Endstation Sehnsucht. Malcom Brady. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Malcom Brady
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742750518
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elend er aussieht, dachte sie erschrocken. Hoffentlich macht er keinen Fehler.

      Er machte keinen. „Ist die Mannschaft auf ihrem Posten?“ hörte sie ihn ausrufen.

       „Alles Okay“, bekam er zu hören. Als nächstes befahl er einem Matrosen die direkte Kurslinie mit einer Rettungslampe zu markieren, während sie das Rettungsboot zu Wasser ließen. „Langsame Fahrt und ab jetzt absolute Stille“, ordnete Efraim an.

      Mittlerweile war es draußen dunkle Nacht geworden. Efraim ging unruhig zwischen Steuerbord und Backbord hin und her. Die Warterei war am schlimmsten, schließlich trug er die volle Verantwortung für die Passagiere.

      Melba sorgte sich um Luis und um den Kapitän, oder hatte sich dessen Befinden auf wundersame Weise gebessert? Er bemerkte ihren forschenden Blick, nickte ihr zu und sagte: „Ich bin wieder okay! Der Doc hat mir so ein Wundermittel gegeben. Bitte seien sie doch so gut und richten dem Steward aus, er möge für alle Kaffee machen, für mich sogar einen ganz besonders starken.“ Sie tat wie ihr geheißen.

      In der Zwischenzeit hatte Luis den Rettungsring angelegt und harrte in seiner misslichen Lage aus. Zu seinem Glück war das Wasser in diesen Breitengraden angenehm warm. Von dieser Seite drohte ihm keine Gefahr. Er hatte das heftige Ausschlagen mit Armen und Beinen aufgegeben und ertrug das Warten auf seine Rettung mit gespielter Geduld. Er versuchte erst gar nicht an Haifische zu denken, spürte aber instinktiv, dass sie da waren. Sie müssen ja nicht unbedingt gefährlich werden, redete er sich ein und dachte an die Erzählungen des Weltenbummlers, der sich schon oftmals beim Tauchen in der Nähe jener Riesenfische aufgehalten hatte. Gerade, als er meinte, seine Kräfte würden zunehmend schwinden, traf der Schein eines Suchscheinwerfers genau auf sein Gesicht.

      „Mann gesichtet! Einhundert Meter steuerbord“, rief jemand ganz in seiner Nähe. Sie hatten ihn gefunden. Die anschließende Bergung ließ er gerne über sich ergehen. Das Rettungsboot der Marilu konnte wegen des ruhigen Wassers dicht an ihn heranfahren. Die Seeleute nahmen ihn auf und hüllten ihn behutsam in eine Decke. An Bord der Marilu löste sein Anblick überschwängliche Beifallsbekundungen aus. Zur Sicherheit brachte man ihn umgehend auf die Krankenstation, währenddessen die Marilu ihre Reise fort setzte.

      Melba und Claudio saßen an seiner Bettkante und lauschten seinen Schilderungen. Claudio war das Verschwinden seines Freundes zunächst gar nicht aufgefallen. Erschöpft von den langen Wanderungen in der Hitze von Cartagena war er sofort eingeschlafen und hatte selbst beim Ertönen des Alarmsignals kaum reagiert. Erst die daraufhin einsetzende Unruhe an Bord, hatte ihn doch noch aus dem Schlaf gerissen. Danach war er auf das Oberdeck gegangen, um nachzusehen, was geschehen war. Zu jenem Zeitpunkt hatte sich das Schiff allerdings schon nicht mehr bewegt. Dann war er Melba begegnet, die ihm aufgeregt etwas zugerufen hatte, was er jedoch bei all dem Durcheinander nicht richtig verstehen konnte. Dass es allerdings um Luis gehen musste, war ihm dann schlagartig klargeworden. Daraufhin war er zur Kommandobrücke gelaufen und hatte dort die erlösenden Worte: „Mann gesichtet“, vernommen. In Zukunft jedenfalls würde er besser auf seinen Freund aufpassen.

      Später ging Efraim noch einmal auf die Krankenstation um nach dem Patienten zu schauen. Doch weder er, noch Luis, konnten ahnen, dass ihr kurzes Gespräch schon bald ein besonderes Gewicht bekommen sollte.

      „War das mit der Rolle an der Reling auf achtern wirklich notwendig?“, wollte Efraim wissen.

