Liebesengel küssen nicht. Ewa A.. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ewa A.
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753197180
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die ich an mir zuvor vollzogen habe, sind weg. Aus diesem Grund verändern erfahrene Engel nur ganz selten ihre Gestalt, höchstens in Notfällen oder wenn sie wissen, dass sie dem Menschen nur einmal in der Form gegenübertreten wollen.

      Anfänger erliegen oft der falschen Annahme, einen Auftrag zügiger und einfacher zu erledigen, wenn sie ihr Aussehen umgestalten. Munter wechseln sie zwischen den Ebenen hin und her. Das geht lange Zeit gut, aber irgendwann kommt unweigerlich der Augenblick, wo sie in den Sicht-Modus gehen und vergessen haben, ihre Gestalt wieder in die zu verwandeln, unter der sie ihrem Klienten bekannt sind. Tja und dann stehen sie in ihrem normalen Erscheinungsbild dem Menschen gegenüber, texten ihn zu – und der schaut sie an wie ein Auto, weil er keinen blassen Dunst hat, wer vor ihm steht. In ihrer Panik machen die Neulinge noch alles schlimmer, in dem sie sich verplappern und von unserer Arbeit erzählen. Oder sie drehen vollends durch und wechseln vor den Augen des Klienten ihre Gestalt. Und das … ist dann ein »Null-zwei-GoE«, ein Grund offiziellen Eingreifens für den Löschtrupp, der alles wieder in Ordnung bringt. Übrigens einer der häufigsten Gründe, neben dem »Null-eins«, bei dem Lage oder Form eines Gegenstandes verändert wird, während ein Mensch zuschaut.

      Doch egal, wie ich in Zukunft meinen Auftrag angehen werde, jetzt gilt es, mich Jonas vorzustellen und den besten Eindruck zu machen, um den Job als Tagesmutter zu ergattern. Zwischen den Forsythien stehend, ziehe ich mein violettes Shirt glatt und wünsche mir eine Handtasche herbei, in der die Unterlagen sind, die mein Operator Bellamy für mich vorbereiten sollte. Eine Sekunde später baumelt eine schwarze Tasche an meiner Schulter, und nachdem ich mich vergewissert habe, dass die Dokumente ebenfalls da sind, betrachte ich mit einem tiefen Atemzug Jonas‘ Haus.

      Es ist eine alte Stadtvilla mit einem kleinen, umzäunten Vorgarten. Riesige Kastanienbäume werfen ihre Schatten auf die teuren Autos, die in den eingezeichneten Flächen unter ihnen parken. Nicht nur die Edelkarossen, auch die instandgehaltenen Gebäude deuten darauf hin, dass ich in einem gut betuchten Viertel der Stadt meine zukünftige Arbeit verrichten werde.

      Der nostalgische Charme der renovierten Villa, lässt mich in freudiger Erwartung meinen neuen Auftrag in Angriff nehmen. Darauf bedacht, nirgends an den Zweigen hängen zu bleiben und meinen akkuraten Pferdeschwanz zu ruinieren, schäle ich mich aus dem Gebüsch heraus. Sehr vorsichtig, damit die Gartentür kein Geräusch von sich gibt und Jonas mich in seinem Büro nicht hört, betrete ich den Gehweg. Fröhlich steige ich die Treppe hinauf und drücke die Klingel, denn ich kann es kaum erwarten, meinem gut aussehenden Klienten endlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen.

      Einen Moment später öffnet Jonas die Tür, und mein Herz hüpft, als ich geradewegs in seine strahlend blauen Augen schaue. Ein gelber Kranz wogt um seine Pupille, der mir zuvor gar nicht aufgefallen war. Seine Nase hat einen kleinen Buckel, und seine Unterlippe ist ein Hauch voller als die obere. Obwohl er freundlich lächelt, bemerke ich, wie er mich dabei kritisch mustert.

      Klar, nach dem, was alles zu seiner Haustür hereingeschneit ist, würde ich auch skeptisch sein. Höchste Zeit, dem Zuckerschnittchen zu zeigen, dass er nun die Richtige gefunden hat.

      Mit einem Schmunzeln stelle ich mich vor. »Hallo, ich bin Evodie Engelmann. Wenn Sie Herr Kinz sind, haben wir gestern miteinander telefoniert, wegen der Stelle als Tagesmutter.«

      Meine Worte scheinen, ihn zu beruhigen, denn lächelnd streckt er mir seine Hand entgegen. »Hallo, Frau Engelmann. Ja, ich bin Jonas Kinz. Schön, Sie kennenzulernen.« Sein Händedruck ist warm und kraftvoll. »Kommen Sie, gehen wir in mein Büro, dort können wir uns unterhalten.«

      Darauf bedacht, Jonas nicht zu nahe zu kommen, wie Frau Schnabold, trete ich in die Diele und warte, bis er sich traut, an mir vorbeizugehen. Brav folge ich den breiten Schultern, die eine feine männliche Duftfahne hinter sich herziehen. Wie meinen Vorgängerinnen, bietet er auch mir den Stuhl vor seinem Schreibtisch an, auf dem ich dankend Platz nehme. Jonas lässt sich in seinem Chefsessel nieder, und sein erleichtertes Aufatmen deutet an, dass er Hoffnung hat, mit mir ein besseres Los gezogen zu haben als mit den anderen Bewerberinnen. Ich kann nicht anders, als ihm einen kleinen Schrecken einzujagen. Ich seufze laut, worauf sich sofort alarmiert seine dunklen Brauen heben.

