Blut zu Blut. Janaina Geismar. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Janaina Geismar
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847611301
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waren sie die Herrscher. Und sie würden es auch dort oben sein, wenn eines Tages die Schatten das Licht besiegt hatten.

      Über ihnen krächzten erneut die schwarzen Vögel, sie flogen auf das Krankenhaus zu und umkreisten es. In ihren Blicken lag viel Zuversicht, sie würden wieder ihren Glanz bekommen, denn das Gleichgewicht von Licht und Schatten war dabei, sich der dunklen Seite zuzuneigen.

      Es gab nur noch eine Möglichkeit, dem zu entkommen.

      Ein Mann eilte den Weg entlang, die Schöße seines langen schwarzen Mantels wehten gespenstisch hinter ihm her. Er ging auf den Toten zu, der Anblick gefiel ihm so sehr, dass er freudig in die Hände klatschte. Das Gesicht des Toten war zu einem blutigen Klumpen geschrumpft, in dessen Mitte die Augenhöhlen wie zwei Einschusslöcher leer gähnten.

      Der Mann flüsterte ein paar Worte, diese wurden durch den Wind getragen.

      „Diese armselige Kreatur, wie alle dieser Art, konnte noch nie wirklich sehen, also wozu brauchen diese Leute ihre Augen? Etwa nur, um ein Trugbild ihrer selbst zu betrachten?“

      Er machte einen Schritt um den Jungen herum, die schwarzen Vögel versammelten sich um ihn.

      Er schaute nach oben, die Sonne blendete ihn, mit schnellen Schritten ging er in eine Gasse, in die kein Sonnenstrahl eindringen konnte, hinter ihm flogen die schwarzen Vögel her, bis sie ihn komplett einhüllten. Als sie dann kreischend davon stoben, war der Mann in ihrer Mitte spurlos und wie vom Erdboden verschluckt verschwunden.

      Die Sonne überzog die Stadt mit ihrem hellen Glanz. Die Singvögel sangen mit ihren lieblichen Stimmen und begrüßten den neuen Tag, doch unter der Stadt in der Kanalisation sammelten sich Tausende kleiner pelziger Tiere, das Heer der Ratten rannte rastlos durch die Finsternis.

      Die Ratten waren vollgefressen. Das Mahl der Meute war köstlich, warm und blutig gewesen. In der finsteren Kanalisation konnten sie nichts sehen, aber sie sahen auch am Tage schlecht. Duftspuren, die sie hinterlassen hatten, verrieten ihnen, ob der Weg sicher war und wohin es ging.

      An Stellen, wo sie Hindernisse überwinden und springen mussten, konnten sie anhand der Duftspur erkennen, wie weit sie springen mussten und welche Form und Ausmaße diese Hindernisse hatten.

      Doch heute folgten sie einer frischen Duftspur, einer, die ihnen einen neuen Weg nach oben zeigte. Sie endete in einem schmalen Rohr, den Rest des Weges mussten sie tauchend zurücklegen.

      Am Ende des Rohres angekommen, schlüpften sie in ein schattiges Versteck. Dort wollten sie warten, bis der Tag vorüber war und die Dunkelheit an der Oberfläche sie einhüllen und ihnen Schutz gewähren würde.

      Kapitel 3

      Ryu öffnete die Augen, dehnte und reckte ihre Glieder und stellte fest, dass sie sich immer besser bewegen konnte. Sie ging ans Fenster und bemerkte die Menschen und Fahrzeuge auf dem Vorplatz. Dort hatten zwei Polizeiautos und ein Krankenwagen gehalten.

      Zwei Männer trugen schnellen Schrittes eine Tragbahre, wer darauf lag, konnte sie nicht erkennen, da die Person in einem schwarzen länglichen Sack steckte. Die Männer gingen nicht besonders sorgsam mit der Bahre um und rüttelten den schwarzen Sack ziemlich heftig durch. Ryu schaute sich das Geschehen eine Weile an, dann wollte sie wieder zum Bett, als Frau Sorokin ihr Zimmer betrat.

      „Du bist aber schon früh wach“, sagte sie und ging zu Ryu ans Fenster.

      „Was ist denn da passiert?“, fragte Ryu, doch Frau Sorokin antwortete nicht und zog den Vorhang vor dem Fenster zu.

      „Nichts Besonderes, man bringt uns einen neuen Patienten. Nun setz dich erst mal und frühstücke. Du musst regelmäßig essen, damit du schnell wieder zu Kräften kommst“, sagte sie und stellte das Tablett auf den kleinen Tisch.

      „Wann sagt mir endlich jemand, was passiert ist?“, flüsterte Ryu und riss den Vorhang vor dem Fenster wieder auf. Das Dämmerlicht im Krankenzimmer machte ihr Angst. Frau Sorokin seufzte, nahm sich einen Hocker und setzte sich hin. „Eigentlich wollte der Doktor mit dir über deinen Unfall reden, aber so wie es aussieht, solltest du das besser jetzt erfahren,“ meinte sie und winkte Ryu mit einer herrischen Geste zu sich. Ryu setzte sich aufs Bett, sie war aus einem Grund, den sie selbst nicht zu nennen wusste, so aufgeregt, dass ihr Herz so heftig pochte, als wolle es ihr gleich aus der Brust springen.

