Wind über der Prärie. Regan Holdridge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Regan Holdridge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742769848
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einen seiner Scheine, woraufhin er ein paar Münzen zurückerhielt.

      „Hallo!“, sagte eine tiefe, rauchige Frauenstimme neben ihm unerwartet und berührte ihn sanft am Arm. Hubert fuhr herum. Er schluckte. Neben ihm stand eine kleine, üppige Blondine, mindestens zehn Jahre älter als er und lächelte zu ihm hinauf. „Dich kenn’ ich ja noch gar nicht! Neu hier?“

      „Ja...nur vorübergehend“, brachte Hubert überrumpelt hervor. Seine Augen glitten hastig ihren Körper hinab, der in einem engen Corsagenkleid steckte, das jedoch ihre Knie gerade noch bedeckte. Darunter trug sie Netzstrümpfe und Schnürstiefeletten mit hohem Absatz. Noch nie zuvor hatte er eine Frau gesehen, die sich in der Öffentlichkeit derart freizügig kleidete und er spürte, wie sein Puls schneller zu schlagen begann. Ihr Anblick löste unbekannte Gefühlswallungen in ihm aus, irgendetwas in ihm verlangte geradezu unwiderstehlich danach, sie zu berühren und sein Verstand sagte ihm gleichzeitig, dass er sich derartige Frechheiten nicht erlauben durfte. Sie arbeitete vermutlich hier und obwohl sie es sicherlich gewohnt war, von Männern betatscht zu werden, wollte er nicht riskieren, gleich bei seinem ersten Besuch in einem Saloon unangenehm aufzufallen. „Ich...ich gehöre zu einem der Siedlertrecks vor der Stadt.“

      „Ah!“, machte die Blondine und ihr Lächeln wurde breiter. „Ich hab’ schon gehört, dass wieder ein paar angekommen sind. Ist ja nichts Neues, passiert ständig. Die einen kommen, die anderen gehen... Trotzdem immer schön, wenn fremde Gesichter sich hier rein verirren – vor allem, wenn sie so sympathisch sind, wie das deine!“

      Geschmeichelt wiegte Hubert den Kopf. „Na ja, ich gebe mir Mühe, nicht zu abschreckend zu wirken.“

      „Das tust du nicht“, versicherte die Lady, während sie ihn eingehend betrachtete, was Hubert nicht entging. „Ich heiße übrigens Suzie.“

      „Freut mich. Mein Name ist Hubert Kleinfeld.“

      „Deutscher, was?“, erkannte sie sofort. Sie streckte den Arm aus und berührte seinen Oberarm, wo sie unter seinem Hemd starke Muskeln fand. Das schien ihr zu gefallen. „Hmm, nicht übel!“

      Er gab sich gleichgültig. „Das kommt vom vielen Bretter durch die Gegend wuchten. Die Eisenbahn scheint nur damit beschäftigt zu sein, irgendwo irgendetwas anbauen zu müssen.“

      „Sag mal, Hugh...“ Sie sprach seinen Namen ganz automatisch und ohne nachzudenken in seiner englischen Form aus, doch es gefiel ihm. Überhaupt, nicht nur, wie sie seinen Namen sprach, auch sie selbst wirkte ungeheuer anziehend auf ihn, je länger er sich mit ihr unterhielt. „Es macht dir doch nichts, dass ich Hugh sage, oder? Das ist viel einfacher für mich, ich kann nämlich nur Englisch und Ungarisch.“

      „Nein“, erwiderte er und lächelte zu ihr hinab. „Im Gegenteil! Es gefällt mir!“

      „Schön!“ Sie beugte sich zu ihm hinüber und gewährte ihm einen tiefen Einblick in ihr üppiges Dekolleté. „Hast du nicht Lust, ein bisschen mit mir nach oben zu kommen?“

      Hubert schluckte. Sein Herzschlag setzte einen Moment aus. Er begriff. Mit einem Mal erkannte er, was sie war und dass es keine Rolle spielte, wenn er sie anfasste. Sein Vater hatte es ihm erklärt, ihn in seiner sachlichen, nüchternen Art eines Morgens darüber unterrichtet, wie Kinder zustandekamen und dass dieses „Geschehen“ außerhalb der Ehegemeinschaft absolut verboten und sündhaft sei. Vermutlich hätte Friedrich nie ein Wort darüber gegenüber seinem Sohn verloren, wenn...ja, wenn er nicht an einem Morgen aufgewacht wäre und festgestellt hätte, dass etwas anders war, ganz anders, dass sein Körper etwas mit ihm gemacht hatte, das er nicht begriff und von dem er nicht wusste, warum es geschah. Friedrich hatte ihn darüber aufgeklärt, dass er nun „ein richtiger Mann“ sei, der die Pflicht hätte, „sich zusammenzureißen und der Fleischeslust niemals die Überhand gewinnen zu lassen“. Lange hatte Hubert darüber nachgedacht, was sein Vater damit wohl meinte, mit dem Wort Fleischeslust. Dann hatte er ihn gefragt und Friedrich hatte ihm streng und sehr entschieden erklärt, dass jegliche Tätigkeit dieser Art außerhalb einer ehelichen Beziehung nicht vor Gott und der Kirche vertretbar sei, ja, dass es sich geradezu um eine Sünde handele, die bestraft werden müsste. Allerdings hatte Hubert diese Erläuterung auch nicht viel geholfen. Erst dank einem seiner Kumpel in Deutschland, der da wesentlich erfahrener schon war, hatte er alles darüber erfahren, was sich zwischen Mann und Frau so abspielte und dass es Damen gab, die damit ihren Lebensunterhalt verdienten.

