Wind über der Prärie. Regan Holdridge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Regan Holdridge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742769848
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      „Wir brauchen auch so ein Ding.“ Friedrich deutete neben sich, wo ein kleines Zelt aus festem Stoff mit Heringen im Boden verankert war. „Im Sommer werden wir bestimmt auch einige Gewitter und Stürme miterleben.“

      „Es wäre zumindest keine schlechte Idee“, sagte Hardy Retzner leise und schüttelte den Kopf. „Es sind sicherlich einige hundert Leute hier und alle wollen sie weiter, aber kaum einer ist auch nur vernünftig gerüstet.“

      „Es ist ein wenig spät für diese Einsicht.“ Friedrich klopfte ihm sacht auf die Schulter. „Wir waren unerfahren und wir haben die Naturgewalten zu wenig berücksichtigt. Das hier ist eben doch ein wildes Land voller Abenteuer, nicht zu vergleichen mit Deutschland. Wir können nur versuchen, das Beste daraus zu machen.“

      Die beiden Maultiere mussten abgeschirrt und gefüttert werden, was Nikolaus mit Hilfe von Doktor Retzner erledigte. Sie begannen, die Plane, die über den Wagen gespannt war, gut festzuzurren, damit möglichst kein Wind darunterfahren und sie anheben konnte. Nach vorn, in Richtung Kutschbock, verschnürten sie sie komplett. Hubert hängte zusätzlich noch eine Decke davor.

      „So kann zumindest kein Wind rein“, meinte er und kroch nach hinten, wo Juliane sich bemühte, ihre viel zu knapp bemessenen Decken gerecht im Wageninneren zu verteilen. Auf einmal stieß sie einen leisen Ruf aus: „Seht mal! Dort!“

      Verwundert hob ihr Bruder den Blick. Zwischen den Planwagen und Zelten hervor kam der Engländer geschritten, dessen Namen sie nicht kannten und der sie bis hierher gebracht hatte. Es schien, als wollte er genau zu ihnen. Ein weiterer Mann begleitete ihn. Er war groß und schlank, in eine Wildlederjacke gekleidet und einem Abzeichen in Form eines glänzenden, silbernen Sterns auf der Brust.

      „Was tut er hier?“, wisperte Nikolaus, während er unablässig Ottos Fell striegelte. Luise trat beschützend zu ihrem Sohn, als befürchtete sie, etwas könnte ihm zustoßen. Sie war damit beschäftigt gewesen, die Pfannen, Teller, Becher und die Kaffeekanne auszupacken, um ihnen unter den gegebenen Umständen bestmöglich eine warme Mahlzeit zuzubereiten.

      Friedrich war losgezogen, um Feuerholz zu sammeln und dabei in ein Gespräch mit anderen Siedlern ihres Trecks verwickelt worden. Er wollte mehr darüber erfahren, wie es die nächsten Tage weitergehen würde und er war noch nicht zurück und nirgends zu sehen, auch wenn Luise verzweifelt nach ihm Ausschau hielt.

      „He! Sie da!“, sagte der Mann mit dem Abzeichen an der Jacke, als er bei ihnen angelangt war und deutete auf Doktor Retzner. „Der Typ hier meint, er sei so etwas wie euer Führer und behauptet, Sie seien Arzt!“

      Der Österreicher starrte ihn lediglich fragend an. Der Mann sprach mit einem nuscheligen Akzent und er verstand keine Silbe davon.

      „Er fragt, ob Sie ein Doktor sind“, wisperte Julie auf Deutsch und endlich nickte Hardy Retzner, ehe er ein wenig mühsam die Frage beantwortete: „Ja, das bin ich.“

      „Der Sheriff hat angeordnet, dass sich Ärzte sofort bei ihm melden sollen, weil sie überall gebraucht werden. Am besten, Sie kommen gleich mit und wir sagen ihm Bescheid. Ich bin sein Gehilfe.“

      Der Österreicher starrte ihn einen Moment fassungslos an, dann wandte er den Kopf zu Julie und Hubert um. „Ah, geh! Jetzt muss ich nur noch verstehen, was der Kerl von mir will!“ Er sprach wieder auf Deutsch. „Die Hälfte der Wörter kenn’ ich nicht!“

      Julie gluckste, was ihr einen rüden Ellenbogenhieb Huberts einbrachte, der Doktor Retzner aufklärte, was von ihm erwartet wurde.

      „Aha!“, machte dieser und nickte dem Hilfssheriff zu. „All right!“

      „Gut, dann wäre das ja geklärt“, mischte sich der Engländer nun ein, sich am Kinn kratzend. „Nachher kommt er nochmal mit einer Liste, in der wir uns alle eintragen müssen, für das Gesetz, verstehen Sie?“

      Doktor Retzner zuckte lediglich die Schultern und begann, nach seiner Tasche zu rumoren, die er im Wagen verstaut hatte.

