»Wenn wir uns in der Hafengegend noch umsehen wollen, sollten wir langsam in die Gänge kommen«, erinnerte Ronald an den eigentlichen Grund ihres Tagesausflugs.
Es war nicht einfach, diesen Ort zu verlassen, denn es gefiel den Männern hier mit jeder Minute besser.
Roberto hatte versucht, seinen Gästen ein wenig Italienisch beizubringen. Immerhin schafften die Männer zum Abschied ein: »Ciao, fino alla prossima volta!«, was soviel bedeutete wie: ›Tschüss, bis zum nächsten Mal.‹
Und als sie, infolge ungewollter Umwege, nach einem mehr als halbstündigen Weg endlich den Hafen erreichten, stand für Ronald fest: In dieser Stadt würde sein Film spielen – Originalschauplatz war und blieb eben Originalschauplatz.
Erwartungsvoll näherten sie sich dem Teil des Hafens, wo um diese Zeit ein besonders geschäftiges Treiben herrschte. Kisten wurden von den Frachtschiffen gehievt und entlang des Kais deponiert. Die dicken Taue, mit denen die Kähne festgemacht waren, zerrten an den Anlegepollern. Auf dem Kai tummelten sich neben streunenden Katzen, die gierig nach jedem Happen schnappten, auch Kinder, die sich verstohlen hier und da einen Fisch schnappten und mit ihm davonrannten, nicht einholbar für die schimpfenden Fischer, die ja letztendlich bei ihrer Ware bleiben mussten. Die Kisten, deren Deckel oft nur einen Spaltbreit offenstanden, enthielten Fische, Langusten und Muscheln.
Frauen mit großen Körben wählten aus dem reichen Angebot. Das Geräusch der vielen Stimmen hörte sich an wie das Rauschen der Meeresbrandung, zumal weder Karl noch Ronald ein Wort verstanden. Über allem lag der intensive Geruch von Fisch.
Unversehens stieß Landmann Graham an und wies nach vorn. »Sieh mal, wer da ist!« Nur er bemerkte, dass sich sein Puls beschleunigte, dennoch befürchtete er, man könne es geradezu sehen.
Wenige Meter von ihnen entfernt stand Marie, die junge Frau, der sie gestern bei Sir Edward begegnet waren.
Lachend und ungezwungen unterhielt sie sich mit dem Fischer, scheute sich nicht, die Fische selbst aus den großen Behältern herauszuholen und besiegelte deren Kauf mit Handschlag. Die fangfrischen Tiere wurden in Nylonsäckchen verpackt und in einen großen Korb gelegt.
Mit dem Handrücken strich Marie sich eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht und packte dann den Korb, um ihn aufzuheben. Karl war mit wenigen Schritten bei ihr.
Marie erschrak, als so plötzlich jemand neben ihr auftauchte und nach dem Henkel griff. Sie reagierte automatisch und schlug mit der Faust zu … Erst danach erkannte sie die Situation und fuhr in tödlicher Verlegenheit zurück. »Oh, es tut mir ja so leid«, rief sie. »Wie hätte ich ahnen sollen, dass Sie es sind. Ich dachte, es sei einer dieser flinkfingrigen Burschen. Mister Landmann, bitte entschuldigen Sie.« Marie wusste nicht, was sie noch sagen oder tun sollte.
Der Schlag hatte gesessen. Karl – in gebückter Haltung – bemühte sich, eine regelmäßige Atmung zustande zu bringen.
Ronald stand einige Meter entfernt und schnappte ebenfalls nach Luft, jedoch vor Lachen. Es hatte aber auch zu komisch ausgesehen, als die kleine Lady dem großen Mann eine Breitseite verpasste, dorthin, wo es Mann am schmerzhaftesten trifft!
Auch Giuseppe der Fischer hatte seine Kappe nach hinten geschoben, kratzte sich das Kinn und grinste unverschämt. Er mochte Marie, die schon seit langer Zeit bei ihm die Fische kaufte. Sie wusste genau, was sie wollte und zahlte gern einen vernünftigen Preis. Er hatte es inzwischen aufgegeben, ihr mehr Euros zu berechnen. Das funktionierte nicht bei dieser Frau. Außerdem gefiel es ihm, dass sie italienisch sprach, sich nie zu fein war, selbst mit anzupacken, obwohl man bei ihrer grazilen Erscheinung eher dazu neigte, gleich hilfsbereit zur Stelle zu sein, wie soeben dieser junge Mann. Aus seiner Jackentasche holte Guiseppe eine kleine Flasche und hielt sie dem noch immer mit dem Schmerz Kämpfenden hin, der wohl das erste Mal in seinem Leben von einer Frau geschlagen worden war und dann noch … na ja …
»Bere!«, forderte er Karl freundlich auf und hielt ihm die Flasche unter die Nase.
