Endstation Sehnsucht. Malcom Brady. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Malcom Brady
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742750518
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       Wir reorganisieren uns und legen los, wie die Feuerwehr. Das Haupttheater von Camaguey wird zum Ort unserer ersten Veranstaltung. Zugegen sind ausschließlich Funktionäre der Partei und Spezialisten des Kulturamts. Sie beraten und hinterfragen jedes Detail, aber dann geben sie grünes Licht. Von jetzt an würden sie das Heft in die Hand nehmen. Wir sollen in Schulen und auf Veranstaltungen der UJC spielen. „Herzlich Willkommen in der Planwirtschaft.“

       Aber das wichtigste ist doch, das wir nach einem Jahr Abwesenheit wieder da sind. Mehr denn jemals zuvor, werden unsere Songs im Radio gespielt. Wir planen ein öffentliches Konzert im staatlichen Theater, ganz nach Recht und Gesetz. Dafür arbeiten wir täglich daran, unsere sogenannten Instrumente zu verbessern. In gut zwei Wochen haben wir alles im Griff. Ein befreundeter Tontechniker verspricht uns mit technischem Gerät zu versorgen. Pedro erstellt die Plakate. Zwei Tage vor dem eigentlichen Auftritt treffen wir uns im Theater, um die Anlage aufzubauen. Hier werden wir von einem misstrauischen Verwalter empfangen. „Chicos, die Veranstaltung steht auf der Kippe. Da hat sich noch irgend so ein hoher Funktionär angesagt, um mit euch zu sprechen.“

       Wir warten. Kurz darauf betritt der „Korken-Mann“ die Bühne. Wir können es kaum glauben, ahnen aber zugleich, was uns bevorsteht. Der „Korken-Mann“ bemängelt das Fehlen einer offiziellen Genehmigung für das Abhalten von politischen Aktivitäten, blah, blah blah....Natürlich ist es nicht er, der das ausgeheckt hat. „Ich bin nur vorbeigekommen, um euch zu informieren“, sagt er scheinheilig. Zu Hilfe kommt uns ein Ingenieur des lokalen Radios. Er bestätigt, dass mit unserer Anlage alles in Ordnung sei. Das Gesicht des „Korken-Mannes“ hätten Sie sehen sollen, als er das entsprechende Dokument in den Händen hält. „Seht ihr, wie sich alles regelt“, erklärt er mit strahlender Miene. Na der hat vielleicht Nerven! Und wieder ist er es, der nachdem wir alles aufgebaut haben mit irgendeinem Individuum vorbei kommt und uns erklärt: „Leider muss die Veranstaltung verschoben werden. Die Playlist ist von offizieller Stelle noch nicht kontrolliert worden.“

       Es ist zum in die Luft gehen. Wir intervenieren und präsentieren ihm die Liste. Vorgesehen sind achtzehn Songs, verteilt auf zwei Hälften. Der letzte Song auf der Liste ist Stairway to Heaven von Led Zeppelin. Ich sehe wie das Gesicht des Begleiter des Korken-Manns rot anläuft. „Das hier sofort streichen“, befehlt er uns. Dann dürfen wir auftreten. Insgesamt spielen wir an drei aufeinanderfolgenden Abenden. Jedes mal ist das Theater bis auf den letzten Platz gefüllt. Wir setzen Instrumente unterschiedlicher Genres ein: Rock, Jazz, Rumba, Mambo. Die Konzerte werden für das lokale Fernsehen mitgeschnitten. Wieder kommen wir einen wichtigen Schritt voran. Der erste, der zum Gratulieren kommt, ist...: Der „Korken-Mann“. Unsere Konzerte hätten Vorbildfunktion“, sagt er und betont, das besonders erfreulich sei, dass wir ohne Gage spielen. Wir sollen also keinen müden Peso bekommen, und das, obwohl alle Veranstaltungen ausverkauft sind. Wer bekommt die Eintrittsgelder? Wir können es kaum glauben. Von nun an beginnt die große Odyssee des Existierens, auf unserer Reise durch alle Hindernisse. Genosse Flores, seines Zeichens Direktor der Abteilung für gestaltende Kunst organisiert für uns eine kleine Tour. Sie soll uns in andere Provinzen Kubas führen. Diesmal fahren wir alles auf, was wir haben. Sogar ein Kinderchor ist mit dabei. In Nuevitas werden wir empfangen, wie damals die Beatles bei ihren Konzerten. Die Fans schreien und rasten völlig aus. Doch wieder sehen wir keinen Peso. Man beutet uns nach Lust und Laune aus. Dazu kommt der Neid der anderer Musikgruppen. Wie kann es nur möglich sein, das die Gruppe Rocas jeden Tag im Radio zu hören ist und wir nicht? Gerüchte von Manipulationen machen die Runde. Sogar von Bestechung ist die Rede. Bueno, Werbung ist nun mal Werbung, auch wenn sie negativ ausfällt. Es ist schwerlich zu verstehen, das Menschen, die gutes Geld als professionelle Musiker verdienten, sich nicht einmal die Mühe machen, eigene Songs zu komponieren, sondern stattdessen versuchen auf Kosten anderer berühmt zu werden. Zeugen unserer Kreativität sind die folgenden Zeitungsberichte der nationalen Presse:

       Tageszeitung Adelante – Camaguey:

       „Exzellentes Konzert der Gruppe Rocas von hohem, artistischen Wert.

