Il Vesuvio - Die Ehrenwerte Gesellschaft. Renate Zawrel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Renate Zawrel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745031539
Скачать книгу
beherrschte sie die italienische Sprache und zweitens war sie eine Könnerin, was das Feilschen um den günstigsten Preis betraf.

      Erst beim mercato war Francine dann wieder dabei.

      Frederic hatte inzwischen die große Kühlbox im Kombi verstaut, die für den Transport der Fische gedacht war. Höflich hielt er Marie nun die Wagentür auf und wünschte: »Gute Fahrt und lass dich nicht aufs Meer wehen.« Das Lachen war zu sehen, seine Gedanken gehörten ihm: »Selbst in den abgetragenen Jeans, dem dicken Pullover und dem wattierten Gilet, sieht sie reizend aus.« Marie hatte etwas an sich, das er sich nicht erklären konnte – eine spezielle Anziehungskraft, die selbst bei ihm, den eingefleischten Junggesellen, Wirkung zeigte.

      »Danke, Frederic, aber ich kann schwimmen.« Auch Marie lachte. »Soll ich dir Zigarillos mitbringen?« Sie wusste, dass Frederics heimliche Leidenschaft diesen braunen Glimmstängeln von Tonio galt, die der Händler noch selbst drehte und verpackte. Den Tabak erhielt der Alte als kleine Lieferung mit einem der großen Schiffe, die aus aller Welt in Neapel vor Anker gingen.

      »Das wäre wirklich außerordentlich reizend.« Der Butler deutete eine galante Verbeugung an.

      Francine kicherte. Frederic und Marie verstanden es perfekt, die Gesten und Redeweisen der vornehmen Gesellschaft nachzuahmen, so zu tun als ob … Schon viele Male hatten sie alle damit bestens unterhalten. Die Französin stieg nun in den angenehm temperierten Kombi und rief: »Au revoir, Frederic!«

      Marie fuhr den Wagen langsam an. Das Tempo würde sich schnell ändern, fädelten sie sich erst in den täglichen Chaosverkehr Neapels ein. Langsame oder gar ängstliche Autofahrer waren dort fehl am Platz. Nicht, dass Marie die Fahrt scheute, sie fürchtete nur die Unberechenbarkeit der starken Böen. Das ging selbst den routiniertesten einheimischen Autofahrern nicht anders.

      Auf den Straßen sah man noch die Überreste der gestrigen Fußballveranstaltung in Form von weggeworfenen Pappbechern, Flaschen und zerrissenen Papierfähnchen des leider unterlegenen neapolitanischen Clubs. Bei diesem Wind lohnte es sich nicht, den Müll wegzuräumen.

      »Se bastasse una canzone …«, trällerten Francine und Marie. Die Eros Ramazotti-CD im Auto verleitete sie, laut mitzusingen. Francines französisch klingendes Italienisch wirkte geradezu erheiternd.

      »Madonna mia!«, ärgerte sich Marie über einen die Fahrbahn blockierenden Kleinlaster. Hupend und gestikulierend reihte sie sich nach dem riskanten Überholmanöver in den inneren Kreis der Tangentiale ein. Wenig später befand sie sich auch schon in der Nähe des Hauptbahnhofes, von dem aus sie durch unzählige vicoli, kleine Gässchen, zur Galleria gelangte. Ohne den Motor abzustellen, ließ sie Francine aussteigen.

      »Hast du dein telefonino mit?«

      »Ja, ja, isch ‘abe ihm.« Francine nickte zusätzlich noch bejahend.

      Marie beugte sich in Richtung Beifahrersitz, um Francine noch etwas zu sagen. »Ich ruf' dich an, wenn ich vom Hafen wegfahre. Dann hast du gut fünfzehn Minuten, um dich hier wieder einzufinden.«

      »Wunderbar. Soll isch für disch schauen wegen die 'übsche Bluse?«, erkundigte sich die Französin. Beim letzten gemeinsamen shopping war ihr nicht entgangen, dass sich Marie für dieses Teil, eine Seidenbluse, interessiert hatte.

      Marie überlegte. »Ja, kauf sie«, stimmte sie zu.

      »Viel Spaß bei die Fische«, rief Francine, warf die Autotür zu und war – ruckzuck – im Eingangsportal der Galleria verschwunden. Es blieben ihr gut zwei Stunden Zeit für Einkäufe.

      Über Schleichwege, abseits der Hauptverkehrsstraße, gelangte Marie zum Frachthafen, der auf der anderen Seite des Personenhafens lag. Die Möwen, die laut kreischend über den Fischerkähnen kreisten, ließen sich auch von den Windböen nicht beirren, die zum Glück etwas nachgelassen hatten. Marie zwängte sich in eine eigentlich kaum vorhandene Parklücke und hielt die Luft an, als sie sich durch einen engen Spalt aus dem Auto quetschte.

