Il Vesuvio - Die Ehrenwerte Gesellschaft. Renate Zawrel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Renate Zawrel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745031539
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so schnell wie möglich von diesem Mann fort, der sie so aus dem Konzept brachte. Sie hatte sich geschworen, nie mehr solche Gefühle zuzulassen, wie sie sich ihr nun aufdrängten. Zornig über sich selbst warf sie die Fische in die große Kühlbox, die sich im Kofferraum des Kombis befand. Und ihr seelischer Zustand besserte sich erst recht nicht, als Karl schweigend neben sie trat und ihr beim Beladen half.

      Zum Glück ahnte sie nichts von den Bildern in seinem Kopf …

      Er sah sich Marie in die Arme nehmen, sah, wie er sie entkleidete und auf die freie Ladefläche des Kombis bettete … Einen Augenblick schloss er die Augen, meinte zu spüren wie ihr Mund den seinen berührte, seine Finger durch ihr Haar glitten, das sich anfühlte wie …

      »Mister Landmann, ist Ihnen nicht gut? Ich würde gern den Kofferraumdeckel zumachen.« Jetzt erst registrierte er, dass Marie auf ihn einredete. Sie musste ihn schon einige Male angesprochen haben, denn ein besorgtes Lächeln lag auf ihrem Gesicht, das die normale Farbe zurückgewonnen hatte.

      »Natürlich, ja. Ich war nur etwas … abwesend. Soll ich helfen?«, bot er höflich an.

      »Lieber nicht.« Marie wehrte in komischem Entsetzen ab. »So gut, wie wir beide das heute können, schlage ich Ihnen letztendlich noch die Klappe auf den Kopf. Schadensersatzforderungen kann ich mir nicht leisten.« Sie hatte sich wieder im Griff und das war das Wichtigste.

      Der Wind trieb dunkle Wolken heran und einzelne Regentropfen fielen vom grauen Himmel.

      Giuseppe rief Marie etwas zu und deutete auf das Meer hinaus. Die Frau nickte und wandte sich an Karl, der noch immer wie ein Schatten neben ihr stand.

      »Ich bringe Sie beide ins Hotel. Es wird gleich regnen. Sehen Sie, Giuseppe schafft alles an Bord. Ich muss zwar noch einige Besorgungen machen, doch solange können Sie im Wagen warten.«

      Der Wellengang verstärkte sich, die Gischt spritzte über die Kaimauer.

      Auch die anderen Fischer brachten ihre Waren in Sicherheit und der zuvor dicht belaufene Kai lag bald wie leergefegt da. Man kannte hier die Vorzeichen des Wetters nur zu gut. Sobald der Wind über das Meer hereinpeitschte, war es besser, Schutz zu suchen.

      Ronald überlegte gar nicht erst, schob Karl zur Beifahrertür und ließ sich selbst auf die Rückbank fallen, was in Anbetracht dessen, dass die Parkplätze neben Maries Wagen bereits leer waren, nicht mehr so schwierig war. Fischgeruch wölkte im Lieferwagen.

      Ronald gingen bereits wieder sehr praktische Gedanken durch den Kopf: Diese Frau sprach perfekt italienisch, schien gut mit den Menschen hier auszukommen und Karl hatte ganz offensichtlich eine Schwäche für sie. Marie würde sich also wunderbar als Sprachmittlerin zwischen ihm und den Neapolitanern und vielleicht sogar als heimliche Geliebte Angelo Cortesas eignen, der rechten Hand des Padrone. Es hieß nur abwarten, bis sich die geeignete Gelegenheit ergab, ihr dies schmackhaft zu machen.

      Der Regen prasselte auf die Windschutzscheibe; die Scheibenwischer waren schon auf die schnellste Geschwindigkeit gestellt, um einigermaßen freie Sicht zu gewähren.

      Marie konzentrierte sich auf den Straßenverkehr und achtete nicht auf ihren Beifahrer. Sie hatte Francine angerufen, die sowohl die Bluse für sie, als auch für sich selbst einige Dinge erstanden hatte. Die Anzüge des Lords aus der gleich neben der Galleria liegenden Reinigung hatte sie bereits abgeholt. Der Gang zum mercato musste verschoben werden. Bei diesem Wetter waren die Markstände mit Sicherheit bereits geschlossen. Fehlten nur noch die Zigarillos für Frederic.

      Die Französin staunte nicht schlecht, als sie bemerkte, wen Marie aufgelesen hatte. Sie schlüpfte hochbeglückt rasch auf den Platz hinter Marie, neben Ronald Graham.

      »Wir bringen die Herren ins Hotel«, erklärte Marie. »Ehe der Bus kommt, sind die beiden bis auf die Knochen durchgeweicht.«

      »Ischt gut, ischt gar keine Problem.« Francine blinzelte Ronald zu. Vielleicht wurde der Regisseur auf sie aufmerksam und entdeckte sie! Eine Rolle beim Film – das klang wie Himmel auf Erden. »In welsche 'otel wohnen Sie?«, fragte sie neugierig.