      „Sie haben’s gut“, meinte Hubert und lächelte. „Alles ist besser als hierbleiben zu müssen, auf diesem...diesem Sammelplatz.“

      „Ja“, lautete die deutsche Erwiderung. „Aber ich tue das nur, weil ich einen Eid abgelegt habe, allen Menschen zu helfen die mich brauchen. Ich habe kein besonders gutes Gefühl, Sie hier zurückzulassen.“ Er warf Juliane einen langen Blick zu, die schweigend neben ihrer Mutter verharrte.

      „Passen Sie auf sich auf.“ Hubert klopfte dem Österreicher auf die Schulter und konnte nicht verhindern, dass er sich dabei sehr erwachsen fühlte. Immerhin war er nun derjenige, der die Position seines Vaters einnahm, nachdem dieser nicht anwesend war. „Nicht, dass wir am Ende ohne Sie weiterreisen müssen!“

      „Keine Sorge!“ Doktor Retzner lächelte. „Ich werde so bald als möglich von mir hören lassen! Und ich sehe zu, dass ich ein paar Decken oder andere Nützlichkeiten organisieren kann!“

      Der Engländer gab ihm einen Wink, sich zu beeilen und sie marschierten in entgegengesetzter Richtung davon, aus der sie gekommen waren. Hardy Retzner folgte dem Hilfssheriff und gleich darauf waren sie zwischen den Wagen und Zelten verschwunden.

      „Nun ja.“ Luise brach als erste das eingetretene Schweigen. Ihre Pläne mussten nun ganz andere Wege gehen, allerdings war zuallerst der Versuch an der Reihe, ein halbwegs genießbares Essen zu zaubern. „Dann brauche ich mir jetzt wenigstens keine Gedanken mehr zu machen, wie wir den Platz im Wagen einteilen. Ich habe mich jede Nacht gesorgt, dass er zu nahe bei Juliane schläft!“

      Das Mädchen verdrehte die Augen. „Ach, Mutter!“

      Hubert machte eine unwirsche Handbewegung. „Hört auf damit! Wir haben keine Zeit für solche Diskussionen! Wir sollten uns lieber um das Feuer kümmern und ich sehe nach, wo Vater steckt und was ihn so lange aufhält.“

      Luise entzündete eine Petroleumlampe, während Juliane ihrem Bruder dabei zur Hand ging, Hans und Otto zu versorgen. Das dämmrige Licht reichte gerade dazu aus, um sie ein wenig besser etwas erkennen zu lassen, doch der nächste Windstoß bließ es bereits aus. Wenige Minuten später tauchten Friedrich und Hubert auf, beide die Arme voller Feuerholz. Sie bildeten einen Stapel und rahmten ihn mit einigen Steinen ein, ehe Friedrich das Feuer entfachte.

      „Es wird eine verflixt kalte Nacht werden hier draußen“, mutmaßte Juliane, während sie ihre Hände über dem Feuer wärmte. „Können wir nicht einfach wieder in eine Pension gehen, wie in New York?“

      „Aber nur für Geld“, warf ihr Bruder ein. „Und dafür reicht es nicht mehr!“

      „Red’ nicht zu mir wie zu einem Kleinkind! Ich habe nur gefragt!“

      „Und ich habe dir einfach nur eine Antwort gegeben!“

      „Reißt euch zusammen, beide!“ Ihr Vater machte eine unwirsche Handbewegung. „Alles weitere werden wir morgen sehen und erfahren. Für heute sind wir nicht dazu bestimmt, die Lage zu ändern.“

      „Bedauerlich!“ Juliane seufzte dramatisch und stützte ihren Kopf in die Hände. Sie fühlte sich verloren und da war eine Leere in ihr, die sie nie zuvor gekannt hatte. Nun schön, jetzt waren sie also hier, in diesem sogenannten Land der Verheißung, allerdings war hier nichts besser als es bei ihnen Zuhause gewesen war. Ganz im Gegenteil! Sie hatten noch nicht einmal mehr ein festes Dach über den Köpfen, sondern waren dazu gezwungen, die nächsten Wochen oder Monate in einem Planwagen zu verbringen! Sie glaubte, die Welt und das Schicksal hatten sich gegen sie verschworen, während eine Welle von Heimweh ihr Herz durchflutete.

      Später, als sie zwischen ihrer Mutter und der Holzwand des Wagens lag, konnte sie unter der Plane hinausblinzeln, um in der klaren Nacht einen Blick auf die glänzenden Sterne zu erhaschen. Ihr Vater sprach ein Gute-Nacht-Gebet und gemeinsam beteten sie das Vaterunser, auch wenn Julie sich nicht auf die vertrauten Worte konzentrieren konnte. Sie dachte daran, wie sie dies Zuhause selbstständig zu tun gepflegt hatten. Als ich noch Zuhause gewesen bin, dachte sie und schämte sich, weil sie ihrem Vater nicht zuhörte. Als ich noch mein eigenes Zimmer hatte und ich