      Hubert atmete tief durch. Er war jetzt achtzehn und durchaus fähig, eigene Entscheidungen zu treffen. Sein Vater würde ihn vermutlich erschlagen, wenn er wüsste, was er hier trieb, dass er im Saloon stand, ein Bier trank und sich mit einer Frau namens Suzie unterhielt, die für Geld ihren Körper an Männer verkaufte, die sich nach weiblicher Begleitung sehnten.

      Hubert fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Der Reiz, die Vorstellung und vor allen Dingen das brennende Verlangen, endlich zu wissen, wie es sich anfühlte, sich dieser Lust hinzugeben, die er bislang nur aus seiner Fantasie kannte, drängten ihn dazu, sein Geld in ihren Ausschnitt zu stecken, doch da war auch seine strenge, christliche Erziehung, die ihn anschrie, ihn zurückhalten wollte. Er kämpfte mit sich. Noch nie hatte ein Mädchen ihm gegenüber Interesse gezeigt und er war auch noch nie wirklich in Versuchung geraten, sich einer von ihnen unsittlich zu nähern, aber jetzt, da diese Suzie vor ihm stand und er wusste, dass er sie haben konnte, für ein bisschen Geld, ohne weitere Verpflichtungen...

      „Ja“, hörte er sich leise sagen. „Ich komme gern mit...sehr gern!“

      Der Duft von frischer Gulaschsuppe lag in der Luft. Der kleine Herd verbreitete eine erstaunliche Wärme und das Feuer darin knisterte laut und heimelig. Friedrich saß aufrecht am Tisch, die Bibel vor sich aufgeschlagen und las leise darin. Die Predigt für den kommenden Sonntag musste vorbereitet werden.

      „Deck den Tisch, Juliane“, sagte Luise in ihrem eigenen, strengen Tonfall und ihre Tochter, die eben noch über ihren Englischunterlagen gesessen hatte, sprang hastig auf. Sie räumte das Vokabelbuch beiseite, auf die Kommode im Eck und holte die Zinnteller und das Besteck aus dem Schrank. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, in jeder freien Minute an ihren Sprachkenntnissen zu arbeiten.

      „Die Tassen auch!“ Kopfschüttelnd betrachtete ihre Mutter ihr tun. „Kannst du noch nicht einmal einen Tisch decken?“

      „Doch!“, versicherte Julie hastig. „Natürlich!“

      Es lag nur daran, weil sie mit ihren Gedanken nicht bei der Sache war. Bei jedem kleinen Geräusch zuckte sie zusammen, weil sie glaubte, Hardy Retzner würde vor der Tür stehen. Es war keine gute Idee, dass er hierher kam. Je länger sie darüber grübeln konnte, desto überzeugter war sie davon. Ihre Eltern würden ihr nie erlauben, ihm zu assistieren und am Ende zerstritten sie sich womöglich noch alle und dabei wollten sie doch gemeinsam weiterziehen, sobald sich ein größerer Treck nach Westen aufmachte! Nur die schlechten Wetterprognosen und die anhaltenden Regenfälle verhinderten derzeit, dass irgendjemand es wagte, die lange, beschwerliche Reise fortzusetzen.

      Luise seufzte. „Nikolaus müsste jeden Moment kommen und bei Hubert weiß man ja nie! Wir werden nicht auf ihn warten, sondern ihm das Essen auf den Herd stellen, dann kann er sich selbst nehmen, wenn er nach Hause kommt.“

      „Die beiden Jungen sind unglaublich fleißig“, bemerkte Friedrich voller Stolz und schlug die Bibel zu. „Mit Huberts Lohn und dem, was ich bekomme, können wir uns in Oregon einen schönen Neuanfang leisten!“

      „Trotzdem finde ich es nicht richtig, dass Nikolaus immer bis spät in die Nacht die Pferdeställe ausmisten muss“, warf Luise besorgt ein und trug den Topf hinüber an den Tisch. Sie setzte sich an ihren Platz, neben ihren Mann, als die Tür aufgerissen wurde.

      „Ich bin da! Hat etwas länger gedauert!“, schrie Nikolaus. Ein Schlag ließ das Haus erzittern, als er die Tür hinter sich ins Schloss knallte.

      „Mein Sohn!“ Friedrich warf ihm einen bösen Blick zu. „Was soll dieser unnötige Krach?“

      „Entschuldige“, murmelte der Junge schuldbewusst und rutschte lautlos auf seinen Stuhl neben seiner Schwester, um die Hände zu falten