Gungo Large - Spiel mir das Lied vom Troll. Thomas Niggenaber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Niggenaber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754118160
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toten Augen richteten sich auf Träumender Lurch. Seine ohnehin schon unheimliche Stimme klang noch finsterer und drohender, als er fragte: »Hast du … mich … gerufen?«

      »Nö«, antwortete der alte Elf wahrheitsgemäß. »Ich bin ein Schamane. Wir beziehen unsere Kräfte aus dem Leben und der Natur. Nekromantie können wir nicht verwenden und wir verachten sie auch zutiefst. Nur Magier und Hexen bedienen sich solch widernatürlicher Kräfte.«

      Wieder schien der erweckte Tote verwirrt zu sein.

      »Aber … es muss … ein Elf … gewesen sein, der … uns rief. Weißt du, wer … es war?«

      Der Schamane verneinte.

      »Dann … musst auch du … jetzt sterben!« Früher Vogel beugte sich ächzend und stöhnend hinab um sein Tomahawk aus dem Kopf des soeben verstorbenen Totenwächters zu ziehen. Mehrfach musste er das Kriegsbeil hin und her bewegen, bis sich die Schneide endlich aus dem Schädel löste. Dies verursachte ein Geräusch, das wie das Knirschen und Knacken eines langsam brechenden Astes klang.

      Da dies alles in einer sehr mäßigen Geschwindigkeit vonstattenging, hatte der Schamane ausreichend Zeit, in aller Gemütsruhe eine magische Formel zu flüstern. Nur einen Schritt konnte der Untote noch machen, dann hinderte ihn eine unsichtbare Kraft an jedweder weiteren Regung.

      Sich nicht bewegen zu können, das hätte dem Leichnam freilich vertraut sein müssen, dennoch schien es ihm nicht zu gefallen. »Was … hast du … getan?«

      Träumender Lurch grinste zufrieden. »Ich habe keine Lust auf so eine Kopfmassage mit dem Hackebeil, wie du sie meinem bedauernswerten Begleiter verpasst hast. Wer so lahmarschig ist wie du, sollte seine Mordabsichten übrigens nicht ankündigen. Es ist nur ein kleiner Paralyse-Zauber der dich hält. Jetzt können wir uns in aller Ruhe unterhalten.«

      Der wandelnde Tote, der nun nicht mehr wandeln konnte, stieß ein Knurren aus, das seinen Missmut deutlich zur Geltung brachte. »Warum … sollte ich … mit dir reden?«

      »Weil du ansonsten bis in alle Ewigkeit so dastehen wirst – bei Bewusstsein zwar, aber nicht in der Lage auch nur einen Finger zu rühren. Den Verfall verhindert mein Zauber auch, du musst also nicht darauf hoffen, irgendwann komplett verrottet zu sein. Es könnte also sehr gut passieren, dass es dir in ein paar Hundert Jahren furchtbar langweilig wird.« Der Schamane trat näher an den Leichnam heran. »Also beantworte mir ein paar Fragen und ich lasse dich wieder frei.«

      »Du lässt mich frei?«, vergewisserte sich Früher Vogel. »Aber … lässt du mich auch weiter … unter den Lebenden verweilen?«

      Der greise Elf hob die Augenbrauen. »Für jemanden, dessen Gehirn wohl größtenteils nur noch aus fauligem Matsch besteht, bist du aber recht pfiffig. Ich hatte tatsächlich vor, dich wieder in die ewigen Jagdgründe zu schicken, sobald du mir Rede und Antwort gestanden hast. Aber nun gut – ich verspreche, dich freizulassen und dich nicht wieder ins Totenreich zu verbannen. Deal?«

      Der Untote war einverstanden. »Was willst du wissen?«

      Der Schamane verschränkte die Arme vor der Brust. »Warum bist du dir so sicher, dass es ein Elf war, der euch gerufen hat? Wie ich bereits erwähnt habe, können Elfen keine nekromantischen Zauber wirken, weder Schamanen noch andere Elfen.«

      »Wer die Toten ... weckt ist egal«, erklärte Früher Vogel. »Doch folgen werden sie ... nur einem ... aus ihrem Volk.«

      »Ich verstehe!« Träumender Lurch ging grübelnd auf und ab, während er sich seinen kahlen, tätowierten Kopf kratzte. »Würde man einen toten Zwerg erwecken, so würde dieser nur einem Zwerg gehorchen, ein wiederauferstandener Mensch würde nur einem Menschen folgen und bei allen anderen Rassen wäre es ebenso. Der Elf, der euch gerufen hat, war nicht zugleich derjenige, der euch auch erweckt hat. Er hatte Hilfe von jemandem, der nicht dem elfischen Volk angehört und die Nekromantie beherrscht.«

      Er warf einen Blick gen Himmel, wo inzwischen ein voller, tief stehender Mond aufgegangen war und die gespenstische Szenerie in ein fahles Licht tauchte. Der Umstand, dass er sich inmitten von Totenstätten mit einem paralysierten, auferstandenen Leichnam unterhielt, störte den Schamanen nicht weiter. Auch das erst kürzlich stattgefundene Ableben seines Begleiters machte dem abgeklärten, lebenserfahrenen Elf nicht zu schaffen. Etwas anderes bereitete ihm Kopfzerbrechen.

