Blut zu Blut. Janaina Geismar. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Janaina Geismar
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847611301
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vor ihm und versperrte ihm den Weg. Aber diesmal bückte sich Kronos und schlüpfte durch seine Beine.

      Vor der Liege angekommen, zischte die junge Frau: „Ein Hybrid und ein Mensch, wie süß!“ Dann betastete ihre gespaltene Zunge Kronos Gesicht.

      „Ihr habt hier nichts zu suchen“, grollte eine tiefe Stimme.

      Alle schauten zum Eingang. Dort stand Stan, seine Augen glühten, und als er eine Hand zur Faust ballte, fing diese an zu qualmen. Die junge Frau duckte sich, stieß ein furchtsames Zischeln aus und schlängelte sich aus dem Zelt. Ihr Begleiter ließ die Luft ab, machte sich ganz klein und trat ebenfalls den Rückzug an.

      Ryu fiel vor Erstaunen die Kinnlade herunter. Sie hätte mit jedem Anderen gerechnet, aber nicht damit, dass ausgerechnet Stan sie aus ihrer misslichen Lage befreien würde. zumal sie sicher war, dass dieser Stan ganz genau wusste, dass sie ein Mensch und nicht eine dieser seltsamen Bestien war, die nur unvollkommen eine menschenähnliche Gestalt angenommen hatten. Wahrscheinlich wollte er nur, dass dieses böse gemeine Spiel, das er mit ihr trieb, nicht so schnell endete.

      Kronos schien ebenso geschockt zu sein wie Ryu, denn jetzt fixierten ihn Stans Augen, und sie glühten, als brodelte die Hölle in ihnen. Aber Kronos hielt diesen tödlichen Blicken stand.

      Plötzlich erlosch das Höllenfeuer in Stans Augen, sie wurden matt grau und farblos. Seine Fäuste dampften noch ein wenig, dann machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand aus dem Zelt.

      Kronos atmete erleichtert auf und knetete nervös seine Hände. „Ein durch und durch unheimlicher Typ!“, murmelte er. Dann wandte er sich zu Ryu und starrte sie aus großen Augen skeptisch an. „Hey...“, sagte er gedehnt, als müsse er Kraft sammeln, um fortzufahren „Stimmt es, dass du ein …. ein Mensch bist?“ Und während er auf Ryu hinab schaute, wurde sein Blick immer sorgenvoller.

      „Ja...“, sagte Ryu leise und senkte ihren Blick. Sie schämte sich, Kronos ins Gesicht zu sehen, denn sie hatte ihn in arge Schwierigkeiten gebracht.

      „Jedenfalls brauchst du vor mir keine Angst zu haben“, meinte Kronos. „Ich will hier auch weg, ich habe diese furchtbare Schule so satt! Ich hab' auch schon einen Plan, wie wir das anstellen können“, sagte er und streichelte Ryu's Haar.

      Ryu wusste nicht, was sie antworten sollte, denn solch eine Reaktion hätte sie nicht erwartet.

      „Lass uns von hier abhauen, zusammen, und sobald wir eine Gelegenheit finden“, fügte Kronos hinzu und Ryu fiel ein Stein vom Herzen. Sie war nicht die Einzige, die aus diesem furchtbaren Gemäuer fliehen wollte.

      „Warum willst du von hier weg?“, fragte sie.

      Kronos' Blick senkte sich zu Boden, ein Zucken lief durch seinen Leib und er stöhnte leise „Weil ich ein Hybrid bin“, antwortete er und seine Stimme klang deprimiert und hoffnungslos.

      „Was bedeutet das, ein Hybrid zu sein? Ist das was Schlimmes?“, fragte Ryu und wartete gespannt auf seine Antwort. Endlich konnte sie Fragen stellen, ohne Angst zu haben, komisch zu wirken.

      „Ein Hybrid ist ein Mischwesen. Mischwesen sind nicht sonderlich hoch angesehen. Wenn du es genau wissen willst, bin ich eine Mischung aus Vogel und Säugetier, halb Adler und halb Löwe. Man nennt das Greif“, erklärte Kronos und wandte sich halb von Ryu ab, als schäme er sich seiner Existenz.

      „Ein Greif?“, fragte Ryu und hielt den Atem an. Greife gab es doch eigentlich nur in Geschichten oder Sagen. Aber wenn Kronos wirklich ein Greif war, dann verstand sie schon Einiges mehr von dem, was vorgefallen war. Kitsune erwähnte ja einen Zentaurus und diese Beleidigungen mit der Tollwut und den Flöhen waren ihr jetzt auch klar. Auf dieser Schule waren nicht nur die Schüler Monster, sondern auch die Lehrer, jede Minute könnte hier lebensbedrohlich werden. Also musste sie mit Kronos schnell einen Plan austüfteln, um von hier zu verschwinden. Denn wenn dies furchtbare Schlange das nächste Mal attackieren würde, wer weiß, ob dann wieder Stan zur Stelle wäre, um sie zu vertreiben.

