Das Phänomen. Karin Szivatz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karin Szivatz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754171868
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Sie hörte nur noch das leise Wispern der salzigen Meerestropfen und den leisen Wind, der eine beruhigende Melodie in ihr Ohr sang.

      Sie blieb lange liegen, obwohl sie sich immer wieder halbherzig zum Gehen ermahnte. Viel zu sehr genoss sie das Zusammenspiel von Wasser und Sonne; die warmen Strahlen heizten ihre Haut ein wenig auf und die sanften Wellen kühlten sie wieder ab.

      Sie erlaubte ihren Gedanken, sich in die letzte Windung ihres Gehirns zurück zu ziehen und schaltete den Verstand ab. Sie ließ sich nur noch von den Elementen tragen und vergaß dabei die Zeit und alles, das sie umgab.

      Als jedoch ein Schatten die Wärme der Sonne auf ihrem Gesicht raubte, öffnete sie die Augen und sah Taylor neben sich stehen. Ohne sich aufzurichten schirmte sie ihre Augen mit der Hand gegen die Sonne ab und lächelte. Doch noch ehe auch nur ein einziges Wort zwischen ihren Lippen hervorkam, hatte er sich auf sie gelegt und leidenschaftlich geküsst. Aus ihren Küssen entbrannte lodernde Leidenschaften, die sie ohne jede Scham in den kühlenden Wellen des Meeres genossen.

      Nachdem sie sich den Sand vom Körper und aus den Haaren geduscht hatten, saßen sie bei einem frühen Abendessen auf der Veranda. Taylor hatte unbewusst seiner Frau die Schreckgespenster der Nacht durch seine Leidenschaft vertrieben und sie fühlte sich wieder frei und gestärkt. Während sie die Paella aufteilte, fragte sie ihn mehr beiläufig als direkt, wie denn sein Tag an der Uni gelaufen war.

      „Im Moment sind meine Studenten ganz in Ordnung. Sie sind noch wissbegierig, aufmerksam, pünktlich und interessiert. Frag mich in zwei Monaten wieder, dann werde ich ganz anders von der Rasselbande berichten!“

      Rosalie lächelte, denn sie wusste, wie sehr er seine Studenten und das Unterrichten liebte. Er forderte die Studenten, gab ihnen aber niemals das Gefühl, dämlich zu sein; und das wussten sie zu schätzen. Zumindest der Großteil. Für ihn hatte es niemals einen anderen Berufswunsch gegeben, als Geschichte an einer Universität zu unterrichten. Selbst wenn er sich hin und wieder über seine Studenten und deren Unfähigkeit lauthals beschwerte, liebte er seinen Job über alles. Besonders hatte es ihm das mystische Mittelalter, in dem Hexen verbrannt und Minnesänger umschwärmt wurden, angetan. Als Ritter für ein gar feines Burgfräulein die Schwerter zogen und die Lehnsherren den Untertanen das letzte Hemd auszogen, wenn die Ernte nicht genug für die Steuern abwarf. Darin konnte er sich stundenlang verlieren und dementsprechend kompetent war er auch. Während der letzten drei Jahre wurde er sogar immer wieder von anderen Universitäten eingeladen, an deren wissenschaftlichen Forschungen teilzunehmen und seine Expertenmeinung wurde vielerorts geschätzt und gewürdigt. Nicht selten wurde er auch zu feierlichen Anlässen in altehrwürdige Universitäten eingeladen und genoss dort stets die Aufmerksamkeit, die man ihm seitens des Professorenkollegiums schenkte; auch wenn er vergleichsweise noch sehr jung war.

      Rosalie schätzte sich glücklich, einen so gebildeten und beliebten Mann an ihrer Seite zu haben. Sie liebte ihn während jeder einzelnen Sekunde ihres Lebens.

      „Heute bin ich übrigens bei Don Henlins Feld vorbeigefahren“, platzte er plötzlich heraus und zerrte damit Rosalie aus ihren Gedanken.

      „Den Geruch, der durchs Autofenster ins Innere gedrungen war, kann man nur mehr als widerlich, echt atemberaubend bezeichnen. Es hat bestialisch nach verfaultem Grünzeug gestunken und Don stand am Rand des Ackers und starrte in Richtung Wald, aber irgendwie ganz eigenartig. Also bin ich ausgestiegen und habe zuerst den verfaulten Kohl gesehen. Alle Köpfe waren völlig schwarz und lösten sich bereits zu einer dickflüssigen Masse auf.