      »Es geht Ihnen doch gut, oder?«, fragt er ängstlich, und nur schwer kann ich ein Lachen unterdrücken.

      »Sicher, danke. Es ist bloß … so schön bei Ihnen. Ach, ich liebe einfach solche alten Stadthäuser. Sie haben eine ganz besondere Atmosphäre, finden Sie nicht?«

      Befreit lacht er auf. »Doch, und genau deswegen habe ich mich für diese Immobilie entschieden. Außerdem ist es nicht weit zu Max‘ Schule und zu meinem Büro. Mit dem kleinen Garten ist es optimal für Kinder.«

      Ich nicke verständnisvoll und beäuge konzentriert das Bücherregal, dass Frau Hempel aus der Fassung warf. »Ja, das glaube ich. Eine nette Büchersammlung haben Sie da.«

      Auf dieses Stichwort hin gefriert er augenblicklich ein. »Wollen Sie die Bücher sortieren?«

      Gespielt überrascht schaue ich ihn an, und mein Blick macht ihm klar, dass diesmal ich an seinem Verstand zweifle. »Nein. Sollte ich?«

      Hastig lacht er auf. »Nein, entschuldigen Sie. Es war nur …« Jonas merkt, dass er seine Frage gar nicht erklären kann, ohne in verstörende Einzelheiten abdriften zu müssen, und schüttelt den Kopf. Er greift zu einem Stift und rückt den Schreibblock vor sich gerade. Offenherzig blickt er mich an. »Vergessen Sie es. Lassen Sie mich Ihnen etwas über die Stelle erzählen, für die Sie sich bewerben.« Sichtlich lockerer lehnt er sich zurück und beginnt, von seinem Sohn zu reden. »Mein Sohn Max ist acht Jahre alt und geht in die zweite Klasse. Momentan besucht er nach dem Unterricht die Nachmittagsbetreuung, bei der ich ihn dann abhole. Den Rest des Tages verbringt er dann bei mir im Büro, bis ich mit ihm nach Hause gehe. Wie Sie bestimmt verstehen können, ist das lediglich eine Übergangslösung und gewiss nicht das, was für ein Kind wünschenswert wäre. Wir sind gerade erst, wegen meiner neuen Arbeit, hierhergezogen, und bisher übernahm meine Mutter die Betreuung von Max. Aber das geht jetzt nicht mehr, weil sie zu weit weg wohnt.«

      »Natürlich, das kann ich vollkommen verstehen«, pflichte ich ihm bei und ermuntere ihn damit, fortzufahren.

      »Ich suche nach einer Frau, die Max von der Schule abholt, ihm das Mittagessen zubereitet oder auch mal eine Pizza bestellt, mit ihm isst, die darauf achtet, dass er seine Hausaufgaben erledigt und ordentlich lernt. Außerdem soll er Freunde treffen und einladen dürfen. Sie wären praktisch den ganzen Nachmittag anwesend, bis ich abends nach Hause komme – und das fünf Tage die Woche. Ich möchte, dass sich jemand um ihn kümmert, dass jederzeit jemand für ihn da ist. Durch meinen Job kann ich das nicht selbst übernehmen, in dem Umfang, wie ich es gerne würde und … er sollte wenigstens eine einigermaßen normale Kindheit haben, nach all dem, was ihm widerfahren ist.«

      Ich nicke verständnisvoll und Jonas richtet sich auf, um seine Arme auf die Tischplatte zu legen. Langsam keimt Traurigkeit in seinem Gesicht auf, und beklommen senkt er seinen Blick auf den Stift, den er nach wie vor in den Händen hält. »Meine Frau starb vor drei Jahren an Krebs, und uns blieben damals nur wenige Monate, um Abschied von ihr zu nehmen.« Er reibt sich über die Stirn, und seine Augen finden zaghaft den Weg zu meinen.

      Diesen Mann nach Jahren noch immer unter dem Verlust seiner Frau leiden zu sehen, verursacht mir eine Engegefühl in der Brust, und jedes meiner Worte meine ich ernst. »Das tut mir unendlich leid. Es muss ganz schrecklich für Sie und Ihren Sohn gewesen sein. Ihre Frau war sicherlich ein ganz wundervoller Mensch.«

      Er schluckt, und ein leises Lächeln spielt um seine Mundwinkel. »Ja, sie war Max eine fabelhafte Mutter und meine große Liebe.« Er räuspert sich verlegen. »Sie sagten am Telefon, Sie hätten Referenzen vorzuweisen?«

      Nickend hole ich die von Bellamy fingierten Empfehlungsschreiben aus der Handtasche, die mich als fähige und beliebte Tagesmutter ausweisen. »Hier, bitteschön.«

      Ich lege ihm die Unterlagen vor, in dem jegliche Angaben zu den Familien frei erfunden sind. Sollte Jonas eine von ihnen kontaktieren, um Erkundigungen über mich einzuziehen, würde er bei Bellamy oder Zelos landen, die ihm nur das Beste über mich erzählen würden.