      »Oder ist es viel mehr so, dass dieser Jemand die treibende Kraft ist und er sich nur des Elfen bedient hat, um die untoten Elfen zu kontrollieren?« Er wandte sich wieder an seinen halb verwesten Gesprächspartner. »Aber warum das alles? Um eine Armee aus Untoten zu erschaffen? Dann wäre es doch viel einfacher, sofort die Verstorbenen des eigenen Volks zu erwecken.«

      »Ich weiß … es nicht«, gestand Früher Vogel. »Ich habe nur den Ruf … von einem aus meinem Volk … vernommen. Dann habe ich mich erhoben … öhm … vielleicht nicht ganz so schnell wie ich ... gekonnt hätte. Dann … habe ich … euch zwei Idioten … getroffen.«

      »Was hättest du getan, wären wir nicht hier gewesen?« wollte der Schamane wissen.

      »Ich wäre … gegangen«, der Leichnam zögerte und dachte nach. »Nach Nordwesten? Ja, Nordwesten. Irgendetwas zieht mich … in diese Richtung. Ist dort vielleicht ... derjenige, der … mich gerufen hat?«

      »Du wirst es nie erfahren!« Träumender Lurch schnippte mit den Fingern und begleitet von einem leisen Knistern zerfiel der morsche Körper des Untoten zu Staub. Nur der Kopf blieb davon verschont und immer noch von magischer Energie belebt, fiel er zu Boden.

      »Aua!« rief der Schädel.

      Der Schamane sah auf ihn herab. »Hoppala! Da ist mir wohl ein kleiner Fehler unterlaufen!«

      Dass dem nicht so war, das wusste er ebensogut wie Früher Vogel. Dessen trübe Augen zeigten nun zum ersten Mal eine Gefühlsregung. Voller Wut und Hass starrten sie zu dem alten Elfen hinauf. »Du hast mich … betrogen!«

      »Gar nicht«, erwiderte Träumender Lurch. »Du bist frei und noch unter den Lebenden – so what?«

      Er hob den Kopf auf, sorgsam darauf achtend, dass dieser ihn nicht in die Finger beißen konnte. Dann trug er ihn zu einem, am Rande des Bestattungsortes etwa anderthalb Meter aus dem Boden ragenden Ast und spießte ihn darauf auf.

      »Ich habe dir sogar einen Job besorgt. Hiermit ernenne ich dich zum neuen Wächter über die Toten – meinen Glückwunsch! Für die körperlichen Arbeiten werden wir noch jemanden finden müssen, aber die Oberaufsicht obliegt von nun ab dir.«

      Breit grinsend betrachtete der Schamane sein Werk. Der aufgespießte Schädel gab nur ein zorniges Knurren von sich.

      »Freust dich ja gar nicht«, stellte Träumender Lurch fest. »Undankbarer Moderkopp!«

      Er drehte sich um und trat neben die Leiche des ehemaligen Totenwächters. Voller Bedauern sah er auf diese herab und ein Seufzen entrang sich seiner Kehle. »Echt dumm für dich gelaufen, mein Freund. Das hast du nicht verdient. Ich sorge dafür, dass man dich anständig bestattet. Also lauf nicht davon.« Er sah wieder den aufgespießten Kopf an. »Unter den derzeitigen Umständen wäre das nämlich durchaus möglich. Pass deshalb gut auf ihn auf!«

      Er zog die Pfeife aus seinem Hosenbund, die er auf einem der Totengerüste gefunden hatte und die ihn daran erinnerte, dass er noch etwas zu erledigen hatte.

      »Es wird Zeit, dem Häuptling einen Besuch abzustatten«, murmelte er zu sich selbst. Dann lief er los, dem Kopf auf dem Ast zum Abschied winkend.

      Bald schon hatte er den Ort der Toten hinter sich gelassen und so schnell, wie es ihm möglich war – was im Fall des dynamischen Greisen bekanntlich außergewöhnlich schnell bedeutete –, erreichte er das Tipi des Stammesoberhauptes. Hätte er vor diesem doch nur kurz angehalten und wären ihm die seltsamen Geräusche, die aus dem Tipi drangen, doch nur aufgefallen. Es wäre nicht zu jener peinlichen Situation gekommen, die sein ungestümes Verhalten nun zwangsläufig verursachte. Er stürmte in das Zelt, während Stehender Gaul und seine Frau gerade eifrig dabei waren, ihren ehelichen Pflichten nachzukommen.