Il Vesuvio - Die Ehrenwerte Gesellschaft. Renate Zawrel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Renate Zawrel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745031539
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jetzt. Ich würde Victor zu dieser Stunde infolge der Zeitverschiebung höchstens wecken.«

      Damit musste Ronald sich wohl oder übel zufriedengeben.

      »Wann kommt denn dieser verdammte Bus endlich?«, knurrte er missmutig.

      Keiner der beiden konnte auf dem vergilbten Fahrplan etwas Lesbares erkennen. Die Hinweistafel blieb ihnen schon deshalb ein Rätsel, weil keiner eine Ahnung hatte, welche Tage der Woche mit den italienischen Bezeichnungen gemeint waren. Wie wenig Relevanz Fahrpläne in Italien an sich besaßen, wussten sie ebenfalls – noch – nicht. Die waren eher eine Empfehlung, ähnlich wie die Verkehrsregeln. Und dass die Busse dort auch hielten, wo sie sollten, ließ sich mit einem Roulettespiel vergleichen. Karl und Ronald hatten Glück. Ein blauweißer Linienbus steuerte schließlich auf die fermata zu.

      Eine füllige mamma in mittleren Jahren, die Karl schon an der Haltestelle mit verklärtem Blick verschlungen hatte, erwies sich nun als äußerst hilfreich: Sie bewerkstelligte für die Männer den Kauf der Fahrkarten. Das war gar nicht so einfach. Die biglietti hätten sich die beiden nämlich schon vorher besorgen sollen. Doch die Neapolitanerin überfiel den Busfahrer mit einem von wilden Gesten begleiteten, schier endlosen Redeschwall, bis ihm nichts anderes übrigblieb, als die zwei Euro einzustecken und die Fahrt als bezahlt zu betrachten. »Sempre questi touristi!«, stöhnte er kopfschüttelnd.

      Die Männer verstanden nur ›Touristen‹ und erkannten am Tonfall, dass dies nicht als Kompliment gemeint war.

      Sitzplätze gab es im Bus keine, nur Halteschlaufen. Karl ließ seinen Charme spielen und hielt ihrer gemeinsamen Gönnerin die Einkaufstasche, bis sie einige Stationen weiter ausstieg. »Ciao, bello mio«, flüsterte sie Landmann ins Ohr, quetschte ihren Busen etwas näher als nötig an seiner Brust vorbei und bedachte ihn mit einem feurigen Augenaufschlag, ehe sie sich durch die Bustür zwängte.

      Ronald grinste von einem Ohr zum anderen. »Wenn das so weitergeht, besitzt du am Ende der Dreharbeiten einen Harem. Wirklich reizend, die Dame. Sie kann sicher gut kochen, ihrem Aussehen nach zu urteilen.«

      Erst ein nicht ernst gemeinter Stoß in die Rippen ließ den Regisseur verstummen, aber das Grinsen wich nicht aus seinem Gesicht.

      Nach dem Aussteigen – die Haltestelle war von den Männern willkürlich gewählt – erstanden sie an einem schmuddelig wirkenden Kiosk einen Stadtplan von Neapel, dessen Aktualität ihnen sehr fragwürdig erschien. Sie versuchten erst einmal, ihren Standort zu lokalisieren. Als ihnen das endlich gelungen war, bewegten sie sich weiter, in ständigem Kampf mit dem Wind. Der pfiff durch die Gassen und wirbelte Kleinmüll durch die Luft. Ronald notierte sich Einzelheiten, die ihm bemerkenswert erschienen oder fertigte kleine Skizzen an. Karl gab acht, dass der in seine Aufzeichnungen vertiefte Regisseur nicht fortwährend gegen Passanten stieß.

      Irgendwann erreichten sie schließlich die Galleria Umberto, einen prachtvollen Bau, über dessen pseudobarocker Fassade sich ein Dach aus Glas und Gusseisen wölbte. Im Zentrum der Galleria, wo sich die Einkaufsgässchen trafen, überspannte eine große Glaskuppel das Einkaufsparadies.

      Die Bar, die Karl und Ronald ansteuerten, wurde von zwei Modegeschäften flankiert. Vor dem Lokal hatte der Besitzer Stühle und kleine Tische aufgestellt. Ein Blick durch die offene Tür verriet auch sofort, warum. Im Inneren war wirklich nur Platz für die Theke, an der ein paar Leute lehnten und miteinander diskutierten.

      »Wollen wir?« Ronald deutete mit dem Kopf zu den Sitzgelegenheiten. »Ich brauche jetzt einen Kaffee.«

      »Da widerspreche ich nicht.« Karl nickte zustimmend. »Kaffee hätte ich auch gern.«

      Erschöpft vom Kampf mit dem Wind ließen sich die Männer an einem der Tische nieder. Nach geraumer Zeit erschien ein junger Bursche in schwarzer Hose und weißem Hemd und machte ihnen in einem langen italienischen Wortschwall etwas klar.

