Liebesengel küssen nicht. Ewa A.. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ewa A.
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753197180
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Finger treten weiß hervor, und ein leises Knautschen der Lederhandtasche zeigt mir, dass sie ihren Zwang fast nicht mehr beherrschen kann. Ich wette, sie sortiert die Bücher bereits in Gedanken nach Größe und Alphabet.

      »Nun, Frau Hempel, wie am Telefon besprochen, geht es um meinen achtjährigen Sohn Max, für den ich eine Tagesmutter suche.«

      Jonas greift nach einem Stift, und ich bin so gemein, dass ich die Stiftebox umfallen lasse. Warum? Ich will nur mal was testen.

      »Hoppla, wie ungeschickt von mir.« Zuckerschnittchen lächelt verlegen, kann aber nicht mehr verhindern, dass die ganzen Schreibutensilien quer über den Tisch springen und durch die Gegend kullern. Fahrig will er sie einsammeln, doch Frau Ich-sortier-alles krallt sich rigoros die gesamten Stifte im Eiltempo. Bingo! Dachte ich mir doch, dass sie dem Drunter und Drüber nicht widerstehen kann.

      »Ach, lassen Sie mich das machen.« Selig lächelnd beginnt die Alte, die Kugelschreiber, Bleistifte und Textmarker in den Schreibtischbutler einzusortieren.

      Jonas‘ Brauen heben sich leicht, als er ihr dabei zuschaut, wie sie die Stifte immer wieder herausnimmt und in ein anderes Fach steckt.

      »Danke, das ist nett«, grinst er nervös, denn Frau Hempel teilt nicht bloß nach Art des Stiftes ein. Nein, sie ist doch keine Anfängerin. Ordnung muss sein, und so werden die Stifte außerdem nach Länge, Farbe und Hersteller getrennt. Immer wieder wandern die Dinger hin und her durch die Fächer der Box. Über fünf Minuten dauert es, bis Frau Hempel mit ihrer Anordnung endlich zufrieden ist.

      Nach getaner Arbeit lehnt sich die beleibte Dame mit einem Seufzer zurück und blickt entspannt in Jonas‘ Gesicht, der eine Sekunde braucht, um sich zu besinnen, warum er ausgerechnet sie eingeladen hat.

      »Äh, ja. Mein Sohn Max ist ein …« Er zögert, denn er registriert, wie Frau Hempel an ihm vorbeistarrt, auf die Bücherwand hinter ihm. »… aufgeweckter Junge, der sehr gerne mit … Lego spielt.« Unverständnis macht sich auf Jonas‘ Miene breit, und er folgt dem Blick von Frau Ordnung-muss-her. Er dreht sich zu der Bewerberin zurück. »Gibt es da ein Problem, Frau Hempel?«

      Zu sich kommend schüttelt Frau Hempel kritisch den Kopf. »Nein, nur Ihre Bücher.«

      »Ja, eine interessante Sammlung nicht wahr?«, erwidert Jonas freundlich.

      Ganz sachte lasse ich einzelne Bücher aus dem Regal hervorrücken. Die Augen der älteren Dame werden groß, und ihre Finger lösen sich von der Tasche. Allmählich hebt sie ihre Hand dem Buchregal entgegen und sie keucht gequält: »Nein, sie … stehen vollkommen durcheinander. Vorne eins mit Z und dort mittendrin eins mit A.« Angewidert fasst sie sich an den Mund. »Großer Gott, das ist ja das reinste Sodom und Gomorrha«. Entsetzt schaut sie Jonas an. »Wie können Sie in diesem schrecklichen Chaos nur leben?«, staucht sie den armen Kerl vorwurfsvoll zusammen.

      Diesem dämmert, dass die Alte es ernst meint und ihre Latten viel ordentlicher am Zaun hängen als die aller anderen. Verunsichert höre ich ihn sagen: »Ich bitte Sie, das sind nur Bücher, die in einem Regal stehen.«

      »Nein. Das ist viel mehr«, röchelt sie entsetzt.

      Ich bringe die herausstehenden Bücher hinter Jonas zu einem leichten andauernden Kippeln. Daraufhin zeigt sie auf das Regal und schreit: »Das da, ist der Beginn von Anomie.«

      »Quatsch!«, entschlüpft es Jonas. »Das ist ein Bücherregal. Und sicherlich kein staatsfeindlicher Akt.« Er räuspert sich und man sieht ihm an, dass er sich Sorgen macht.

      Plötzlich steht Frau Hempel auf und streckt sehnsüchtig ihre Finger nach dem Regal aus. »Lassen Sie mich die Bücher sortieren. Es geht auch ganz fix.«

      Zielstrebig nimmt sie Kurs auf das Chaos, das sie unbedingt beseitigen muss. Jonas erhebt sich eilig und stellt sich ihr entgegen.

