Stoff, da war es warm und kuschelig. Dann stieß sie gegen den nackten Arm einer Kreatur, die nicht ihrer Art angehörte. Da musste sie hin und sie schnüffelte, bis sie das gefunden hatte, wonach sie suchte, und biss hinein.

      Kapitel 5

      Ryu schrak auf und fühlte einen grässlichen Schmerz in ihrem Arm, als sie ihn reflexartig zur Seite schlug, fiel etwas herunter.

      Sie schaute auf den Boden und sah etwas Pelziges davon huschen, das schnell ins Bad rannte.

      Sie fasste sich an den Arm und fühlte etwas Warmes, das über ihre Hand floss. Schnell sprang sie aus dem Bett und machte das Licht an.

      Das, was sie sah, schockierte sie, ihr Arm blutete stark. Sie presste den Handballen auf die Wunde, doch das Blut sickerte unaufhörlich darunter hervor. Schnell lief sie ins Bad und legte ihren Arm, unter den Wasserhahn. Der Wasserstrahl wusch das Blut ab, das weiße Waschbecken färbte sich rot. Schließlich floss der Blutstrom nur noch langsam und verdünnte sich zum Rinnsal, und Ryu holte ein sauberes Handtuch aus dem kleinen Wäscheschrank und wickelte es um die Wunde.

      Das kleine pelzige Tier musste sie wohl gebissen haben, hoffentlich war es nicht krank, dachte Ryu. Als sie das Handtuch wegnahm, fiel ein kleiner blutverschmierter Gegenstand zu Boden. Sie hob ihn auf und hielt ihn unter den Wasserhahn, um ihn zu säubern.

      Das Ding sah wie ein kleiner grüner Chip aus mit goldenen angelöteten Drähten.

      Ihr Arm hörte vollends auf zu bluten. Die Wunde war klein und lag genau an der Stelle, wo die Narbe gewesen war. Ryu konnte sich keinen Reim darauf machen. Sie legte den Chip auf den Tisch neben ihrem Bett ab. Schlafen konnte sie nicht mehr, doch anstatt sich hinzulegen, um es wenigstens zu versuchen, ging sie ans Fenster. Der Nachthimmel war wolkenlos und zeigte Tausende strahlende Sterne. Dieser Anblick beruhigte sie. Als die Schmerzen in ihrem Arm ganz verschwunden waren, öffnete Ryu das Fenster, um mit der Nachtluft ihr heißes Gesicht zu kühlen. Sie genoss die frische Brise, die ihr Gesicht streichelte. Langsam wurde der Himmel heller, ein neuer Tag kündigte sich an. Sie streckte ihren verwundeten Arm durch das Gitter und griff ins Nichts. Gegen das fahle Licht des frühen Morgens hoben sich am Himmel schwarze Vögel ab. die in die Höhe flogen. Ryu betrachtete diese Vögel. Ihr Federkleid war matt schwarz. Sie stießen heisere Krächzlaute aus. Ryu nahm an, das die Vögel Krähen waren.

      Einzelne dieser Vögel hätte man in diesem Zwielicht kaum bemerkt, aber in dieser Masse und bei dem Lärm, den sie veranstalteten, waren sie nicht zu übersehen. Ryu fasste an das Gitter, es war kalt, obwohl es draußen so angenehm warm war. Als sie zu dem Baum hinüber schaute, aus dem der Krähenschwarm aufgeflogen war, erschrak sie. Dort stand derselbe Mann, den sie gestern dort gesehen hatte. Erneut fühlte sie sich von seinem Blick fixiert. Sie ging einen Schritt zur Seite und die ausdrucksvollen grauen Augen des Mannes folgten ihren Bewegungen. Der Mann selber rührte sich nicht, an seinem schwarzen Hosenbein kletterte eine Ratte hinauf und immer höher bis auf seine Schulter. Seine schwarzen Haare streiften die Ratte im Wind. Seine Mundwinkel umspielte ein leichtes Grinsen, das Ryu Angst machte. Die Krähen stoben am Himmel auseinander und flogen panisch hin und her.

      Voller Angst wich Ryu einen Schritt zurück. Hinter ihr flog die Zimmertür auf. Ryu wirbelte herum und erkannte Anna. Das Mädchen hatte die Augen weit aufgerissen, es atmete schwer. Dann rannte Anna auf Ryu zu, packte sie am Arm und riss sie vom Fenster weg.