      »Im Rex schönes Kind«, Ronald lächelte galant. Wenn er wollte, konnte er!

      Marie stoppte den Wagen in einer kleinen Gasse, die alles andere als einladend oder gar seriös wirkte. Einen nicht minder schäbigen Eindruck vermittelte eine hölzerne Tür, die schief in den Angeln hing. Die undefinierbare Farbe blätterte an mehreren Stellen ab und der Türknauf war nichts weiter als ein metallener Haken, umwickelt mit Garn. Die junge Frau sprang aus dem Auto und lief, sich das Gilet über den Kopf ziehend, auf die Tür zu. In der Wand versteckt gab es einen Klingelknopf. Sie musste ein paar Mal drücken, ehe die Tür von einem alten Mann geöffnet wurde und sie eintreten konnte.

      »Der sieht so zerknittert aus wie seine Tür«, scherzte Karl. »Er ist doch seriös, hoffe ich?«

      Über Francines Gesicht huscht ein amüsiertes Lächeln. »Keine Angst. Marie weiß, was sie tut. Außerdem 'at sie erst kürzlisch eine Kurs in Selbstverteidigung gemacht«, erklärte sie.

      »Ah ja? Das hat mein Kollege heute schon zu spüren bekommen.« Ronald bemühte sich um einen übertrieben sachlichen Ton.

      Karl schickte einen vorwurfsvollen Blick nach hinten. Graham prustete nun doch los.

      Francine schaute erwartungsvoll von einem der Männer zu anderen. Als niemand sie aufklärte, zuckte sie mit den Schultern, murmelte beleidigt: »Isch muss ja nischt alles wissen«, und beobachtete angelegentlich die Regentropfen, die an der Seitenscheibe herunterliefen.

      Karl fixierte die Zeiger der Uhr am Armaturenbrett.

      Endlich öffnete sich die verrottete Haustür und wenige Augenblicke später rutschte Marie rasch auf ihren Sitz. Sie presste einen unterdrückten Fluch durch ihre Lippen: »Sch... Regen!« Unter ihrem Gilet hatte sie ein Päckchen vor dem Regen geschützt. Ihre Hände waren klitschnass, aus ihrem Haar und den Hosenbeinen tropfte das Wasser. Schweigend reichte sie das in Zeitungspapier gewickelte Paket an Francine weiter und startete den Wagen.

      »Aber sischer 'alte isch das gern für disch.« Die Stimme der Französin hatte einen deutlich vorwurfsvollen Unterton.

      Marie zog die Brauen hoch. Was war denn dem Mädchen über die Leber gelaufen? »Danke! Weiß ich doch!«, sagte sie und lächelte. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Straße.

      »Das sind Zigarillos für Frederic, die Butler«, erklärte Francine in die Stille hinein. Ihr Mitteilungsbedürfnis siegte über ihre Verstimmung, in etwas nicht eingeweiht worden zu sein. »Marie 'at sie in eine Sommer entdeckt, als diese alte Mann, er 'eißt Tonio, vor seine Tür saß und die braune Dinger drehte. Isch glaube, Frederic wird sisch vergiften mit die Zeug.«

      Ronald meinte, das sei eine hübsche Geschichte, aber der Butler komme ihm vorerst noch recht gesund vor.

      Francine überlegte nun krampfhaft, womit sie den Regisseur noch beeindrucken könne, aber es wollte ihr nichts einfallen. Also richtete sie ihr Augenmerk auf Karl und bemerke, dass dieser Marie ständig beobachte. Oh, là, là … Da schien sich wohl etwas anzubahnen. Der Schauspieler war schon ein hübscher Mann, aber viel zu alt für sie.

      Karl ahnte nichts von den Gedanken des Küchenmädchens. Er hätte nur etwas darum gegeben, mit Marie allein im Wagen zu sein. Eine Frage schoss ihm durch den Sinn und ehe er es verhindern konnte, hatte er sie ausgesprochen: »Sind Sie verheiratet, Marie?«

      »Ich bin geschieden«, antwortete sie kurz angebunden.

      ›Welch ein Idiot muss dieser Mann gewesen sein, dass er sie gehen ließ‹, dachte Karl.

      Wieder breitete sich Schweigen im Wagen aus.

      Karl hätte später nicht einen Meter Fahrt rekonstruieren können, so sehr war in Gedanken mit der Frau an seiner Seite beschäftigt. Marie hingegen achtete nur darauf, gut durch den Verkehr zu kommen, der trotz des Regens an Dichte nichts zu wünschen übrigließ. Irgendwann hielt sie vor dem Hotel und meldete, wieder gut gelaunt: »Meine Herren, da sind wir. Bis morgen Abend also! Ein Tipp von mir: Sir Edward liebt außer der Pünktlichkeit