      Karl nahm an, dass es um ihre Wünsche ging und bestellte – mit den Händen gestikulierend – zwei Kaffee. Der Jüngling nickte. »Capito! Due caffè.« Wenig später landeten zwei Espressos vor Ronald und Karl mit – tja, mit einem Schuss Schwärze darin. Was sie nicht wussten – wenn man in Italien einen Kaffee bestellte, erhielt man automatisch einen Espresso. Und der war nun mal stark, schwarz und bestand aus einem Fingerbreit Flüssigkeit in einer Puppentasse.

      Ronald blickte belustigt auf seinen Kaffee. »Ich denke, wir hätten davon zwei Kannen bestellen sollen.« Vorsichtig nippte er an dem heißen Getränk: Zu wenig, aber gut. Cremig und stark. Daran könnte man sich gewöhnen.

      Auch Karl nickte beifällig. »Nicht schlecht, aber eindeutig für Zwerge berechnet.«

      Der Neuseeländer musterte interessiert die Passanten. Das Publikum hier war eindeutig ein anderes als in den Gassen: Italienerinnen, wie man sie in Modemagazinen vorgeführt bekam – modern gekleidete Püppchen, in jeder Hand eine Einkaufstasche, deren Firmenemblem zeigte, in welch teurem Geschäft sie ihr neuestes Kleidungsstück erstanden hatten, hier und in noch kostspieligeren Geschäften auf dem Toledo oder in der Via Chiaia. Lässige Typen in Armani-Anzügen lehnten rauchend an den runden Stehtischen der nächsten Bar. Dies war nicht der Platz für die Neapolitaner, die irgendwo in einer der Nebengassen wohnten. Hier war die ›Ehrenwerte Gesellschaft‹ zu Hause, wenn man das so nennen wollte. Hier galt: Sehen und gesehen werden!

      Unauffällig musterte auch Ronald die Männer in seinem Blickfeld. Ob Mafiosi darunter waren? Vielleicht der Mann mit den schwarzen, nach hinten gekämmten Haaren und dem offenen Hemd, um den Hals einige Goldketten? Oder die beiden, die eben mit einem vielsagenden Grinsen im Gesicht aus dem Buchladen vis à vis kamen? Der Regisseur fragte sich, ob man die Mitglieder der Camorra tatsächlich am Aussehen erkannte oder erst, wenn sie einem schon das Messer in den Bauch rammten?

      Seine Vorstellungen, die ›Ehrenwerte Gesellschaft‹ Neapels betreffend, beruhten auf Informationen, die er in jahrelanger Kleinarbeit aus Zeitungsarchiven zusammengetragen hatte. Sie wurden ergänzt durch Recherchen aus dem Internet, stammten aus Polizeiberichten zu diesem Thema und nicht zuletzt aus Büchern, die er gelesen hatte. Den Ausschlag dafür, dass er diesen Film drehen wollte, hatte dann das Treffen mit einem ehemaligen Angehörigen der sizilianischen Mafia gegeben, der mittlerweile unter anderem Namen und mit neuer Identität in New York lebte. Ganz zufällig war er diesem Mann auf einer Party begegnet und ebenso zufällig mit ihm ins Gespräch gekommen. Je länger er sich mit diesem Aussteiger unterhalten hatte, desto vielversprechender erschien ihm der Plan, einen Film über die Mafia zu drehen – L'onorato famiglia, Ehrenwerte Familie, schwebte ihm damals als Titel vor.

      Karl zog die Blicke so mancher schönen Frau auf sich.

      Ronald fragte sich ohne Neid, was der Mann an sich hatte, dass er auf Frauen eine solche Wirkung ausübte. Er betrachtete Ausstrahlungen eher unter dem Aspekt der Auswirkung auf einen Film, der dadurch zum Publikumsmagnet wurde. Und da sah er im Geist die Top-Besetzung an männlichen Frauen-Idolen in seinem Film: Brendon Pitts, Karl Landmann und nun vielleicht auch noch Victor Anderson. Fiele die Oscarverleihung in weibliche Zuständigkeit, seinem Film wäre mit Sicherheit eine dieser hübschen Statuen sicher. Und die zarten, romantischen Ansätze des Actionfilms, die eigentlich nicht ins Gewicht fielen, weil sie sich nur am Rande ereigneten, würden dennoch einige Frauenherzen höherschlagen lassen. Aber das waren hochfliegende Träume – erst einmal hieß es abwarten. Die wichtigsten Fragen standen noch offen: Würde der Lord zusagen? Würde Victor Anderson die angebotene Rolle übernehmen? Nicht zu vergessen das Gespräch mit Don Carlos Berlotta, dem Padrone von Neapel, falls die beiden ersten Hürden erfolgreich genommen waren.

      Gemessen daran war es gegenwärtig sein kleinstes Problem, wie er ohne Sprachkenntnisse nochmals zu ein paar Tropfen Kaffee kam. Eifrig winkte er dem jungen Kellner und deutete auf die beiden Tassen. Der Bursche nickte diensteifrig. Ein tüchtiges Volk, die Italiener! Man konnte notfalls mit Händen und Füßen sprechen und wurde verstanden.

      Während Karl und Ronald – diesmal bei einem caffè latte – weitere Einzelheiten des Films besprachen, meldete sich auch ihr Magen. Schließlich hatten sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Ein Blick in das Innere des kleinen Lokals zeigte, dass in der Vitrine auch Panini und Tramezzini angeboten wurden, etwas