      „Die Cola Dose war an allem schuld, Herr Kapitän. Ansonsten hätte ich nicht mit solch einer Wucht reagiert. Gott sei Dank ist nun alles überstanden, aber ich bin ihnen zu großem Dank verpflichtet!“

      „Ach was, das sind sie nicht, Luis. Ich trage nun mal die Verantwortung auf diesem Schiff und im Gegensatz zu manch voreiliger Meinung, liegt mir das Wohl der Passagiere ungemein am Herzen.“

      „Trotzdem, sie haben mich gerettet und ich stehe tief in ihrer Schuld. Sie sollen wissen, dass sie immer auf mich zählen können, egal, wann und wo!“

      „Ist schon gut Luis. Schlafen sie sich erst einmal richtig aus. Der Schlaf wird ihnen wieder Kraft geben und morgen sind sie über´m Berg.“

      „Na ja, wenn das ein Befehl ist..., aber vergessen sie nicht, was ich vorhin gesagt habe. Man kann schließlich niemals wissen…“

      „Ich weiß Bescheid, Luis. Träumen sie was Schönes und gehen sie zukünftig Cola Dosen aus dem Weg!“

      Kapitel 7

      Rubén Cadelo liebte Bücher. Er war zwar in erster Linie Musiker, jedoch schlief er abends niemals ein, ohne vorher ein paar Seiten gelesen zu haben. Selbst auf der Marilu stand in seiner Koje ein kleines Regal, in dem er etliche Werke aufbewahrte, die er nach und nach zu einer Sammlung ergänzt hatte. Unter ihnen befanden sich Fachliteratur aus der Musikwelt, Biografien berühmter Musiker sowie Tournee Beschreibungen der angesagten Bands. Alles in allem handelte es sich um Material, das man nicht nur einfach durchlas, sondern auch auf sich wirken ließ.

      Und dann gab es da noch etwas, dass allerdings niemals seinen Platz wechselte: Sein ganz privates Notizbuch. Es enthielt die wichtigsten, persönlichen Eindrücke und Erlebnisse aus seinem Leben. Vor allem seinen Werdegang als Musiker und die damit verbundenen Repressalien durch das politische System in seinem Land, hatte er darin verewigt. Manchmal hatte er daran gedacht, dem Kapitän seine Aufzeichnungen vorzulesen, aber irgendwie war es dann doch nicht dazu gekommen. Vielleicht wäre es dem Capitan auch gar nicht Recht gewesen, so viele persönliche Details von einem Mitglied seiner Bediensteten zu erfahren. Aber jetzt, da der die Marilu endgültig verlassen wollte, sah die Sache anderes aus. Es würde keinen Rangunterschied mehr geben. Der Capitan war sein Freund und dazu ein hoch intelligenter Mann, der schon wissen würde, wie er damit umzugehen hatte. Andere Freunde besaß er nicht. Jedenfalls keine, mit denen er sein persönliches Schicksal teilen wollte.

      In seinen Aufzeichnungen, denen er den Namen „Durch alle Hindernisse“ gegeben hatte, ging es um das Schicksal seiner Landsleute auf Kuba. Da waren die paradiesische Insel auf der einen, und das politische System, mit all seinen Folgen, auf der anderen Seite. Seine Niederschrift bestand aus Erinnerungen, die weit hergeholt waren und bis in seine Kindheit hinein reichten. Da waren die aufregenden Feste voller Glamour und Prunk, als seine Familie noch jegliche Freiheiten besaßen. Die großen, voller Chrom glitzernden Straßenkreuzer, die die Amerikaner mit auf die Insel gebracht hatten. Die Musikboxen, in denen er immer eine Münze eingeworfen, -und sich danach die Ohren zugehalten hatte, weil die Dinge so laut aufspielten. Damals war ihm die Stadt Camaguey, in der er mit seiner Schwester aufwuchs, wie ein quirliger Schmelztiegel vorgekommen. Sein Vater war von Beruf Kaufmann gewesen und seine Mutter hatte stundenweise in einer Tabakfabrik gearbeitet. Es war ihnen nicht schlecht gegangen und sie hatten in einem großzügigen Wohnhaus am Stadtrand gewohnt. Dann kam das Jahr 1959, in dem Che Guevara und Fidel Castro die Herrschaft über Kuba an sich rissen. Der damalige Präsident Batista musste ins Exil fliehen und von jenem Zeitpunkt an änderte sich die Situation in Kuba schlagartig. Wie es sich herausstellte, war sein Vater ein Anhänger und Sympathisant des früheren Präsidenten gewesen und hatte nach der Revolution einen schweren Stand gegenüber den neuen Machthabern. Aber das galt für die gesamte Familie Cadelo. Sie mussten ihr geliebtes Heim verlassen und stattdessen einen einfachen Holzbungalow am Rande der Stadt beziehen. Rubéns Vater war einige Male festgenommen und dann wieder freigelassen worden. Jedes Mal hatten sie ihn gedemütigt, so dass sein Widerstand mit der Zeit gebrochen war. Trotzdem hatte er seinen Sohn an der nationalen Musikhochschule angemeldet, wo Rubén anfing, klassische Musik zu studieren. Zumindest, bis der Rock seine Wege kreuzte.

       Es geht aufwärts. Ich bin jetzt mit Dayanis zusammen. Sie ist ein tolles Mädchen und hilft mir, wo sie nur kann. Dank der Unterstützung des Genossen Pérez, ist auch der Vize- Direktor des Kulturamtes für unsere Anliegen sensibler geworden.

       „Ich habe niemals gesagt, das die Gruppe Rocas keine Existenzberechtigung hat. Ganz im Gegenteil. Sie könnte als Vorbild für unsere Jugend dienen“, sagt er.