Blut zu Blut. Janaina Geismar. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Janaina Geismar
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847611301
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sie hoch hinauf in den nächtlichen Himmel. Dann war der Nebel heran. Er war klamm und kalt und so dicht, dass Ryu und Kronos ihre eigenen Füße nur noch mit Mühe erkennen konnten.

      Ryu versuchte, nicht die Orientierung zu verlieren, was ihr immer schwerer fiel. Manchmal glaubte sie, an dieser oder jener Stelle schon mal vorbei gekommen zu sein und fürchtete, dass sie im Kreis gegangen wären.

      Plötzlich hielt Kronos sie an der Schulter zurück. „Bewege dich nicht“, flüsterte Kronos und zog sie hinter einen niedrigen Busch..

      Ryu hielt den Atem an und horchte in den Nebel hinein. Sie vernahm seltsame Geräusche, die sie nur schwer zuordnen konnte. Manchmal war es ein leises Rascheln, dann plätscherte etwas, ein trockener Ast knackte. Alle die Laute ließen darauf schließen, dass sich jemand anschlich. Plötzlich verstummten die Geräusche, entweder hatten sie sich alles nur eingebildet oder das Wesen dort draußen im Nebel war aus irgendeinem Grund stehen geblieben. Sie warteten noch eine Minute ab, bis sie das Gefühl hatten, dass dort im Nebel nichts Bedrohliches war. Sie wateten weiter durch das schmatzende und glucksende Moor und die einzigen Geräusche, die sie begleiteten, waren die von ihnen selbst verursachten.

      Ryu stolperte über einen abgestorbenen Ast und fiel in den aufspritzenden Morast. Kronos, der sich dicht hinter ihr gehalten hatte, wäre um ein Haar von ihr mit zu Boden gerissen worden, konnte sich aber auf den Beinen halten. Ryu spürte, wie ihre Hände immer tiefer Moor versanken und war darauf bedacht, sie schnell wieder herauszuziehen. Kronos hatte das zum Glück bemerkt, packte sie unter den Achseln und zog sie in die Höhe.

      Ryu atmete tief durch und streifte sich den Schlick von Armen und Händen. Dann duckten sich beide instinktiv, denn ganz in der Nähe vor ihnen erklang ein Plätschern, dann vernahmen sie hinter sich schmatzende Schritte, die immer näher kamen.

      Ryu versuchte, den Nebel mit ihren Blicken zu durchdringen, konnte aber nichts Genaues erkennen. Dann entdeckte sie, dass der Nebel nicht mehr dicht über dem Boden waberte, sondern den Kontakt mit dem Boden verloren hatte. Sie hielt sich an Kronos' Hand fest und duckte sich, um unter dem Nebel hindurch zu schauen.

      Sie musste so tief mit dem Kopf hinunter, dass ihre Wange schon den Morast berührte. Hier unten hatte sie eine Handbreit freie Sicht. Ihre Blicke glitten über das schwarze Moor, bis sie gegen etwas stießen, was zwei Stöcke sein konnten. Dann bewegten sich diese Dinger vorwärts und sie erkannte, dass es kein Holz, sondern behaarte Pfoten waren. Die Haare auf den Pfoten waren tief schwarz und glatt. Die Pfoten waren größer und dicker als Menschenhände und konnten unmöglich einem Wolf gehören. Ryu erschauerte. Was kam da auf sie zu und wie gefährlich war es?

      Ryu zog sich an Kronos' Hand wieder in die Höhe und zeigte in die Richtung, in der sie dem anschleichenden Wesen entkommen konnten. Sie wateten weiter durch das Moor und versuchten, die Schritte schneller und größer zu setzen, doch es nutzte ihnen wenig. Die Schritte kamen immer näher, was sie in panischen Schrecken versetzte. Weil sie ihre Schritte zu hastig setzten und auf Hindernisse wie Wurzeln und abgestorbene Büsche und Äste nicht mehr achtgaben, stolperten sie und kamen immer langsamer voran.

      Ryu vernahm ein tiefes heiseres Knurren, so laut, dass sich die Kopffedern auf Kronos' Schädel senkrecht stellten. Egal, was da hinter ihnen immer näher kam, wenn es solche grässlichen Töne von sich geben konnte, musste es riesig und ziemlich wütend sein. Sie fielen mehrmals hin, krochen durch Dornengebüsch und wateten durch knietiefes Wasser, doch sie konnten das Wesen hinter sich nicht abschütteln. Sein heiseres Knurren wurde zum dröhnenden Grollen, und das Moor wollte einfach kein Ende nehmen.

      Dann wurde es wieder still, keine Schritte, kein Knurren, kein Grollen und die beiden Fliehenden atmeten auf. Sie gingen langsam durch das Moor und nach jedem Schritt hielten sie inne, um in den Nebel zu horchen.

      Plötzlich war dicht vor ihnen ein lautes Klatschen zu hören. Ryu war vor Schreck abgelenkt, ihr Fuß verfing sich in einer Ranke und sie stürzte der Länge nach hin, der Matsch spritzte hoch auf. Sie konnte direkt unter die Nebelschwaden blicken. Dicht vor ihr starrten sie gelbe Augen aus einem schwarzen haarigen Kopf an. Der Kopf sah aus wie der eines Panthers, aber er war viel größer. Das Tier zog seine Lefzen hoch und bleckte seine riesigen gelben Reißzähne und knurrte laut und böse.