      »Nein, auf gar keinen Fall werden Sie meine Bücher anfassen. Die bleiben genau da, wo sie sind.«

      Erschrocken hält die Frau vor ihm inne. »Aber, ich muss …«

      Grimmiger kann Jonas nicht mehr schauen. »Nein, das Einzige, was Sie müssen, ist gehen. Und zwar jetzt. Ich denke, Sie sollten über diesen Sortierzwang mit einem Arzt reden.«

      »Aber …«, stammelt Frau Hempel zahm.

      Jonas bugsiert sie vorsichtig zu seinem Büro hinaus in den Flur. »Nein, kein Aber, Frau Hempel. Wenn Ihnen die Lego-Kiste meines Sohnes in die Quere kommt, kollabieren Sie und glauben, das Ende der Welt stünde bevor.« Er öffnet die Tür und schiebt sie hinaus. »Es tut mir leid, aber Sie entsprechen nicht ganz meinen Erwartungen. Ich kann Ihnen die Stelle nicht geben. Es ist die beste Entscheidung, zum Wohle aller Beteiligten, denke ich.«

      Frau Hempel steht noch überrumpelt auf der obersten Stufe, als Miss Marathonlauf am Fuß der Treppe eintrifft. Mit hochroten Wangen macht sie einen überhitzten Eindruck. Ein intensiver Blick auf Jonas lässt sie tief durchatmen, und sie stürmt die Treppe hinauf. Ohne Skrupel schubst sie die verdatterte Frau Hempel zur Seite und baute sich dicht vor Jonas‘ Nase auf. Zu dicht offenbar, denn dieser zieht seinen Kopf zurück, wie eine verschreckte Schildkröte.

      »Hallo, Sie wollten mich treffen«, flötete die hagere Frau, und ihre Augen fließen gierig über Jonas‘ markante Züge.

      Seinen Widerwillen über ihre Nähe nimmt sie gleich mal nicht zur Kenntnis, sondern beugt sich ihm weiter entgegen, sodass Jonas sich total verbiegen muss, um sie nicht zu berühren.

      Völlig außer Atem säuselt die Bewerberin stoßweise: »Wir haben telefoniert, wegen der Stelle als Tagesmutter. Wissen Sie noch?«

      Wow! Jonas, mein Lieber, schnall dich an, die Ziege geht aufs Ganze. Ich muss Bellamy unbedingt fragen, wo er das Aphrodisiakum herhat. Das Zeug wirkt ja höllisch gut.

      KAPITEL 4

      EIN STUHL UND EINE TASCHE, DIE ES IN SICH HABEN

      »Ich bin Jessica Schnabold«, flüstert die hagere Frau dicht vor Jonas‘ Gesicht und inhaliert verzückt seinen Duft. Ihr ganzer Körper scheint zu beben.

      Oh je, oh je, was hab ich mit dem Aphrodisiakum bloß angerichtet.

      Mit einem erschrockenen Grinsen geht Jonas einen Schritt zurück. »Frau Schnabold …?« Allein die Frage macht deutlich, dass Jonas eine andere Frau mit diesem Namen erwartet hat, was ich ihm nicht verdenken kann. Vermutlich war sie bei ihrem ersten Telefonat nicht so aufdringlich gewesen, sondern eher kühl und leidenschaftslos, was sie nun ganz und gar nicht ist. Jonas‘ Stirn legt sich in Falten, und man kann glasklar in seiner Miene lesen, dass er überrascht ist, die falschen Schlüsse gezogen zu haben. »Natürlich, Frau Schnabold. Kommen Sie doch bitte herein.« Er geht zur Seite und macht den Eingang frei, damit die Dame ungehindert eintreten kann.

      Frau Schnabold braucht er dies nicht zweimal sagen, sie folgt nämlich jeder seiner Bewegungen. Es ist mir ein Rätsel, wie Jonas einer Berührung bisher entgehen konnte. Mit einem seltsam anmutenden Lächeln entblößt Frau Schnabold ihre langen Zähne, und ihre Ähnlichkeit mit einer Ziege wird frappierend.

      Obwohl sie außerordentlich schlank und die Türöffnung breit genug ist, drückt sie sich an Jonas vorbei, als wäre der Hauseingang ein schmaler Felsspalt. Diesmal gibt es für den Armen kein Entkommen, und er muss den aufgezwungenen Körperkontakt über sich ergehen lassen, den Frau Schnabold mit einem zittrigen Seufzen kommentiert.

      »Liebend gern.« Abermals versucht sie, ihren Körper an seinen zu bringen.

      »Hier entlang, bitte, zu meinem Büro«, meint Jonas, zeigt die Diele hinunter und schließt unglücklich dreinblickend die Haustür hinter sich.

      Er traut der anhänglichen Frau wohl nicht über den Weg, denn keine Sekunde dreht er ihr den Rücken zu.

      Weise Entscheidung, Zuckerschnittchen, zumal sich die Ziege bereits die Lippen bleckt. Oder solltest du ihr aufgrund dessen doch lieber die Kehrseite zu wenden?

      Offensichtlich kommt er zum gleichen