Wind über der Prärie. Regan Holdridge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Regan Holdridge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742769848
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körperlichen Arbeit und Friedrich holte wieder seine Bibel hervor. Julie atmete auf. Es war schon so spät, da würde Doktor Retzner bestimmt nicht mehr kommen!

      „Oh, es regnet schon wieder“, sagte Luise, als sie die Schüssel mit schmutzigen Wasser nach draußen, vor die Tür kippte. Das Pfarrhaus stand abgeschieden und geschützt unter Bäumen, doch die Lichter von St. Louis waren in der Dunkelheit wie unwirkliche Punkte zu erkennen.

      „Und gleich wie aus Kübeln! Wenn das so weitergeht, haben wir bald Hochwasser!“ Luise blieb in der Tür stehen und schaute weiter hinaus in die Dunkelheit. Es zog kalt herein.

      Julie lächelte kurz. Sehr gut, das kam ihr gerade recht. Doch der nächste Satz ihrer Mutter ließ sie zusammenzucken: „Ja, Hardy, sowas! Ja, kommen Sie doch herein! Welche eine Überraschung! Wir dachten schon, wir sehen Sie vor der Abreise gar nicht wieder!“

      „Ah, geh!“, erwiderte der Österreicher und schüttelte sich die Regentropfen von der Jacke und dem Hut, ehe er eintrat. „Wer weiß, wie lange wir noch hier warten müssen, bis es endlich weiter Richtung Westen geht!“

      „Kommen Sie, kommen Sie!“, bat nun auch Friedrich. Er schob die Heilige Schrift beiseite. Sein tiefer Bariton verriet, wie ehrlich er sich über den unerwarteten Besuch freute. „Setzen Sie sich! Luise, schenk’ unserem Gast Tee ein!“

      „Bitte keine Umstände!“ Lächelnd nahm Doktor Retzner am Tisch Platz. Sein Blick traf Julie, die ihn ängstlich betrachtete. Ihre Hände umkrampften das Vokabelbuch, als wollten sie es zerreißen, doch er zwinkerte zuversichtlich und ihre Hoffnung auf einen friedlichen Verlauf des Abends schwand. Er würde wahrhaftig davon anfangen! Wie konnte sie es nur verhindern? Während sie noch verzweifelt nach einem Ausweg suchte, war es bereits zu spät.

      „Ganz grundlos bin ich ja nicht da“, begann der österreichische Arzt jetzt und bedankte sich bei Luise, die ihm einen Zinnbecher reichte.

      „Nein?“, fragte Friedrich erwartungsvoll und blickte dabei seine Tochter an, die jedoch schnell den Blick auf die Tischplatte richtete. Er glaubte, zu begreifen und unterdrückte ein Schmunzeln.

      „Nein“, erwiderte Doktor Retzner und schluckte. „Wissen Sie, ich habe Arbeit und das nicht zu knapp, aber gewisse Verständigungsprobleme mit der hier ansässigen Bevölkerung.“

      Begriffsstutzig starrte Friedrich ihn an. „Wie bitte?“

      „Leider, ja.“ Hardy fuhr sich durch das strohblonde Haar. „Es ist zwar eine Schande für einen Arzt, aber ich bin der englischen Sprache alles andere als mächtig.“

      „Oh!“, machte Friedrich verständnisvoll. „Das gleiche Problem hatte ich auch, aber seitdem ich für die Kirche tätig bin, bleibt mir nichts anderes übrig, als die Bibel auf Englisch zu lesen und jeden Tag ein paar neue Wörter dazuzulernen!“

      „Natürlich“, versicherte Doktor Retzner eilig. „Nur habe ich diese Zeit leider nicht, weil es mehr Patienten gibt als zwei Ärzte bewältigen können. Mein Kollege Stankovski ist nicht mehr der Jüngste und sein Rheuma, nun ja, das erleichtert es ihm auch nicht gerade!“

      „Ich habe davon gehört“, warf Luise ein und schaute von ihrer Strickarbeit auf, in die sie mittlerweile vertieft war. Sie hatte sich ihren Stuhl nahe an den Ofen gezogen, denn ihr war kalt, wie so häufig. Auch hatte sie durch die Strapazen an Gewicht verloren, was ihr deutlich anzusehen war. Sie lächelte bescheiden. „Der Doktor sah auch sehr blass aus, als er mir vorgestellt wurde.“

      Hardy Retzner räusperte sich. „Aus diesem Grund bin ich hier.“

      Friedrich verstand nicht, doch er nickte freundlich. „Wie können wir Ihnen helfen, Hardy? Wir tun es gern, keine Frage, aber ich sehe keinen Weg, wie...“

      „Oh doch!“, warf Doktor Retzner schnell ein. Sein Blick wanderte zu Julie, deren große, bernsteinfarbene Augen ihm flehend zu verstehen gaben, nicht weiterzusprechen, doch es war nicht mehr aufzuhalten.

