Blut zu Blut. Janaina Geismar. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Janaina Geismar
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847611301
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Er hatte keinen Löwenschwanz, so wie sich Ryu einen Greif vorstellte, sondern einen Stoß wie der eines Vogels.

      Kronos flog über dem Nebel, der wie eine weiße Suppe unter ihnen brodelte. Sie konnten weder das Schulgebäude noch das Moor unter sich sehen, nur den Nebel, der in seiner Endlosigkeit die ganze Welt zu bedecken schien. Selbst Kronos fand mit seinen scharfen Adleraugen nichts, an dem er sich orientieren konnte.

      Er flog dicht über dem Nebel, in dem sich keine Lücke auftat, durch die er spähen konnte. Dann drehte er einen großen Bogen, um wenigsten von der Stelle wegzukommen, an der die Bestie ihnen aufgelauert hatte.

      Der große runde Mond schien fahl und wie am Himmel festgewachsen, die Sterne glitzerten kalt und stumm. Von dort war auch keine Hilfe zu erwarten. Im Gegenteil, aus der Höhe fauchten heftige Windstöße und drückten Kronos in die Tiefe. Erste Nebelfetzen griffen nach ihnen.

      Nur nicht zurück in dieses teuflische Moor, dachte Ryu, als der Flug des Greifen immer instabiler wurde. Er taumelte im Flug, drehte sich erst auf die linke, dann auf die rechte Seite. In den Nebelfetzen, in die sie jetzt ganz eingetaucht waren, erkannte Ryu ein paar Fledermäuse, die ihre spitzen Zähne in Kronos' Fell schlugen. Es wurden immer mehr, sie bedeckten schon die Hälfte seines Leibes. Seine Schwingen schlugen immer kraftloser und Kronos versank im Nebel, aus dem ein grässliches Grollen schallte. Die Bestie, von der sie im Moor gejagt worden waren, hatte ihre Spur nicht verloren und erwartete sie, um ihr blutiges Werk zu vollenden.

      „Flieg höher, unter uns ist die Bestie“, schrie Ryu, doch so sehr sich Kronos auch bemühte, er schaffte es nicht. Die kleinen Fledermäuse hatten sich auf seine Schwingen gesetzt und begannen, mit Klauen und Zähnen seine Federn auszureißen. Er versuchte sie durch heftiges Schlagen seiner Flügel abzuwerfen, doch die Fledermäuse ließen nicht locker.

      Ryu baumelte an Kronos' Krallen. Ihre Füße streiften schon die Spitzen von abgestorbenen Bäumen und Büschen. Dann glaubte sie im weißen Nebel die gelben Augen der Bestie zu sehen.

      Sie hatte schon zum zweiten Mal in dieser Nacht mit ihrem Leben abgeschlossen, als sie ein Geräusch wie elektrisiert zusammenzucken ließ. Es war ein lang gedehntes auf- und abschwellendes Geräusch, das schnell näher kam.

      „Kronos, das Geheul die Wölfe, es kommt von dort“, rief sie und zeigte dem Greifen die Richtung an. Die Wölfe hatten ihr Revier nahe der Schule, jedenfalls dort, wo es kein Moor gab. Dort würden sie sich auskennen und ein Versteck finden, in dem sie vor der Bestie sicher waren.

      In einer letzten großen Kraftanstrengung schwenkte Kronos in die Richtung, die Ryu ihm angezeigt hatte, der Nebel wurde lichter, und Ryu konnte die spitzen Dächer, die Brücken und Kamine des verwinkelten Schulgebäudes erkennen. Kronos musste nur noch kurz durchhalten, dann hätten sie das Schulgelände erreicht.

      Zum ersten Mal war Ryu erleichtert, die Schule zu sehen, aus der sie vor noch nicht allzu langer Zeit geflohen war. Ryu atmete auf. Gleich würden sie in Sicherheit sein. Der Weg durchs Moor hatte sich als Irrweg herausgestellt. Sie würden es in einer anderen Richtung versuchen müssen.

      Kurz vor der Schule wollte Kronos noch einmal in einer Steilkurve nach oben ziehen, denn die Fledermäuse schienen die Nähe der Schule nicht zu mögen und ließen von ihm ab, aber da geschah es. Mit einem gewaltigen Satz gelang es der Bestie, Ryus Füße zu packen. Kronos, der sie noch immer festhielt, geriet ins Trudeln, dann stürzte er ab. Seine Krallen gaben Ryu frei, die in der Luft einen Salto drehte und ziemlich unsanft auf einem Hügel landete. Neben ihr fiel Kronos auf die Erde, eine Wolke abgerissener Federn hüllte ihn ein.

      Noch ehe Ryu wieder auf die Beine kam, schälte sich die Bestie aus dem Nebel. Ihre Augen glühten wie gelbes Feuer, weißer Schaum flog ihr vom Maul, sie scharrte mit den Krallen in der Erde, ihr mit spitzen Stacheln besetzter Schweif peitschte den Grund.

      Kronos hatte sich auch wieder aufgerappelt, erhob sich zu voller Größe auf die Hinterbeine und stellte sich schützend vor Ryu. Dann schlug er mit den von den Fledermäusen arg gerupften Schwingen, wobei er spitze Schreie ausstieß, um der Bestie zu imponieren.

