Il Vesuvio - Die Ehrenwerte Gesellschaft. Renate Zawrel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Renate Zawrel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745031539
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hin oder her: Im Süden Italiens bestand eine unausgesprochene Abneigung in Bezug auf die englische Sprache. Wenn es nicht anders ging, sprach man lieber ein paar Brocken Deutsch, eine Hommage an die zahlreichen betuchten Gäste, die alljährlich in Scharen aus Germany einfielen. Gelegentlich hörte man auch einige französische Ausdrücke, ein Mitbringsel der vielen – teils illegalen – Zuwanderer aus den nordafrikanischen Staaten.

      Die beiden Männer setzten sich im Frühstücksraum an den ihnen zugewiesenen Tisch und waren erfreut, dass der Kellner Englisch verstand. Wie überall in den großen Hotels üblich, gab es auch hier ein reichhaltiges Frühstücksbuffet.

      Von Malcolm war weit und breit nichts zu sehen.

      Durch die großen Panoramafenster des Saales blickte man auf das bewegte Meer hinaus – auf beeindruckende Wellen und zischende Gischt. Das Wasser sah grau und wenig einladend aus, keinesfalls blau wie auf den Postkarten. Die Zweige der immergrünen Gewächse vor dem Hotel schwankten und bogen sich im heftigen Wind.

      »Tolles Wetter«, bemerkte Ronald sarkastisch. »Ich dachte, in Italien gäbe es das ganze Jahr über nur Sonne.«

      Außer ihnen saßen nur noch drei ältere Ehepaare im Saal. Ende Jänner war nicht wirklich eine Reisezeit. Zwar lockten die nahen Inseln Ischia und Capri mit günstigen Angeboten, ebenso die Costa Amalfitana, aber hier – direkt in Neapel – gab es zu dieser Jahreszeit nicht viel zu sehen.

      »Ich denke, wir erkunden heute mal ein wenig die Gegend«, schlug der Regisseur vor. »Das kann man ja auch bei schlechtem Wetter machen. Fangen wir am besten mit dem Zentrum Neapels an.«

      »Fahren wir mit dem Taxi?«, wollte Karl wissen. »Soweit ich mich an die gestrige Fahrt zu Sir Edward erinnere, war das ziemlich teuer. Aber ›per pedes‹ wird es wohl ein bisschen zu tagesfüllend werden.«

      »Ich dachte eher daran, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benutzen«, erklärte Ronald. »Dann sehen wir mehr von Land und Leuten.«

      »Gute Idee! Ich habe gleich an der Straße gestern eine Tafel bemerkt; sah sehr nach einem Busfahrplan aus«, erinnerte sich Karl. Vor dem Hotel gab es tatsächlich eine fermata, eine Haltestelle des Linienbusses.

      Graham verdrückte mit Genuss ein Croissant. »Wir brauchen unbedingt einen Stadtplan. Wer weiß, wo wir sonst landen.« Die Mutmaßungen darüber ließen gelöste Heiterkeit aufkommen.

      In diese Frühstückunterhaltung platzte Malcolm wie ein Gewitter in ein sommerliches Picknick. Während Karl mit seinem Seeräuberbart ansprechend aussah, konnte man das vom unrasierten Gesicht Mortimers nicht behaupten. Er wirkte unausgeschlafen und gereizt. Mit vorwurfsvollem Gesichtsausdruck ließ er sich auf den freien Stuhl fallen. »Geht's euch gut ohne mich? Es ist zum Kotzen: Im Zimmer ist es kalt und das Essen, das ich mir gestern Abend bestellte, war ein Albtraum. Also hier werde ich nicht alt. Übrigens, Ronald, ich habe heute mit meiner Frau telefoniert. Zu Hause erwartet mich ein tolles und vor allem finanziell ansprechendes Angebot für ein Filmengagement, das ich nicht ausschlagen möchte. Ich bin dann auch näher bei meiner Familie und muss mich nicht hier mit den ›Spaghetti-Fressern‹ herumärgern. Etwas Bindendes in Bezug auf dein Projekt habe ich nicht unterschrieben, also dürfte es kein Problem sein, mich aus deinen Plänen zu streichen. Mein Flugzeug geht morgen Abend.« Als Ronald etwas entgegnen wollte, winkte Malcolm ab. »Nein, gib dir keine Mühe! Du kannst mich nicht überreden zu bleiben. Mein Entschluss steht fest.«

      »Oh, ich wollte eigentlich sagen, dass deine Entscheidung in Ordnung ist. Guten Flug!« Der Ton, in dem Regisseur dies sagte, klang lässig und keineswegs, als sei soeben einer seiner Hauptdarsteller abgesprungen.

      Karl verschluckte sich fast an seinem panini, als er in das verblüffte Gesicht Mortimers blickte.

      Mit dieser Antwort hatte Malcolm nicht gerechnet. Mindestens ein intensives Flehen, er möge doch bleiben, und vor allem das Angebot einer Aufbesserung der Gage hatte er erwartet, nicht aber, dass Graham ruhig sein Croissant futterte und ihn quasi zwischen zwei Bissen völlig emotionslos verabschiedete.