      Anna zog Ryu hinter sich her und rannte nach draußen. „Was ist denn mit dir los?“, fragte Ryu, doch Anna antwortete nicht. Das Mädchen hielt Ryus Handgelenk so fest, dass es schmerzte. Sie rannten durch die Flure des Krankenhauses, sie waren menschenleer, das Echo ihrer Schritte hallte gespenstisch von den gekachelten Wänden wider. Niemand ließ sich blicken. Auch die Pförtnerloge in der Eingangshalle war nicht besetzt.

      Draußen angekommen bekam Ryu mit einem Schlag hämmernde Kopfschmerzen und fasste sich an die Stirn. Plötzlich saß sie auf der Rückbank eines Autos. Das Geschehen kam ihr bekannt vor, die Frau, die sich zu ihr umdrehte, das Gesicht, das sie nicht erkennen konnte, das alles hatte sie so oft gesehen. Doch plötzlich verschwamm das Bild und es wurde heller rings um sie her, immer heller, alles war weiß. Ein neues Bild erschien. Sie stand auf einer Wiese, ein bekannter Duft umhüllte sie.

      „Ryu...“, flüsterte eine Frauenstimme, sie kannte diese Stimme, doch sie wusste nicht mehr woher. Ein warmes Gefühl machte sich in ihr breit, als sie von hinten umarmt wurde, doch es hielt nicht lange an und wurde von einer tiefen Trauer verdrängt. Eine beißende Kälte zog in ihr Herz ein, etwas brodelte um ihre Füße, die Wiese wurde mit Blut getränkt. Der Himmel verdunkelte sich, bis er schwarz war. Das Einzige, was sie vernahm, waren Schreie, fürchterliche Schreie. Es roch nach Tod, immer stärker, nur nach Tod!

      Als Ryu wieder zu sich kam, war ihr klar, dass alle diese schrecklichen Dinge sich nur in ihrem Kopf abgespielt hatten. Sie war mit Anna draußen auf der Straße. Sie lag am Boden. Anna beugte sich über sie und schrie sie an. Zunächst verstand Ryu kein einziges Wort, als rede Anna in einer fremden Sprache, die wie Wurfgeschosse auf sie hinab prasselten. Dann ordneten sich die Wörter in ihrem Kopf neu und verständlich.

      „Endlich bist du wach! Schnell, schnell, steh auf, wir müssen weiter“, rief sie.

      Ryu wollte gerade protestieren, doch ihre Zähne knallten aufeinander, als Anna sie mit einem kräftigen Ruck auf die Füße zog, um sie weiter hinter sich her zu zerren.

      In Ryus Gedanken spukten so viele drängende Fragen herum, dass sie das Gefühl bekam, ihr Kopf müsse zerspringen. Sie wusste nur eins, sie brauchte Zeit und Ruhe, um Antworten zu finden.

      Sie versuchte sich von Anna loszureißen und stürzte, Anna riss sie mit zu Boden. Ryu verletzte sich am Knie, doch sie spürte keinen Schmerz, zu viel Adrenalin war in ihren Körper gepumpt. Als sie um sich blickte, erschrak sie, sie befanden sich auf einem großen Platz. Der ganze Boden vor ihr war schwarz, pechschwarz. Hunderte Krähen hatten sich dort niedergelassen und machten einen höllischen Lärm. Ryu stand mit Mühe wieder auf und machte einen Schritt auf die Vögel zu. Keiner der Vögel rührte sich von seinem Fleck. Sie sperrten die Schnäbel auf und kreischten sie an. Sie ging immer weiter bis sie in der Mitte der Horde Krähen stand. Sie fühlte kneifende Kälte, die an ihren Beinen empor kletterte. Ihre Pupillen erweiterten sich, sodass auch nur wenige Sonnenstrahlen sie blendeten. Anna stand am Rand des Krähenschwarms und schaute lauernd zu ihr hinüber, ihr Blick war starr und gefühllos. Als ein Kind kreischend auf die Krähen zu rannte, flogen alle mit doppelter Lautstärke in die Höhe. Die Sonne war komplett bedeckt von ihren schwarzen Leibern und ein riesiger Schatten breitete sich aus. Der Anblick ähnelte einer Sonnenfinsternis. Es regnete Krähenfedern hinunter, alle Menschen staunten und starrten in den Himmel. Ryu fürchtete, der riesige Schatten über ihr könne durch ihre Augen in sie eindringen, und tatsächlich fühlte sie wie dunkle Schleier der Angst in ihr umher waberten. Jede der schwarzen Federn, die über ihr zu Boden sanken, war wie ein schwarzer