      „Ich brauche eine fähige Krankenschwester, die mir zur Hand gehen kann und die gleichermaßen gut Englisch und Deutsch spricht, um mir zu übersetzen! Und sie muss natürlich auch ein gewisses Geschick mitbringen und den Mut, sich dieser Aufgabe zu stellen!“

      Friedrich verstand augenblicklich. Er betrachtete seine einzige Tochter lange, die ihren Blick stur und regungslos wieder auf die Tischplatte gerichtet hielt.

      „Juliane?“, fragte ihre Mutter jetzt und ließ keinen Zweifel daran, wie sehr sie dieser Idee abgeneigt war. „Sie wirft ja sogar beim Tisch decken mit den Tellern um sich, das ungeschickte Ding! Wie soll Sie Ihnen da eine große Hilfe sein?“

      „Meine Frau hat recht“, stimmte Friedrich ihr sofort zu. Er schüttelte den Kopf und seufzte. „Juliane ist wirklich nicht das Geschick in Person und von Medizin versteht sie überhaupt nichts! Ich glaube nicht, dass Sie mit ihr sehr glücklich bedient wären!“

      „Oh, lieber Pastor Kleinfeld!“ Doktor Retzner hob die Hände. „Es tut mir leid, aber ich kann Ihre Meinung ganz und gar nicht teilen! Ihre Tochter ist ausgesprochen lernfähig und soweit ich sie bisher kennengelernt habe, besitzt sie durchaus die nötigen Voraussetzungen, die eine gute Krankenschwester mitbringen muss. Was natürlich für mich ganz entscheidend zu meiner Wahl beigetragen hat, ist, dass sie beide Sprachen mittlerweile beinahe fließend beherrscht!“

      „Da ist allerdings was dran“, entgegnete Friedrich nach kurzem Zögern und ein wenig Stolz schwang in seiner Stimme mit. „Englisch spricht sie besser als wir alle zusammen!“

      „Trotzdem bin ich dagegen“, warf Luise energisch ein. „Sie ist ein Mädchen, das noch nicht einmal einen Haushalt führen könnte, wenn sie erst einmal ins heiratsfähige Alter kommt!“

      „Ich bin bereits im heiratsfähigen Alter!“, stieß Julie trotzig hervor. Wieder passierte das, was sie am meisten an sich selbst fürchtete – sie konnte ihr vorlautes Mundwerk nicht beherrschen. „Auch wenn ich nicht vorhabe, mich an einen Mann zu ketten!“

      „Juliane!“ Friedrichs Faust krachte auf den Tisch. „Was sind denn das für Reden? Nie wieder will ich etwas Derartiges von dir hören, haben wir uns verstanden? Jede Frau hat irgendwann zu heiraten und dafür zu sorgen, dass viele, gesunde Kinder das Licht dieser Welt erblicken!“

      „Ja, Vater“, murmelte das junge Mädchen demütig und biss sich auf die Lippen. Sie war wütend auf sich selbst, aber noch wütender auf die Tatsache, nur ein Mädchen zu sein, dem so viele Grenzen aufgezeigt wurden.

      Eine lange Pause trat ein. Schließlich wagte Doktor Retzner es, sich als erster weiter zu dem angesprochenen Thema zu äußern: „Vielleicht täte es Ihrer Tochter einmal ganz gut, wenn sie eine verantwortungsvolle Aufgabe übertragen bekäme und eine Arbeit, bei der sie gefordert wird.“

      „Hmm“, knurrte Friedrich missmutig und fixierte seine Tochter scharf. „Sie meinen, sie bräuchte einmal jemanden, der ihr zeigt, dass es für eine Frau besser ist, Zuhause zu bleiben?“

      „So in etwa“, erwiderte Doktor Retzner eilig. Er warf Julie einen kurzen, mahnenden Blick zu. „Es wäre mir allerdings ganz recht, wenn Sie sich möglichst schnell entscheiden könnten, denn sonst werde ich mich auf die Suche nach einer anderen Dame machen, auch wenn ich weiß, dass keine so gut geeignet wäre, wie Ihre Tochter.“

      „Und was ist mit der Hausarbeit?“, wollte Luise wissen, korrigierte sich jedoch sofort: „Nein, das ist jetzt allerdings unwichtig. Viel entscheidender ist, dass Juliane Ihnen eine Hilfe sein kann, wenn Sie so dringlich eine benötigen!“

      „Der Ansicht bin ich allerdings auch!“ Friedrich seufzte tief. „Also, schön!“ Er nickte und reichte Doktor Retzner die Hand. „Ab morgen wird Juliane Ihnen in der Praxis helfen, bis wir uns einem Treck nach Westen anschließen können! Wann soll sie dort sein?“

      Überrumpelt starrte der österreichische Arzt ihn für eine Sekunde an. Er hatte nicht mit einer solch schnellen Einigung gerechnet, doch offensichtlich schien der Pastor ihm nicht nur zu vertrauen, sondern ihm seine Tochter sogar sehr gerne in Obhut zu geben.

      „Es