Il Vesuvio - Die Ehrenwerte Gesellschaft. Renate Zawrel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Renate Zawrel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745031539
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seinen Gefühlen mittels Farbe freien Lauf zu lassen.

      Ohne Schuhe lief er dann in seiner Malerwerkstatt umher, damit seine Füße die Kraft des Bodens aufnahmen und sie in seine sensiblen Hände hinaufschickten. Dann konnte es geschehen, dass er stundenlang nicht von seiner Staffelei wich, bis er urplötzlich den Pinsel sinken ließ, als werde ein Lichtschalter ausgedreht – das Werk war vollendet.

      Während er mit geschlossenen Augen und angespanntem Sinn in sich hineinlauschte und die Idee für sein neues Werk reifen ließ, läutete schrill das Telefon.

      Nein, er würde den Hörer nicht abheben! Aber der helle, sich unaufhörlich wiederholende Ton, zerstörte die Kraft der Inspiration. Seufzend meldete er sich.

      Es war Karl! Seine Stimme hallte ein wenig wider. Überrascht vernahm Victor, wo der Freund sich derzeit aufhielt. Und schon bald setzte er sich auf den einzigen Stuhl des Ateliers, als er begriff, dass man ihm die Rolle als Staatsanwalt in einem Mafia-Thriller anbot. Nein, im Moment habe er kein Angebot für einen Film, versicherte er. Allerdings sei er froh, nach den letzten Dreharbeiten eine kleine Auszeit nehmen zu können. Ein wenig Zeit für sich selbst, brauche jeder mal, ehe man wieder von einem Termin zum nächsten hetze. Und er erzählte von der Idee für ein neues Bild, die langsam Gestalt gewinne. Karl wollte das nicht gelten lassen, drängte ihn, das Angebot nicht auszuschlagen.

      Die Aussicht, einen Blick in die Wiege der Mafia zu werfen, reizte Victor tatsächlich. Dass eine kriminell organisierte Gesellschaftsschicht einen ganzen Landstrich zu beherrschen vermochte, ohne dass der Staat etwas dagegen unternahm, war schon ein Phänomen! Doch ehe er sich in dieses Filmprojekt einbrachte, würde er ein paar grundsätzliche Erkundigungen einziehen.

      »Es ist schön, Karl, dass du an mich gedacht hast«, sagte er nun. »Meine Neugier ist bereits geweckt. Ich werde ein oder zwei Tage darüber nachdenken und dann Ronald Graham anrufen. Gib mir seine Nummer.« Damit war das Thema für Victor vorerst abgeschlossen und er erkundigte sich: »Was gibt es Neues bei dir?«

      Karl erzählte ihm, was er bislang in Neapel erlebt hatte und so ganz nebenbei fiel auch ein paar Mal der Name Marie. Victor kannte seinen Freund gut genug, um zu wissen, dass sich da offenbar etwas anbahnte. So sehr ihn männliche Neugier auch trieb, er hielt sich mit Fragen zurück. Eile mit Weile! Und so beendete er das Gespräch, mit der Versicherung, er müsse jetzt natürlich einige Dinge klären. »Ich melde mich, so schnell wie möglich. Und halte dich von Frauen fern, Karl! Das schwächt die Schaffenskraft.«

      Er lachte ungeniert in den Hörer hinein und legte auf.

      Mit der ›Inspiration des Wassers‹ war es vorbei. Victor wusch die Pinsel sorgfältig aus und legte sie beiseite. Erst einmal galt es zu prüfen, wie die Annahme des Engagements zeitlich zu managen war. Seine bereits festliegende Bilderausstellung mit gekoppelter Vorlesung wollte er nicht absagen: Zu lange war dieser Termin mit der entsprechenden Galerie ausgehandelt worden. Und die geduldig wartenden Fans wollte Victor keinesfalls enttäuschen. In der Öffentlichkeit machte er sich nämlich eher rar, daher musste dieser Event in jedem Fall stattfinden.

      ***

      Karl hatte keine Gespenster gesehen! Marie lag im ersten noch leichten Schlaf, als die Geräusche, die der Aufbruch der Besucher verursachte, sie weckten. Ein wenig benommen war sie zum Fenster gehuscht, hatte den Vorhang zur Seite geschoben und erkannt: Unten stand ein Taxi. Seine abgeblendeten Scheinwerfer warfen Licht auf die gepflasterte Zufahrt. Frederic begleitete soeben zwei Männer die Portaltreppe hinunter. Einer der Gäste drehte sich um, ehe er ins Taxi stieg und blickte herauf.

      Mit klopfendem Herzen war sie rasch einen Schritt zurückgewichen und hatte den Vorhang fallen lassen. Ob Karl Landmann sie erkannt hatte? Sie vernahm das Geräusch zuschlagender Autotüren und wagte sich noch einmal ans Fenster. »Gute Nacht«, murmelte sie. Der Gruß galt dem Mann, der gestern ihr Gefühlsleben, das sie fest im Griff zu haben glaubte, in nur wenigen Minuten ziemlich durcheinandergebracht hatte.