      Jetzt keuchte es vor dem Zelt, der Eingang raschelte, Kitsune trat ein. Er sah ziemlich mitgenommen aus, seiner Kleider waren vom Schweiß durchtränkt, sein Brustkorb hob und senkte sich. Insgeheim bedauerte Ryu, dass sie einen so attraktiven Burschen bald nie wiedersehen würde.

      Kapitel 10

      Der Sportunterricht war vorbei und es folgte wieder eine Pause von zwei Stunden während der sich die Schüler von den Anstrengungen des Sportunterrichts erholen sollten. Ryu und Kronos mieden die Gesellschaft der anderen und wanderten in den endlosen Gängen auf und ab. Sie wollten allein und ungestört sein, damit sie beratschlagen konnten, wie sie die Flucht von der Schule bewerkstelligten. Immer wieder tauchte an den Kreuzungen der Flure und Gänge Kitsune auf und guckte immer misstrauischer. Schließlich fragte er rundheraus: „Vor wem wollt ihr euch eigentlich verstecken?“

      „Vor wem wohl?“, fauchte Kronos. „Vor Schmeißfliegen wie dir! Vor wem sonst?“

      Kitsune schien ernstlich beleidigt, vor allem, als Ryu keine Anstalten machte, Kronos zu widersprechen.

      Ryu war wenigstens für diesen Moment glücklich, denn sie fühlte sich nicht mehr allein. Es gab endlich jemanden, dem sie nichts vorspielen musste, der sie so nahm, wie sie war, und dieselben gefährliche Ziele hatte wie sie. Die zwei Stunden gingen schnell vorbei und sie begaben sich auf die Suche nach dem Klassenzimmer, in dem der Philosophie-Unterricht abgehalten wurde.

      Sie schlugen einen Weg ein, der über eine der zahllosen Treppen in das unterirdische Gewölbe führte, und fanden weitere Gänge und weitere Treppen, die sie immer tiefer in die hallenden Gewölbe vordringen ließen. Sie blieben einfach nicht stehen, hielten sich an der nächsten Weggabelung mal links, dann rechts, und Ryu und Kronos hätten sich längst schon hoffnungslos verirrt, wäre nicht plötzlich und wie aus dem Nichts Kitsune aufgetaucht, der ihnen den richtigen Weg wies.

      Schließlich standen sie vor einem Klassenraum, der keine Tür besaß. Es führten nur drei kleine Stufen hinein. Die gewölbte Decke war niedrig, so dass alle aufpassen mussten, dass sie sich nicht die Köpfe stießen. Es gab nur eine Lampe, die den riesigen Raum erhellte. Unaufhörlich flogen unzählige Motten gegen die Lampe und fielen bewusstlos zu Boden, rappelten sich wieder auf, drehten sich auf dem Boden im Kreis und flogen dann erneut gegen die Lampe.

      Alle Schüler hatten sich schon auf ihre Plätze gesetzt, und Ryu stellte verblüfft fest, dass sogar ihre Zimmergenossin, die kleine Larea, anwesend war.

      Ryu teilte sich mit Kronos einen Tisch, Kitsune setzte sich an den Nebentisch. Voller Erwartung starrten alle auf den dunklen Eingang zum Klassenzimmer, aus dem ein trockenes Rascheln ertönte und sich eine Staubwolke hervor wälzte. Ein uralter Mann schlurfte in das Gewölbe, bei jeder noch so kleinen Bewegung wallte Staub von seiner Kleidung auf. Er hatte eine Glatze, seine Haut war faltig, seine Augen trübe und er schwankte beim Gehen, als könne er sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Bekleidet war er mit einem langen alten und von Motten zerfressenden braunen Mantel, aus dessen Ärmel immer neue Motten krochen und ihre Beißwerkzeuge in den Mantel schlugen. Auf seiner Nase saß eine Brille mit dicken runden und staubigen Gläsern, sie rutschte ständig auf seiner Knollennase bis ans Ende hinunter, so dass er sie im Sekundentakt mit seinen knochigen Fingern hochschieben musste. Als er seine Tasche auf das Pult legte, staubte es erst hoch auf, dann stiegen Wolken von Motten torkelnd in die Höhe, um sich kurz darauf wieder auf die Tasche zu setzen.

      Der alte Mann wischte mit dem Handrücken ein paar Motten von seinen staubigen blutleeren Lippen. „Mein Name ist Zeller Malinellus“, sagte er mit einer raschelnden leiernden Stimme, hüstelte trocken, wobei eine große Motte aus seinem Mund flatterte, und zupfte an seinem Mantelkragen, der dabei immer mehr einriss. „Ich bin euer Philosophielehrer“, fügte er unter Mühen hinzu, dann versagte seine Stimme und er brach in ein solch infernalisches Husten aus, als würde er mindestens drei Packungen Zigaretten am Tag rauchen, und das schon seit mehr als 200 Jahren. Bei seinem nicht enden wollendem Hustenanfall, der seinen faltigen alten Leib auseinander zu brechen drohte, stieben die Motten auf und umschwärmten ihn in ihrem torkelnden Flug.

      Ryu