      Ryu fühlte sich von Kronos hochgerissen, und als er in ihr Gesicht blickte, erkannte er, dass sie etwas Gefährliches gesehen haben musste. Er raffte einen dicken Knüppel auf und schlug damit in den Nebel, traf aber auf keinen Widerstand. Dann glaubte er, links von sich eine Bewegung im Nebel wahrzunehmen und schleuderte mit großem Schwung den Knüppel dort hin. Er hörte einen dumpfen Aufprall und ein wütendes Fauchen. Ryu fand einen Stein und warf ihn in die gleiche Richtung. Anschließend rannten sie in die Gegenrichtung.

      Nach wenigen Schritten gerieten sie an eine Stelle, in der sie bis zu den Knien im Sumpf versanken und nur langsam und mit Hilfe von Ästen voran kamen, an denen sie sich vorwärts zogen. Die große Bestie, die ihnen folgte, hatte ähnliche Schwierigkeiten, denn ihre Pfoten versanken durch das enorme Gewicht noch tiefer im Moor, so dass sie immer mehr zurück blieb.

      Nun hatten die beiden Flüchtenden jede Orientierung verloren. Sie wussten nicht mehr, aus welcher Richtung sie kamen und in welcher sie rennen mussten, um dieses schreckliche Moor hinter sich zu bringen.

      Jetzt hatten sie wieder ein Stück festen Boden unter den Füßen und kamen schneller voran. Als Ryu einen Blick über die Schulter warf, schälte sich ein schwarzer Schatten aus dem Nebel, ein wildes Fauchen schallte dicht an ihrem Ohr und sie sah, wie Kronos zu Boden gerissen wurde.

      Kronos schrie gellend, doch Ryu konnte vor Angst keinen klaren Gedanken fassen. Sie war starr vor Schreck, doch dann zwang sie sich, in Kronos' weit aufgerissene Augen zu blicken, in denen sie Todesangst las. Sie riss sich zusammen, packte Kronos' Hand und zog mit aller Kraft. Doch etwas Anderes zerrte an seinem Fuß, der schon vom Nebel bedeckt war, in die entgegengesetzte Richtung. Sie streckte sich und versuchte ein Bein von ihm zu fassen, fühlte dann aber etwas Nadelspitzes, das sich in ihren Arm bohrte. Der stechende Schmerz setzte erst mit Verzögerung ein, als spitze Krallen ihre Haut aufrissen. Die Welle der heißen Schmerzen war so stark, dass Ryu der Atem stockte. Sie spürte hartes widerborstiges Haar und roch fauligen Atem. Verzweifelt versuchte sie, die Bestie vor sich im dichten Nebel wegzudrücken, sie wollte nicht enden wie die anderen Opfer der Bestie, deren Verwesungsgeruch ihr aus dem Maul des Untiers entgegen schlug. In dieser Sekunde der höchsten Not hatte sie nur ein Verlangen: Ryu wollte weg, nach Hause, wo immer das auch sein mochte, sich mit Freunden treffen, normalen Unterricht haben, etwas lernen, das Sinn machte, und vor allem keine Angst mehr haben.

      Doch die Realität sah anders aus. Eine furchtbare Bestie würde ihrem verworrenen kurzen Leben ein Ende setzen.

      Ryu konnte die Tränen nicht mehr zurück halten. Sie schossen aus ihren Augen und mischten sich mit dem Blut aus ihrem Arm. Sie fühlte sich zu schwach für diese Welt der Monster, und der Einzige, der wusste, dass sie nicht dieser Welt angehörte, starb hier vor ihren Augen.

      Ryu hatte also mit sich und ihrem kurzen Leben Schluss gemacht, als sie ein Fauchen und Brüllen zusammenzucken ließ. Es klang anders als das der Bestie im Nebel. Konnte es möglich sein, dass Kronos diese drohenden Laute ausgestoßen hatte?

      Ryu musste zweimal hinsehen, um es glauben zu können, denn Kronos machte eine seltsame Verwandlung durch. Seine Kopffedern richteten sich steil auf und erschienen Ryu viel größer als zuvor, seine Schultern knackten und dehnten sich, dann wuchsen aus ihnen gewaltige Schwingen hervor, die wild zu schlagen begannen. Sein ganzer Schädel dehnte sich, wurde schmaler, seine Nase krümmte sich und wurde zum spitzen Schnabel, der wild um sich zu hacken begann. Seine Füße verwandelten sich ebenfalls und wurden zu messerscharfen Krallen. Dann war Kronos zum riesigen Greif geworden. Dieser Prozess musste für Kronos sehr schmerzhaft sein, denn die Schreie, die er dabei ausstieß, gingen Ryu durch Mark und Bein.

      Dann fühlte sich Ryu von den Krallen des Greifen gepackt, er schlug mit den Schwingen, die den Nebel in wilden Wirbeln aufwallen ließen, und erhob sich mit Ryu in die Lüfte. Die Bestie mit dem Panterkopf versuchte die beiden mit einem gewaltigen Satz noch zu erwischen, doch sie sprang zu kurz.

      Kronos hatte eine stattliche Gestalt, sein Gefieder