      Als ich Don angesprochen habe, reagierte er gar nicht. Erst als ich ihn an den Schultern gepackt und angeschrieen habe, kam er in unsere Welt zurück. Ich hatte den Eindruck, als wäre er völlig abwesend gewesen. Als er dann Worte fand erzählte er mir, dass noch gestern die Pflanzen hellgrün waren, der Boden saftig und die Blätter knackten noch so richtig gesund und voll Leben. Und am nächsten Tag lagen sie tot und zermatscht am Boden und stanken vor sich hin. Ich habe ebenso wenig Ahnung, was mit den Kohlköpfen passiert ist wie er, aber es ist schon sehr eigenartig.“

      Rosalie ließ ihre Gabel mit der Paella in der Luft schweben. „War es vielleicht der heftige Regen von letzter Nacht?“

      Taylor schüttelte den Kopf. „Das war auch mein erster Gedanke, aber Don meinte, das wäre keinesfalls möglich. Dafür war der Regen nicht intensiv und lang andauernd genug. Es würde zumindest eine Woche durchgehend regnen müssen, um die Pflanzen derart zu zerstören. Seine komplette Ernte ist hinüber – und somit auch seine Existenz.“

      Rosalie schluckte schwer. Sie stellte sich vor, dass sie und Taylor vor dem Nichts standen und fühlte sich dabei schlagartig elend. „Dann sollten wir ihn unterstützen, damit er das Jahr bis zur nächsten Ernte übersteht.“

      Taylor nickte und lächelte. Sie sah ihm an, dass er in seinem Kopf bereits ein Aktionsplan schmiedete, der dann auch realisierbar und vor allem brauchbar war. „Du bist die Beste!“, hauchte er und küsste sie auf ihr noch feuchtes Haar.

      „Ich hatte heute auch ein eigenartiges Erlebnis“, unterbrach sie seinen Gedankenstrom, ohne es zu merken. Sie erzählte ihm von Benny und seinen Suizidabsichten, die er eigentlich gar gehabt hatte.

      „Die beiden Vorfälle hören sich wirklich sehr eigenartig an. Noch dazu haben sie sich am gleichen Tag ereignet. Das Schicksal schlägt doch zeitweise richtige Kapriolen.“

      Um diesem doch ziemlich deprimierenden Thema zu entkommen erzählte Rosalie vom Jahrmarkt, bei dem eine Fahrt angeblich nur dreißig Cent kosten sollte.

      „Da gehen wir auf alle Fälle hin! Gleich morgen am Abend. Auf eine Fahrt mit der Geisterbahn warte ich ohnehin schon viel zu lange! Dich mit deiner weißen Peelingmaske zu sehen reicht auf Dauer nicht aus“, witzelte er und hob sofort die Unterarme in Abwehrstellung vor sein Gesicht. Rosalie sprang gespielt wütend auf und schlug mit ihrem Sitzpolster auf ihren Ehemann ein, der sie allerdings an der Taille packte, über seine Knie legte und ihr mit leichten Schlägen den Hintern versohlte. Sie lachten, rangen, küssten einander und gaben sich erneut der Leidenschaft hin, bis es vom Meer her zu dunkeln begann.

      5

      Schon am frühen Morgen, kurz bevor die Zeiger sich auf dreiviertel sechs Uhr, ausstreckten, als würden sie den Tag mit einer komplizierten Yoga-Übung begrüßen, läutete Rosalies Handy. Schlaftrunken tastete sie danach und stieß das Wasserglas auf dem Nachttisch um, das zu ihrem Glück, leer war. Die tote Fliege, die am Boden des Glases gelegen hatte, lag nun auf dem weichen Holzboden neben den blauen Pantoffeln.

      Als Rosalie das läutende Ungetüm gefunden hatte, war sie zumindest so weit wach, dass sie den Anruf entgegennehmen und nicht nur die leuchtenden Ziffern anstarren konnte.

      „Frau Doktor, hier ist Frieda Elms. Meine Mutter atmet nicht mehr und sie ist ganz grau und kalt und…. Bitte kommen Sie schnell!“

      Rosalie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und hoffte, damit auch den Schlaf mitzunehmen. „Frieda“, sagte sie in beruhigendem Ton. „Ihre Mutter hat vermutlich ihr Leiden hinter sich gebracht und ist nun an einem besseren Ort. Wir haben gestern darüber gesprochen, dass es nicht mehr lange dauern wird. Wir können

      Dankbar sein, dass sie nicht mehr lange leiden musste. Sie hat ihr Leben gelebt und etwas ganz Wunderbares hinterlassen: Sie, ihre Tochter und zwei hinreißende Enkelkinder. Ich denke, sie ist in Frieden mit sich und der Welt gegangen.“

      Eine Weile hörte es sich so an, als wäre nicht nur Friedas Mutter tot, sondern auch die Telefonleitung. Doch noch ehe Rosalie nachfragen konnte, ob da noch jemand sei, seufzte Frieda. „Sie haben recht, vielen Dank. Ich muss in Liebe loslassen.“

      „Das ist gut. Bedanken Sie sich noch bei ihr und geben ihr ihren Seelenfrieden mit auf den Weg. Ich komme in einer Stunde vorbei um mich von ihr zu verabschieden und um die Formalitäten zu erledigen. Sie ruht jetzt in Frieden; lassen Sie sie gehen.“

      Damit legte sie auf und warf einen Blick auf Taylor, der sie, auf seinen rechten Ellenbogen gestützt, liebevoll ansah.

      „Womit habe ich