      Zuerst wich die Bestie einen Schritt zurück, doch dann erwiderte sie das Gebrüll, senkte angriffslustig den gewaltigen Panterschädel und schlich näher.

      Ryu blickte sich um, der Boden war fest, Erdhügel und Felsbuckel bildeten einen welligen Abhang zur Schule hin, deren Gebäude noch mindestens zweihundert Meter entfernt lagen. Wenn man das Moor mit seinem Morast und den öligen Tümpeln in Erinnerung hatte, sah es hier aus wie auf einem fremden Planeten.

      Ein noch stärkeres Gebrüll schallte plötzlich aus dem unübersichtlichen Gelände. Die Bestie aus dem Moor duckte sich, legte die Ohren flach an den Hinterkopf und ihr aggressives Fauchen wurde zum kläglichen Maunzen. Sie klemmte den Schwanz ein, machte einen Satz zurück und rannte in den Nebel, dem sie entsprungen war. Was hatte dieser mächtigen Bestie solche Angst eingejagt?

      Kronos wiegte seinen Kopf hin und her und äugte mit seinen scharfen Adleraugen durch die Nacht. Die Dächer des Schulgebäudes ragten hinter einer Barriere aus Felsbrocken und Geröll auf. Wenn sie diese überwunden hätten, könnten sie vielleicht in die Schule schlüpfen und sich vor der neuen Gefahr, die da auf sie zukam, verstecken.

      Beide hatten wohl das Gleiche gedacht, aber als sie auf die Felsbarriere zu rannten, erhob sich auf ihrem Kamm ein gewaltiges Raubtier. Es hatte braunes Fell, einen eckigen, kantigen Schädel, aus dem große geschwungene Hauer hervor ragten. Ryu rieb sich die Augen und glaubte, ihre Phantasie hätte ihr einen Streich gespielt. Aber als sie wieder zur Spitze der Felsbarriere sah, stand da immer noch ein leibhaftiger Säbelzahntiger. Wie konnte das möglich sein, dass es noch ein lebendes Exemplar dieser längst ausgestorbenen Spezies gab? Denn dass es lebte, bewies es dadurch, dass es sich auf die Hinterbeine erhob, mit den Tatzen durch die Luft schlug und ein furchtbares Gebrüll ausstieß.

      Der Säbelzahntiger griff nicht auf direktem Weg an, tat aber alles, um ihnen die Flucht zur Schule unmöglich zu machen. Wollten Ryu und Kronos rechts an ihm vorbeilaufen, bewegte er sich mit ein paar mächtigen Sprüngen nach rechts und verstellte ihnen den Weg, versuchten sie es nach links, war auch hier der Säbelzahntiger schon da und fauchte sie an.

      Ryu wusste, dass Kronos keine Chance gegen dieses große Raubtier hatte. Er war vom Flug erschöpft, seine Flügel waren verletzt und er blutete aus vielen kleinen Wunden, die ihm die Fledermäuse gerissen hatten. Sie mussten eine andere Möglichkeit finden, um an dem gefährlichen Raubtier vorbei zu kommen.

      Ryu nahm all ihren Mut zusammen und rannte geradewegs auf den Säbelzahntiger zu. Dabei schrie sie gellend und so laut sie konnte. Der Säbelzahntiger duckte sich, er schien verunsichert und wich zur Seite aus, aber nicht weit genug, dass Ryu gefahrlos an ihm vorbeigekommen wäre. Ryu drehte eine enge Kurve und rannte nun schreiend in die entgegengesetzte Richtung, aber sie war zu langsam und kam nicht am Raubtier vorbei.

      Jetzt schlug Ryu eine andere Taktik ein, die der felsige Untergrund ermöglichte. Sie rannte durch Spalten und Rinnen, für die der Säbelzahntiger zu groß war. Aber auch dies half ihr nur wenig, denn das Raubtier sprang einfach über die Rinnen und Spalte hinweg und war, wenn die Hohlgänge endeten, wieder in ihrer Nähe und blies ihr seinen heißen Atem ins Gesicht. Ryu war verzweifelt, und fürchtete, dass sein nächster Tatzenhieb sie zermalmen würde.

      Ryu flüchtete sich mit knapper Not in eine schmale Rinne, durch deren enge Öffnung nur wenig Mondlicht drang. Hier fühlte sie sich vor dem monströsen Raubtier einigermaßen sicher, doch hinter dem nächsten Vorsprung weitete sich der Spalt. Zu spät bemerkte sie, dass der große Schatten des Säbelzahntigers auf sie herab fiel, dann zuckte einer seiner breiten Pfoten in die Tiefe, seine Krallen rissen ihre Schulter auf. Ryu machte einen Hechtsprung in die Abzweigung vor ihr. Hier standen die Wände so dicht zusammen, dass die Pfoten des gewaltigen Räubers nicht hindurch passten. Das Adrenalin in ihrem Körper war so stark, dass Ryu keinen Schmerz spürte.

      Sie kroch in die nächsten Spalte, die so schmal war, dass sie sich nicht frontal, sondern, die Schulter voraus, nur seitlich voran bewegen konnte. Am Ende dieses Spalts bemerkte sie den Schatten des Raubtiers, das sie dort erwartete. Ryu klaubte einen faustgroßen Stein mit einem langen spitzen Ende auf,