      Es gelang Malcolm nicht, seine maßlose Enttäuschung zu verbergen. »Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?«, murrte er.

      »Hmmmh!« Ronald deutete auf seinen vollen Mund. Als er den Bissen hinuntergeschluckt hatte, tupfte er sich mit der Serviette die Lippen ab und versicherte: »Ach, es war mir doch klar, dass ein Star wie du nicht im Ernst in dem kleinen Film eines noch fast unbekannten Regisseurs mitwirken würde. Ich war eher überrascht, als du damals zusagtest. Mach dir also keine Gedanken. Es ist völlig in Ordnung, dass du das lukrativere Angebot wählst.« Er griff er nach der Kaffeetasse und trank den Rest aus.

      »Können wir?«, fragte er dann in Karls Richtung, Mortimers Anwesenheit ignorierend.

      Malcolms Gesicht drückte Fassungslosigkeit aus. War er im falschen Film? »Wohin geht ihr denn?«, fragte er.

      Karl antwortete. »Wir wollen nur ein bisschen durch Neapel laufen. Ist nichts für dich, da wir ja nach Schauplätzen für einzelne Filmszenen Ausschau halten. Genieße nur in Ruhe dein Frühstück. Es ist wirklich ausgesprochen gut. Außerdem – das Wetter ist ja nicht besonders einladend und solche Tage werden wir hier noch einige haben.«

      Die beiden Männer erhoben sich mit einer Geste des Abschiednehmens und Malcolm blieb allein am Tisch zurück. Der ›große Star‹ stierte in seine noch leere Tasse und begriff allmählich, dass nicht er derjenige war, der die Rolle abgelehnt hatte, sondern dass er soeben – sage und schreibe – gefeuert worden war. Diese Tatsache nagte an seinem Ego. So schnell abserviert zu werden, konnte nur bedeuten, dass Ronald bereits Ersatz für ihn gefunden hatte. Aber wen? Das würde er wohl frühestens aus dem Internet oder den Programmheften der Kinos erfahren, vorausgesetzt, das Projekt kam überhaupt auf die Beine. »Wird es nie und nimmer, schwachsinniges Thema, idiotisches Drehbuch«, murmelte er und stand schließlich auf. Der Appetit war ihm gründlich vergangen.

      Sie standen an der fermata und warteten auf den Bus.

      Ronald war bester Laune. Malcolms selbstherrliche Absage ersparte ihm die mühevolle Erklärung, warum dieser sich nicht für die Rolle des Staatsanwalts in seinem Film eignete, verbunden mit der Bitte, auf die Rolle zu verzichten. Nein, er hatte noch keinen Schimmer, wen er nun engagieren sollte, aber es würde ihm schon etwas einfallen.

      In seine Gedanken hinein fragte Karl: »Waren wir nicht doch zu unfreundlich?« Allerdings grinste er bei dieser Frage. Besser hätte Graham Mortimers ›Ausladung‹ gar nicht hinkriegen können.

      Ronald wiederholte: »Unfreundlich? Findest du? Na ja, vielleicht … aber jedenfalls passend zu Malcolms Stil.« Und er überlegte laut weiter: »Jetzt muss ich nur noch einen finden, der die Rolle des Staatsanwalts übernehmen kann. Wir brauchen einen Darsteller, dem man Gerechtigkeitssinn abkauft, sobald er den Schauplatz betritt, einen, der Courage und Selbstdisziplin besitzt. Vielleicht frage ich Sir Edward?« Die Vorstellung, den alten Lord in der Rolle von Recht und Gesetz zu sehen, war einerseits gar nicht so abwegig, anderseits löste sie Heiterkeit beim Regisseur aus.

      Karl konnte sich ein Lachen nicht verbeißen. Doch er hatte eine Idee. »Ich könnte mir da einen vorstellen. Aber ich weiß nicht, vielleicht hat mein Freund im Moment ein anderes Angebot.«

      »Mensch, wer ist das? Ich rufe ihn sofort an.« Ronald war schnell zu begeistern, obwohl er noch nicht einmal wusste, von wem die Rede war.

      »Zu Victor würde diese Rolle gut passen«, dachte Karl weiterhin laut nach.

      »Victor, wer?« Ronald gelang es nicht sofort, diesen Vornamen mit einem Schauspieler in Verbindung bringen.

      »Victor Anderson, du weißt schon.« Karl begann die Filme aufzuzählen, in denen sein Freund mitgewirkt hatte, und sah sich schon mit ihm in einer gemütlichen Bar am Meer sitzen und ein Bier trinken.

      »Ja, ja, ja, ich weiß es wieder«, wurde er von Ronald ungeduldig unterbrochen. »Und wo erreiche ich Victor?«

      »Krieg' ich Vermittlerprovision?«, spottete Karl. »Ich hab' natürlich seine Nummer. Ich rufe auch an und frage, ob er interessiert ist. Wenn, dann