      Wie immer, wenn sie hier am Hafen war, galt ihr erster Blick dem Vulkan, dem die Gegend – im Ernstfall eines Ausbruchs – auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Berechnungen zufolge würde der Lavastrom des Vesuvs höchstens sechs Minuten brauchen, um das Meer zu erreichen. Sechs Minuten! Natürlich gab es auch Evakuierungspläne für einen solchen Fall. Doch eine Räumung der gesamten Stadt würde mindestens sechs Tage in Anspruch nehmen – ein nahezu aussichtsloses Unterfangen. Und so hoffte jedermann, der hier und in der Umgebung des Vulkans wohnte, dass der Vesuv noch viele Jahre weiterschlafen werde. Oft schon war Marie oben beim Krater gewesen und hatte in den tiefen Schlund hinabgeschaut, dessen Sohle sich so harmlos gab. Allgegenwärtig waren dort oben nur der feine Schwefelgeruch und die Blöcke der erstarrten Lava.

      Marie wandte sich ab. Wollte sie noch vor der frühen Dämmerung des kurzen Wintertages mit der Auswahl der Fische fertig sein, war es Zeit, damit zu beginnen.

      Die kleinen Kutter schaukelten auf den vom Wind bewegten Wellen. Geschäftig liefen am Kai Händler, Großabnehmer und Seeleute umher. In der Luft lag intensiver Fischgeruch und vom Meer wehte eine salzige Brise. Beides Dinge, die Marie immer wieder begeisterten. Sie liebte dieses Land und seine Leute, die so offen und voller Herzlichkeit waren, kannte man sie erst einmal. Anfangs war die Art ihres Lebensstils sicher gewöhnungsbedürftig, hatte man sich damit aber angefreundet, war es nicht schwer, sich hier wohlzufühlen.

      ***

      Die Fensterläden – die er vor dem Einschlafen nicht geschlossen hatte – schlugen im Takt der Böen gegen die Hauswand. Ronald versuchte das Geräusch zu ignorieren, indem er die Decke über Ohren zog. Fehlanzeige.

      »Shit«, fluchte er und kroch ärgerlich aus dem Bett, öffnete das Fenster und fing die Läden ein. Er verriegelte sie und im Zimmer entstand sofort der Eindruck von Nacht. Es war jedoch fast acht Uhr morgens.

      Ronald hatte seit gestern nichts mehr gegessen und sein Magen meldete dies ungnädig. Ob Mortimer und Landmann auch schon wach waren? Karl konnte er ja unbesorgt über das Zimmertelefon anzurufen, bei Malcolm ließ er es lieber, um sich den Morgen nicht selbst zu verderben. Wenn nicht heute, vielleicht oder sogar ziemlich sicher brachten die nächsten Tage eine Entscheidung, was den Verbleib Mortimers in der Crew betraf. Denn das war ihm nach reiflicher Überlegung am Vorabend klargeworden: Ein Verhalten wie das seine konnte das gesamte Konzept zum Scheitern bringen!

      Er wählte Karls Zimmernummer und der nahm auch sofort ab. »Morning, Karl. Ich gehe zum Frühstück und wollte fragen, ob du mitkommst?«

      »Ich mache mich auch gleich auf dem Weg«, antwortete der Neuseeländer. »Wir treffen uns bei der Treppe.«

      Karl trug wie Ronald Jeans und einen dicken Pullover. Sein Gesicht umrahmte – nach Tagen ohne Rasur – wieder einmal ein dunkler Bart, der ihm das Aussehen eines Südländers verlieh. »Ist Malcolm wach?«, fragte er.

      Ronald zuckte die Schultern. »Weiß nicht. Und ich werde mich hüten, ihn zu wecken. Seine Laune von gestern reicht mir noch für heute.«

      »Geht mir ebenso. Es scheint, als sei ihm das ganze Projekt zuwider.« Karl schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich frage mich nur, warum er dann zugesagt hat.«

      »Ihr habt ihn seinerzeit vielleicht zu sehr genötigt«, grummelte Ronald. »Aber egal! Wenn er so weitermacht, fliegt er. Der vermiest ja nicht nur uns die Laune, sondern vergrault mir auch die Eingeborenen, wenn wir erst mal ein paar eingefangen haben, und das kann alles zum Erliegen bringen.«

      Karl nickte zustimmend. Blöde Situation! Er war froh, nicht in Ronalds Haut zu stecken.

      Der Regisseur war mit seinen Gedanken schon wieder beim Film. »Frage von gestern«, nahm er den Gesprächsfaden auf. »Was denkst du? Wird der Lord seine Zustimmung geben?«

      »Sir Edward machte immerhin einen aufgeschlossenen Eindruck«, erinnerte Karl. »Vielleicht solltest du ihn als Berater für gewisse Dinge in die Dreharbeiten einbinden. Sein Wissen über Land und Leute ist groß. Hab' ich ja gestern schon gesagt.«

      Ronald nickte nachdenklich. »Ich brauche auch dringend einen Sprachmittler«, gestand er. »Ich