»Sie sollen trinken, das hilft«, übersetzte Marie. »Giuseppes Grappa ist gut, fast schon Medizin.«
Karl nahm dankbar einen kräftigen Schluck. Zu kräftig! Statt sofortiger Besserung fehlte ihm urplötzlich wiederum die Luft und er erlitt einen Hustenanfall.
Ronald, der inzwischen neben der Gruppe stand, traten Tränen der Heiterkeit in die Augen. Einer seiner Filmhelden sah hier gerade gar nicht wie ein verwegener Mafioso aus, eher wie eine ausgepresste Zitrone.
Dankend nahm auch er die Flasche entgegen, die ihm der Fischer reichte, der nun ebenfalls herzlich lachte. Puh, das war vielleicht ein Zeug! »Himmel! Was trinkt ihr da? Das brennt ja wie Feuer.«
Giuseppe verstand nicht, was der Fremde sagte, konnte sich aber denken, was die Worte bedeuteten und lachte erneut.
Der Grappa brannte Ronald bis in den Magen hinunter, von dort jedoch breitete sich eine wohltuende Wärme in seinem Körper aus.
Marie war inzwischen zu ihrem Auto gelaufen, das nur wenige Meter entfernt stand und kam mit einer Flasche Mineralwasser zurück. Schuldbewusst beugte sie sich zu dem hustenden und prustenden Karl hinunter, der noch immer nach Luft schnappte, und reichte ihm die Plastikflasche. Als er abwinkte, sprach sie ihm gut zu: »Das ist nur Mineralwasser, ehrlich. Bitte, trinken Sie in kleinen Schlucken.«
Endlich griff er zu und nippte sehr vorsichtig an dem klaren Nass. Er hatte ehrlich gezweifelt, dass es sich wirklich um Wasser handelte. Langsam fühlte er eine Besserung und vermochte sich aufrichten. Doppeltes k.o. war der richtige Ausdruck dafür, was ihm soeben widerfahren war. Als er endlich wieder aufrecht zu stehen vermochte, traf sein Blick auf den besorgten Gesichtsausdruck von Marie. In ihren Augen flackerte noch immer Erschrecken und etwas wie Angst.
Sie war heute ungeschminkt und auf ihrem Gesicht zeigten sich hektische rote Flecke. Der üppige Rollkragen des Pullis schien ihren Kopf verschlucken zu wollen und eine Windböe zerrte an ihrem aufgesteckten Zopf.
Karl drängte es, die Hand zu heben und Marie über die Wange zu streichen, sie zu trösten, wie man es bei einem Kind tut, das ungewollt eine Dummheit begangen hat. Im letzten Moment besann er sich und verlangte nur den Verschluss der Wasserflasche.
Als Marie ihm die Kappe reichte, berührten sich ihre Hände und es war, als spränge ein elektrischer Funke über. Gedankenschnell fuhren beider Hände auseinander und der Plastikverschluss fiel zu Boden. Beide bückten sich, gleichzeitig, und – stießen nun auch noch mit den Köpfen zusammen.
Giuseppe und Ronald – abwechselnd am Grappa nippend – beobachteten die beiden interessiert, grinsten einvernehmlich und gaben jeweils ihre Meinung kund – für den einen so unverständlich wie für den anderen. Aber sie waren sich vollkommen einig: Wer den Schaden hatte, brauchte für den Spott nicht sorgen …
Marie hatte inzwischen ein krebsrotes Gesicht und das Karls näherte sich der gleichen Farbe. Er murmelte fast nicht Verständliches, das gleichzeitig wie eine Entschuldigung und wie ›das gibt’s doch nicht‹ klang. Immerhin hatte er es geschafft, die Flasche wieder zu verschließen und Marie zu reichen.
Wie kam es nur, dass er so unvermittelt auf eine Frau reagierte? Er wusste nichts von ihr, außer, dass sie hervorragende Petit Fours machte, ihre Finger – wenn auch unbeabsichtigt – seinen Nacken berührt hatten, dass sie einen treffsicheren Schlag auf edle Körperteile ausführen konnte, ihr Kopf eine richtig harte Nuss war und – dass sie ausdrucksvolle Augen besaß, Haar, das zum Streicheln einlud, Hände, die man in die seinen nehmen wollte, einen Körper, den man augenblicklich zu umarmen wünschte und … Karls Magen zog sich warnend zusammen. Wann hatte er das letzte Mal solche Gefühle für eine Frau gehabt?
Marie hatte sich gefangen; sie griff nach dem Korb mit den Fischen und eilte – in der anderen Hand die Wasserflasche – auf den Kombi zu. In ihrem