      Rasch sprang Marie wieder ins Bett. Der Fliesenboden war kalt und eine Erkältung wollte sie nicht heraufbeschwören. Der gestrige Regentag hatte ihr ohnehin einiges abverlangt.

      Sie schmiegte sich in die Kissen und ließ die gestrigen Erlebnisse noch einmal Revue passieren. Der vermehrte Pulsschlag, den die Erinnerung hervorrief, bestätigte ihr, dass es gut gewesen war, heute Abend einem längeren Zusammentreffen mit dem Neuseeländer ausgewichen zu sein. Der Küchendienst hatte ihr eine wunderbare Ausrede geliefert. Pierre hätte ohne Zweifel so gut wie sie die Dekoration der Speisen übernehmen können.

      Schließlich hatte sie der Versuchung, sich zu zeigen, doch nachgegeben. Karl Landmanns Blick war unbeschreiblich gewesen, als sie die Pavlova servierte: Ungläubiges Staunen? Dankbarkeit? Zuneigung? Marie hatte seine Blicke nicht zu deuten vermocht. Jedenfalls aber schien ihr, als seien sie beide allein im Raum gewesen. Sie seufzte: Wer hätte gedacht, dass sie in ihrem Alter noch einmal wie ein junges Mädchen empfinden werde? Sie drehte sich auf die andere Seite und versuchte einzuschlafen.

      ***

      Karl und Ronald trennten sich mit einem eher gemurmelten ›Gute Nacht‹ auf dem Korridor. Das Bedürfnis zu reden war gedeckt. Morgen – das hieß eigentlich heute – wollten sie den Platz begutachten, an dem man die Trailer aufstellen konnte. Ein paar Stunden Schlaf mussten also genügen.

      ›Ob Ronald morgen mit Marie sprechen wird?‹, dachte Karl. ›Ich sollte ihn vielleicht daran erinnern.‹ Er trat einen Schritt in den Korridor zurück und sagte halblaut: »Es geht ja morgen auch um die Besetzung der Geliebten …« Weiter kam er nicht.

      Ronald – die Hand am Türknauf, die Augen vor Müdigkeit fast geschlossen – gähnte herzhaft und nuschelte: »Kannst du an nichts anderes denken? Hau dich ins Bett.«

      Auf Karls Stirn erschien eine steile Falte, er ärgerte sich maßlos über sich selbst. »Also dann, bis zum Frühstück«, murmelte er.

      Ronald hatte die Tür schon geschlossen.

      Karl warf sich fast angezogen aufs Bett und schlief wider Erwarten sofort ein.

      Weil er vergessen hatte, die Vorhänge zuzuziehen, lachte ihm Stunden später eine strahlende Morgensonne direkt ins Gesicht. Schlaftrunken richtete er sich auf und stellte fest, dass er nicht mal das Hemd ausgezogen hatte. Das holte er nun nach und trat hinaus auf den kleinen Balkon. Keine Spur von Wind, doch der kalte Schauer, der ihm über den nackten Oberkörper lief, erinnerte ihn deutlich daran, dass es noch Winter war und die Sonnenstrahlen die Wärme nur vorgaukelten. Rasch trat er ins Zimmer zurück und verschwand im Bad.

      Trotz kurzer Nacht erschien er erfrischt und beschwingt als Erster zum Frühstück.

      Ronald schien noch zu schlafen. Karl bediente sich ausgiebig am Buffet und stellte schnell fest, dass ihm der Espresso in der Bar besser geschmeckt hatte, als der allgemein bekannte Kaffee, den er hier serviert bekam.

      Ronald erschien mit einem säuerlichen Ausdruck im Gesicht im Speisesaal. In der Hand hielt er ein Blatt Papier. Karl dachte im ersten Anflug, es handle sich um eine schlechte Nachricht in Bezug auf Victor. Aber es war ein Rechnungsbeleg, den Graham dem Ahnungslosen in die Hand drückte.

      »Sein Abschiedsgeschenk«, knurrte er. »Der muss die ganze Bar geleert haben.«

      Oh, oh! Es ging um Malcolm. Tatsächlich hatte der als letzten Gruß eine gesalzene Rechnung hinterlassen.

      »Mögen die Promille seinen Heimflug begleiten!«, spottete Karl. »Aufs Saufen versteht er sich jedenfalls.« Es gelang ihm, Ronald zum Grinsen zu bringen.

      Der langte nun nach den frischen Croissants und als sei ihm heute Morgen nichts Unliebsames über den Weg gelaufen, meinte er: »Das Wetter lass' ich mir gefallen. Wir werden gleich nach dem Frühstück losfahren und …«, da klingelte sein Handy.

      Mit der angezeigten Nummer konnte Graham nichts anfangen, deshalb meldete er sich förmlich mit vollem Namen. Ein frohes Lächeln erschien bald darauf auf seinem Gesicht.

      Aber aus Ronalds Antworten, wie »das ist sehr freundlich« ... »ja, um vierzehn Uhr« ... »Danke und Auf Wiederhören«, war es Karl nicht möglich zu