      Frau Sorokin schlug ihre Beine über, ihr Minirock rutschte hoch und Haut legte sich auf Haut. Ihr Miene wurde ernst und ihre stahlblauen Augen fixierten Ryu so intensiv, dass Ryu ein kalter Schauer über den Rücken lief. Ihre blutroten Lippen, die einen extremen Kontrast zur kreideweißen Haut bildeten, bewegten sich langsam.

      „Deine Eltern wollten mit dir in den Urlaub fahren,“ sagte sie und senkte den Blick nach unten, als würde sie etwas verschleiern wollen.

      „Eine Krähe flog gegen die Windschutzscheibe, dein Vater hatte sich so erschreckt, dass er das Lenkrad verriss und den Wagen gegen einen Baum steuerte. Deine Eltern waren sofort tot und du lagst im Koma. Da wir bis heute keine Informationen haben, ob du irgendwelche Verwandte hast, wirst du noch eine Weile hier bleiben, bis uns neue Nachrichten vorliegen.“

      Ryu war geschockt, ihr Herz hatte einen gefühlten Aussetzer, in ihrem Kopf begann es zu hämmern und vor ihren Augen flimmerte es.

      Dann sah sie sich undeutlich und verschwommen in einem Auto, vor ihr saßen zwei Personen. Der Mann saß am Steuer, die Frau drehte sich um und fuhr sich nervös durch ihr blondes sprödes Haar. Das Gesicht der Frau konnte sie nicht erkennen, es war wie auf einem Foto , auf dem die Farbe an bestimmten Stellen verblichen war.

      Plötzlich ertönte ein dumpfer Knall und es wurde alles schwarz um Ryu.

      Danach sah sie nichts und hörte nichts, bis sie einen weißen Spalt entdeckte, sie bemerkte erst jetzt, dass ihre Augen bis auf schmale Sehschlitze geschlossen waren.

      Sie öffnete ihre Augen und grelles gleißendes Licht, das wie ein Messer in ihre Augen schnitt, blendete sie. Ryu blinzelte ein paar Mal, bis ihre Augen sich an das grelle Licht gewöhnt hatten, und stand auf. Ihre Beine zitterten leicht, es fiel ihr schwer, das Gleichgewicht zu halten.

      Wabernde Schatten zogen durch das Zimmer und verschwanden so plötzlich, wie sie eingedrungen waren. Ryu blinzelte noch einmal und erkannte, dass irgendetwas draußen vorbei geflogen sein musste, und ging schnell zum Fenster hin.

      Sie sah einen großen Baum mit vielen Ästen, darauf saßen unzählige Krähen, die einen Lärm machten, die den jeder Großbaustelle übertönen würde.

      Unter dem Baum stand ein Mann, sein Blick war auf Ryu gerichtet. Seine grauen gefühllosen Augen blickten vorwurfsvoll und anklagend, als habe Ryu eine schwere Schuld auf sich geladen. Er trug einen schwarzen langen Mantel, der vom Wind nach hinten geweht wurde. Sein schwarzes Hemd lang eng an seinem hageren Körper, an seiner schwarzen zerknitterten Hose zerrte der Wind. Die schwarzen zerzausten Haare fielen in sein Gesicht. Seine schmale Gestalt sah müde und erschöpft aus.

      Er wandte seinen Blick von ihr ab und ging davon, wobei alle Müdigkeit von ihm gewichen schien, denn sein Gang war geschmeidig und schwebend, als würden die Füße den Boden nicht berühren. Plötzlich flogen alle Krähen gleichzeitig auf, ihr schwarzes Gefieder verdunkelte mit einem Schlag den Himmel, so dass man glauben konnte, die Nacht sei plötzlich hereingebrochen. Die Vögel verdeckten für einige Sekunden die Sonne komplett wie eine kurze Sonnenfinsternis, aber das eigentlich Unheimliche war, dass in der tiefen Dunkelheit ihre Leiber zu einem einzigen pulsierenden Leib verschmolzen.

      Es wurde still, kein einziger Laut war zu hören. Ryu starrte in die Richtung, in die der Mann verschwunden war, doch der Erdboden schien ihn verschluckt zu haben.

      Sie ging wieder auf ihr Bett zu und setzte sich hin, sie dachte über alle Ereignisse nach, über die seltsame Krankenschwester, die gekleidet war, als würde sie zu einem Date gehen, der merkwürdige Arzt, der sich nicht blicken ließ, die unheimlichen Krähen und der Mann, der so anklagend zu ihr hinüber gestarrt hatte. Ryu schüttelte sich, es waren zu viele Informationen für ihren leeren Kopf und sie beschloss,