       Arbeiterzeitung – Habana:

       Rocas bietet großartigen Rock auf kubanische Art

       El Invasor – Ciego de Avilas:

       Solche Jungs sind nicht leicht zu finden. Trotz einem falschen Konzept von Professionalität, machen sie Musik für die Jugend.

       Joventud Revelde – Habana:

       Wir wollen etwas Bescheidenes machen, aber es soll unser eigenes Ding sein.

       Wir überleben einen Zeitraum mit vielen Auftritten. Die Nachfrage ist groß. Wir handlen frei nach dem Gesetz, dass wir nirgendwo spielen, wo man alkoholische Getränke ausschenkt. Sogar zu dem fünfundzwanzigsten Geburtstag des Sohnes eines Generals werden wir eingeladen. Das ist schon mehr als kurios, gehört er doch jenem Politapparat an, der uns jahrelang verfolgt hat.

       Wir kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus, als wir die pompöse Villa betreten. Deren Innenleben scheint von einem anderen Planeten zu stammen. Wir werden äußerst zuvorkommend behandelt. Niemals zuvor habe ich ein solch großes Steak gesehen, wie jenes, dass auf einmal vor mir auf einem silbernen Tablett lag. Hier wird mir zum ersten mal bewusst, wie gut es sich für manche in unserem politischen System leben lässt. Wir spielen unser Programm herunter, werden mit großem Applaus verabschiedet. Dann verschließt er sich wieder für uns, dieser geheime, ach so sündhafte Augenblick im Kapitalismus. Der nächste Höhepunkt in unserer noch jungen Karriere ist die Einladung zum Festival der populären Musik von Camaguey 1988, die uns ausgerechnet wieder der „Korken-Mann“ zukommen lässt. Sie ist ein Tribut an die Popularität, die wir zwischenzeitlich erlangt haben. Diesmal kümmert sich der Direktor selbst um das Piano. Es ist das Instrument, welches am schwersten für uns zu beschaffen ist. Als wir am Veranstaltungsort eintreffen, wartet eine Überraschung auf uns: Stiere und Toreros. Wir müssen warten, bis die blutige Show vorbei ist. Dann treten wir auf. Wieder ein Erfolg!

       Uns lockt die Hauptstadt Havanna. Bisher sind wir nur in der Provinz unterwegs gewesen. Wir fahren mit dem Zug, befördern all unsere Instrumente per Bahn in die Hauptstadt. Dort spielen wir live in der Radiosendung Progreso. Dazu wird ein Videoclip von uns aufgenommen und wir erleben die Hindernisse des Alltags: Probleme mit der Unterkunft, mit dem Essen, mit dem Transport. Sie können uns nicht aufhalten. Die Fans wünschen sich unsere Songs im Radio und im Fernsehen.

       Später erfahren wir von der Ankunft der DDR-Kult Band Karat in Havanna. Der Leiter des Kommunalen Bereiches plant uns für die gleiche Veranstaltung ein. Wir spielen als Vorgruppe, was für Rocas eine große Ehre ist. Es fällt mir auf, dass sich die Jungs von Karat im Besonderen für unseren Einsatz kubanischer Percussion in der Rockmusik interessieren. Sie geben uns den Rat, diese Rhythmen noch weiter auszubauen, da sie besonders im Ausland Anklang finden würden. Gleichzeitig können sie nicht glauben, mit welchen einfachen, zum Teil selbst gebauten Mitteln, wir versuchen, gute Rockmusik zu machen. Wir müssen ihnen wie Indianer vorkommen, die irgendwelchen Urwaldrock vortragen. Natürlich können wir uns nicht an dem Equipment messen, dass sie auf die Bühne bringen.

       Es folgen wieder Auftritte in der Provinz. Manchmal glauben uns die Leute nicht, dass die Songs, die sie im Radio hören, von uns stammen.

       „Die hören sich genauso an, wie die im Radio“, meinen manche voll auf begeistert.

       Dann kommt die erneute Veranstaltung im Theater von Camarguey. Diesmal haben die Techniker eine potentielle Anlage aufgefahren. Valder benutzt ein gebrauchtes Tama Schlagzeug von der Musikschule und ich besitze eine neue Gitarre. Wenigstens etwas. Die Veranstaltung verläuft normal, doch plötzlich setzt Pedros Mikrofon aus. In einem Reflex aus Müdigkeit und Enttäuschung wirft er das Ding auf den Boden. Der Chef der Abteilung für Arbeitsbeschaffung ist verärgert. „Falls wir vorher zweimal überlegt haben